Das Abenteuer begann mit Kompass und Karte mitten im Kaukasus. Dort, wo es nur Fels, Bäume und Gestrüpp gab. Bernhard Russi und seine Kollegen wurden 2006 mit dem Helikopter auf den Berg Rosa Peak geflogen. Sie mussten sich abseilen und die letzten Meter springen, weil eine Landung nicht möglich war. Russi kämpfte sich durch die Wildnis, verlief sich etliche Male, ehe er und sein Team nach 18 Stunden wieder im Ort Rosa Chutor ankamen. Acht Jahre später findet an gleicher Stelle, dort wo einst Wildnis war, an diesem Sonntag (8 Uhr) die olympische Königsdisziplin statt: die Ski-Abfahrt der Herren.
Der Schweizer Russi, selbst Abfahrtsolympiasieger von 1972, ist Pistenarchitekt. Er hat die Olympia-Abfahrten von Calgary 1988, Val d’Isere 1992, Kvitfjell 1994 und Nagano 1998 erschaffen – und nun auch die Olympiastrecke von Sotschi.
"Es funktioniert so", hatte Russi bei der Fertigstellung der Strecke 2012 erzählt: "Beim ersten Gang zu Fuß markiere ich mit roten Fähnchen meinen Weg. Der wird dann in die Karte eingezeichnet. Beim zweiten nehme ich gelbe, dann blaue, dann violette, dann weiße Fähnchen. Das Endprodukt ist dann oft eine Mischung aus allen Wegen, die ich markiert habe."
Direkter Draht in Putins Vorzimmer
Russi soll dabei einen direkten Draht zum Vorzimmer von Russlands Präsident Wladimir Putin gehabt haben. Einmal habe er anrufen müssen, schreibt die Neue Zürcher Zeitung. Der Helikopter-Pilot solle sich geweigert haben, zu starten. Der Grund: Putin höchstpersönlich war im Skigebiet unterwegs. Ein Telefonat mit dem Präsidenten brachte Russi auf den Berg.
20 Mal war er im Rosa Peak unterwegs, wo für rund eine Milliarde Dollar ein gigantisches Skigebiet entstanden ist. Nach den Olympischen Spielen soll es als Urlaubsgebiet dienen.
Zunächst aber stehen die alpinen Wettbewerbe der Damen und Herren an. "Das Schlussdrittel ist extrem. Wenn da das Abfahrerherz nicht juchzt, dann ist er kein Abfahrer", sagt der 64-Jährige über die insgesamt 3495 Meter lange Strecke. Von 2045 Metern Höhe geht es über das "Russian Trampoline" und die "Bear's brow" in etwas mehr als zwei Minuten Fahrtzeit und 1075 Höhenmetern ins Ziel hinunter.
Die schwerste Strecke der Saison, sagen Athleten
Während der Abfahrt nehmen die Athleten auch die Passage "Accola Valley". Dort hat der frühere Schweizer Weltcup-Sieger Paul Accola persönlich gebaggert, als russische Arbeiter nicht weiter wussten. Besonders stolz ist Russi auf den Schlusssprung, den „Deer Jump“. Mit einem weiten Satz rasen die Stars in den Zielbereich.
Ein anderer Sprung musste vor Olympia entschärft werden. Beim ersten Rennen auf dieser Strecke 2012 waren einige Fahrer über 100 Meter weit geflogen und hatten sich verletzt.
"Das ist die schwerste Strecke der Saison, dieser Berg testet einen Rennfahrer", erklärte US-Star und Mitfavorit Bode Miller. Der Österreicher Max Franz sagte: "Auf dieser Abfahrt ist alles gefragt, es ist eine Art 'Best of' der Abfahrten dieser Welt." Bernhard Russi hat sich wieder einmal selbst übertroffen.