Schweinsteiger-Ersatz im Spiel gegen Türkei Kroos' Reifeprüfung in Riesenschuhen

Von Klaus Bellstedt, Berlin
Mit Bastian Schweinsteiger fällt ausgerechnet im brisanten EM-Qualifikationsspiel gegen die Türkei der wichtigste Spieler von Bundestrainer Joachim Löw aus. Seine Rolle wird wohl Toni Kroos ausfüllen - eine Besetzung mit Risiken.

In Südafrika war er in jeder Hinsicht der Boss im deutschen Team: Bastian Schweinsteiger. Der Bayern-Profi wurde von Bundestrainer Joachim Löw als "emotionaler Leader" und als "Motor, der das Spiel antreiben soll" in das Turnier geschickt. Und Schweinsteiger ließ sich nicht bitten: Der 26-Jährige spielte eine fantastische WM. Schweinsteiger war Löws Tausendsassa. Er räumte hinten ab, war mit klugen Pässen verantwortlich für die Spieleröffnung, glänzte mit kreuzgefährlichen Standards, ja er schoss sogar Tore. Das Symbol der Kapitänsbinde mag bei der Verteilung des Erbes von Michael Ballack vor der WM an Philipp Lahm gegangen sein. Das tatsächliche Schwergewicht in der deutschen Nationalmannschaft aber war und ist Bastian Schweinsteiger.

Ausgerechnet im wichtigsten EM-Qualifikationsspiel des Jahres am Freitagabend in Berlin gegen die Türkei fällt Bastian Schweinsteiger mit einem Kapselbandanriss nun aus. Ein schwerer Schlag für Joachim Löw, der weiß, dass ein Spieler dieser ganz besonderen Spezies nicht zu ersetzen ist. Da aber nicht zu erwarten ist, dass der Bundestrainer den Aufstellungsbogen für die Startelf mit nur zehn Spielern befüllen wird, muss ein Ersatz für Schweinsteiger her. Und auch wenn Joachim Löw am Donnerstag auf der Abschluss-Pressekonferenz vor der Partie gegen die Türken mit Toni Kroos, Christian Träsch und - Achtung, Nebelkerze - Thomas Müller, gleich drei Nationalspieler als Backup des verletzten Schweinsteigers ins Spiel brachte: Nach den Trainingseindrücken von Mittwoch und Donnerstag deutet vieles darauf hin, dass es Bayern-Rückkehrer Toni Kroos sein wird, der die Position neben Sami Khedira im defensiven Mittelfeld ausfüllen wird. Eine Königslösung ist das nicht.

Kroos passt zur offensiven Spielweise

Kroos ist wohl auch deshalb erste Wahl, weil Joachim Löw gegen die Türken die bewährte offensive Spielweise seiner Mannschaft beibehalten möchte. Vom 20-jährigen Nachwuchsstar verspricht sich der Bundestrainer zusätzliche spielerische Qualität und Sicherheit im Passspiel, wogegen Träsch sicherlich das kämpferische Element gestärkt hätte, aber wohl weiter weniger Impulse für die Offensive setzen könnte. Die Stärken von Toni Kroos sind unbestritten: Spielintelligenz, gute Ballbehandlung, starke Standards. Das Problem: Der Hochveranlagte steckt - übrigens genauso wie die anderen Münchner Nationalspieler - in einer noch vor wenigen Wochen nie für möglich gehaltenen Identitätskrise.

Bayern-Trainer Louis van Gaal hat Kroos als Zehner von Bayer Leverkusen zurückgeholt. Nach der Verletzung von Franck Ribéry wurde er von dem Niederländer auf die linke Seite abgeschoben. Dort wirkt er seitdem seltsam gehemmt. Der "Kicker" führt Kroos nach sieben Bundesligaspielen in seiner Statistik mit einem Notendurchschnitt von 3,67 auf Rang 104 von allen 190 Bundesliga-Feldspielern. Vor der 0:2-Niederlage gegen Borussia Dortmund riss erstmals der Geduldsfaden der Bayern-Granden mit ihrem ungeschliffenen Juwel. "Toni Kroos zum Beispiel kann auch viel mehr, als er zuletzt gezeigt hat. Er spielt mir zu zurückhaltend, müsste mehr Risiko wagen mit seinen Pässen", moserte Ehrenpräsident Franz Beckenbauer.

Welchen Effekt hat die Nationalelf auf ihn?

Und jetzt also die Luftveränderung. Raus aus dem verpesteten München, hinein in die Hauptstadt. Berliner Luft wird geatmet. Steckt nicht genau darin die Chance für Kroos? Nicht unbedingt. Während es als sicher gilt, dass die Nationalmannschaft auf den Kölner Problemstürmer Lukas Podolski seit jeher den Effekt einer Wellnesskur hat, verhält es sich bei Schweinsteigers Ersatzmann anders. Je näher das EM-Qualifikationsspiel rückt, desto weniger spricht Kroos. Auch seine Körpersprache wirkt nicht so, als habe er gerade eine Ayurveda-Massage hinter sich. Bundestrainer Joachim Löw begnügte sich vor dem Spiel gegen die Türkei erstaunlicherweise mit nur zwei Übungseinheiten am Ball, beide Male schlich Kroos phasenweise mit hängenden Schultern über den Platz. So, als befände er sich immer noch an der Säbener Straße in München und nicht auf dem Wurfplatz des Amateurstadions von Hertha BSC, wo Mittwoch die Trainingseinheit der Nationalmannschaft über die Bühne ging. Selbstvertrauen, wenn auch nur gespielt, sieht anders aus.

PRODUKTE & TIPPS

Kaufkosmos