In 549 Tagen geht sie mit dem Eröffnungsspiel los: die Heim-EM 2024. DFB-Präsident Bernd Neuendorf hat 549 Tage Zeit, um seinen Verband und die Herren-Nationalelf nach der WM-Pleite in Katar wieder auf Vordermann zu bringen, denn die Erwartungen an das Turnier in anderthalb Jahren sind groß: Wer träumt nicht von einem zweiten Sommermärchen?
Damit das gelingen kann, muss der DFB-Boss mindestens auf zwei Baustellen aufräumen. Sportlich ist die Nationalelf am Tiefpunkt, das frühe WM-Aus – sei es verdient oder unverdient – ist Ausweis des Niedergangs der vergangen Jahre. Hier wieder auf den grünen Zweig zukommen, kann gelingen. Trotz der Schwächen, die die Nationalelf in Katar in der Verteidigung und beim Torabschluss gezeigt hat, gibt es Spieler im Team, die Hoffnung machen: Antonio Rüdiger oder auch Niclas Füllkrug, um beispielhaft zwei Namen zu nennen. Auch hat Bundestrainer Hansi Flick, der quasi eine Jobgarantie hat, noch rund ein Dutzend Spiele vor der EM, um sein Team für das Turnier zu formen.
DFB richtet Expertengremium ein – mit altbekannten Gesichtern
Die andere Baustelle dürfte größer sein: Für ein Sommermärchen 2.0 muss das Verhältnis von Team und Fans wieder gekittet werden. Denn auch wenn in der Frankfurter DFB-Zentrale eine andere Meinung herrscht. Verband und Nationalelf haben ein massives Identifikationsproblem. Die schwachen TV-Quoten und die geringen Stadionauslastungen bei Heim-Länderspielen belegen es in Zahlen. Und emotional kann wohl jeder Fußball-Fan etwas nennen, das ihm oder ihr nicht passt in puncto Verhältnis zur Nationalmannschaft.
Die Herausforderungen will Bernd Neuendorf angehen, aber er will dabei "kühlen Kopf bewahren" und "nichts überstürzen", wie er auf seiner Pressekonferenz am Dienstag betonte. Helfen soll ihm dabei ein fünfköpfiges Gremium, eine Art Rat der Weisen. Dessen Mitglieder sollen sich allein um sportliche Belange kümmern, um die Nachwuchsförderung zum Beispiel, aber auch um die sportliche Ausrichtung für die EM 2024. Eine weitere Aufgabe: einen Nachfolger für Ex-Nationalelf-Geschäftsführer Oliver Bierhoff finden. Aber auch hier gilt: "nichts überstürzen", bis Weihnachten soll das Komitee das erste Mal tagen.
Dass das Gremium den Posten neu besetzen wird, darf als sicher gelten. Schon jetzt drängen sich einige Kandidaten mehr oder weniger auf, Fredi Bobic etwa. Gemeinsam mit Hansi Flick kann der Bierhoff-Nachfolger dann am Team für die Europameisterschaft basteln.
Doch dass der Expertenrat Impulse für den dringend benötigten Schulterschluss zwischen Nationalelf und Fans geben kann, darf mit Blick auf dessen Mitglieder bezweifelt werden. Neuendorf hat es mit deren Berufung versäumt, auch personell ein Signal für einen echten Neuanfang zu setzen.
Uefa legt Berlin als Finalort für EM 2024 fest – in diesen Stadien wird außerdem gespielt

Ex-Bayern-München-Boss Karl-Heinz Rummenigge, 67, zum Beispiel steht neben seinen unbestrittenen sportlichen Erfolgen zuletzt vor allem für dubiose (und unversteuerte) Rolex-Luxusuhrengeschenke und Werbedeals im Zusammenhang mit WM-Gastgeber Katar – und damit genau für das, was viele Fans am Fußball inzwischen verabscheuen: Hinterzimmerpolitik und auf die Spitze getriebene Kommerzialisierung.
Zu ihm gesellt sich im Expertenrat aus dem FC-Bayern-Lager Oliver Kahn, 53, der gleichzeitig CEO des Rekordmeister ist. Diese Doppelrolle wird durchaus kritisch betrachtet. "Das beißt sich aus meiner Sicht", sagte zum Beispiel Ex-Profi Horst Heldt bei Sky. Auch 1996-Europameister Matthias Sammer, 55, kann trotz seiner derzeitigen Beratertätigkeit bei Borussia Dortmund getrost dem Bayern-Block zugerechnet werden, war er doch vier Jahre als Sportvorstand dort aktiv. Vierter Mann im Bunde ist Rudi Völler, 62, zwar immer noch Publikumsliebling, aber auch nicht unbedingt jemand, den man mit dem Fußball von morgen oder übermorgen verbindet. Einzig Oliver Mintzlaff, 47, ist so etwas wie eine kleine Überraschung im Personaltableau des DFB. Aber auch der frühere RB-Leipzig Boss und jetzige Geschäftsführer von Brausehersteller Red Bull ist sicherlich keine Symbolfigur für eine größere Fan-Nähe. Im Gegenteil: Das Geschäftsmodell von RB Leipzig wird in Fan-Kreisen heftig kritisiert, Stichwort auch hier wieder: die auf Spitze getriebene Kommerzialisierung.
DFB schmort im eigenen Saft
Abgesehen von Mintzlaff hätte ein Expertenrat des DFB vor zehn Jahren genauso besetzt werden können wie heute. Der Verband droht damit einmal mehr, im eigenen Saft vor sich hinzuschmoren und Innovationen auszuschließen. Hinzu kommt: Niemand jünger als 47, keine Frau und niemand mit einer vielleicht etwas alternativen Sicht auf den Profifußball und seine Rolle in der Gesellschaft, nur alte Denk-Schule. Dabei hätte es Alternativen gegeben, Neuendorf hätte sich zum Beispiel bei Eintracht Frankfurt oder dem SC Freiburg umhören können oder im Umfeld der Frauen-Nationalmannschaft. "Wir haben uns freigemacht von den ganzen Überlegungen, die jetzt natürlich angestellt werden können: Hätte oder sollte man nicht das und das machen müssen ...?", begründete DFB-Boss Neuendorf die Wahl. "Für diesen Arbeitskreis haben wir uns jetzt so entschieden."
Ein echter Neuanfang sieht anders aus. Sportlich mag die Wende gelingen. Dass sich aber bis zur EM 2024 wieder viele Fans mit der Nationalmannschaft identifizierten, darf angesichts dieses Beratergremiums in Zweifel gezogen werden, schließlich muss es darum gehen, möglichst viele Menschen für die Nationalelf und ein neues Sommermärchen zu begeistern. Neuendorf kann nur hoffen, dass sein Plan mit Rummenigge, Kahn, Sammer, Völler und Mintzlaff aufgeht – bestenfalls deutlich früher als in 549 Tagen.