Wie lange eigentlich noch? Wie lange eigentlich soll ein abgedunkelter Keller in Köln nach jedem zweiten Bundesliga-Spieltag im Mittelpunkt erbitterter Diskussionen stehen? Wie lange wollen Fußballbund und DFL noch zusehen, wie die Referees auf dem Spielfeld von offenkundig überforderten Supervisoren vorgeführt werden?
Am Wochenende hatte der Videoschiri, kurz VAR genannt, zur Abwechslung in Frankfurt seinen Auftritt, wo im Spiel gegen Dortmund der übermotivierte BVB-Angreifer Adeyemi Frankfurts Lindström in der 42. Minute so sichtbar im Strafraum umgeschubst hatte, als seien die beiden in einem Wirtshaus aneinandergeraten. Der fällige Elfmeterpfiff blieb jedoch aus, und auch aus dem Kölner Observationszentrum kam keine Korrektur. Was dazu führte, dass nach dem Spiel nicht über die erbarmungswürdige Chancenverwertung der Frankfurter oder den beachtlichen Kampfesmut der Dortmunder gesprochen wurde, sondern nahezu ausschließlich darüber gerätselt wurde, ob der Videoassistent kurz vor der Halbzeit schon mal in die Kaffeeküche geschlurft oder anderweitig verhindert war.
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VAR: unerträgliche Verschleppung und Verkomplizierung des Spiels
Es war die zigste Diskussion über Fehlentscheidungen – und ganz allmählich sollte sich doch auch in den Verbänden die Erkenntnis durchgesetzt haben, dass der VAR entweder radikal reformiert oder gänzlich abgeschafft gehört. So wie er sich nämlich derzeit gebärdet, ist er ein bürokratisches, schwerfälliges Monster, das den Zuschauern im Stadion den Spaß am Spiel raubt und von seinem großen Versprechen, den Sport gerechter und transparenter zu machen, weiter entfernt denn je ist. Um das zu erkennen, muss nur noch einmal an das Einführungsversprechen des Videobeweises erinnert werden. Strittige Torraumszenen, nicht geahndetes Abseits, unentdeckte Tätlichkeiten – nie wieder würde über falsche Entscheidungen der Referees gemeckert werden. Schließlich würde es ja nun unbestechliche Beweisbilder geben, mit deren Hilfe in Windeseile korrekte Entscheidungen gefällt werden würden.
Was stattdessen nach der Einführung passierte, war eine unerträgliche Verschleppung und Verkomplizierung des Spiels. Wer das leugnet, sollte einfach mal am Wochenende die samstägliche TV-Konferenz verfolgen. Brüllten die Reporter früher "Tor", war auch tatsächlich eines gefallen, umarmten sich Spielern und jubelten Fans. Heutzutage geht der erste Blick nicht auf die Ränge oder zu den Kickern, sondern zum Referee, der angestrengt in sein Headset horcht und im schlechtesten Fall nach zweieinhalb Minuten zermürbenden Wartens das Tor aberkennt. Damit wird jeder eruptiven Freude im Stadion der Stecker gezogen Es zerstört den innigsten Moment, den Fans und Spieler miteinander haben.
Bayern verpassen Freiburg eine Abreibung
Der SC Freiburg, der bislang in der Tabelle vor den Bayern rangierte, holt sich eine echte Abreibung in München ab. Für die Tore der hoch überlegenden Bayern sorgen Gnabry, Choupo-Motin, Sané, Mané und Sabitzer. Mit dem Sieg zieht das Team von Julian Nagelsmann an den Breisgauern vorbei auf den zweiten Rang. Angreifer Mané nimmt die dolle Stimmung danach zum Anlass, Berni, dem Bayern-Maskottchen, einen sanften Tritt in den Hintern zu verpassen – natürlich im Spaß. Andere Bilder zeigen, wie sich beide herzlich umarmen. So gesehen ist also alles in bester Ordnung bei den Bayern.
Videobeweis führt zu Akzeptanzproblemen
Und nicht nur das! Seit Einführung des Videobeweises schwindet die Autorität der Referees auf dem Spielfeld mehr und mehr. So sehr der Schiedsrichter früher Herr des Verfahrens war (und mitunter auch krasse Fehlentscheidungen traf), so sehr ist er heute bei wichtigen Szenen nur noch Ausführungsgehilfe der Kölner Expertise. Mag ein charismatischer Routinier wie Denis Aytekin auch nach wie vor akzeptiert werden, so haben die jungen Referees inzwischen echte Akzeptanzprobleme. Aber ganz gleich, ob jung oder alt: Wie soll ein Unparteiischer souverän auftreten, wenn er permanent fürchten muss, durch Videobilder widerlegt zu werden?
Der Videobeweis hat also massive Probleme geschaffen – und wofür das alles? Für einen Perfektionsanspruch, der niemals einzulösen ist, der aber jede Diskussion über Fehlentscheidungen unrettbar vergiftet? Früher wurde zwar auch über Referees geschimpft, aber es wusste auch jeder, dass es sich um Menschen handelt, die Fehler machen. Nun, etwa bei der Fehlentscheidung in Frankfurt, wird gnadenlos abgerechnet, durch Fans, Funktionäre und Experten im Sport1-Stammtisch.

Der Videoschiri gehört reformiert – oder abgeschafft!
Was ist zu tun? Zuallererst muss die Forderung sein: Schließt den Kölner Keller! Die Entscheidungsgewalt muss ins Stadion zurückkehren. Wenn es einen Supervisor gibt, dann am Spielfeldrand, als sichtbarer Teil des Schiedsrichterteams und dem Referee zugeordnet, nicht als halbanonymer VAR im dunklen Keller. Nur so können die Unparteiischen ihre Autorität zurückgewinnen. Nicht minder wichtig: Die Eingreifschwelle muss deutlich erhöht werden, etwa bei Abseitsstellungen. Es kann nicht Aufgabe des VAR sein, die kalibrierte Linie so lange hin- und herzuschieben, bis doch ein großer Zeh über die Linie lugt. Die Abseitsregel wurde einst eingeführt, damit Spieler nicht im Torraum des Gegners auf lange Flanken warten. Da der exakte Moment der Ballabgabe derzeit ohnehin nicht erfasst werden kann, braucht es eine klare Regel: Solange nicht eine sichtbare und relevante Abseitsstellung erkennbar ist (abseits großer Zehen oder gestreckter Knie), hält der Videoassistent die Klappe. Von den grotesken Handspiel-Entscheidungen der letzten Zeit haben wir da noch gar nicht angefangen.
Drittens muss es eine maximale Beratungszeit geben: Wenn nach einer Minute Gestarre auf Bildschirme immer noch keine Klarheit herrscht, muss die ursprüngliche Entscheidung des Referees Bestand haben. Und viertens und sicher nicht letztens: Es braucht Transparenz im Stadion, die deutlich über die dürren Meldungen auf dem Anzeigetafeln hinausgeht. Nimmt der Referee eine Entscheidung zurück, muss er das erklären, klar und deutlich und nicht im gestanzten Behördensprech des Regelhüters.
All das, rasch und konsequent umgesetzt, könnte den VAR retten. Noch besser wäre es allerdings, man schaffte ihn ab. Er hat dem Fußball nichts Gutes gebracht, nur Zwist und Hader und eine eingebildete Korrektheit, die keiner will und braucht.