Michael Rensing hat am vergangenen Wochenende einen bemerkenswerten Satz gesagt: "Beim Trainer ist niemand gesetzt", und es geht dabei vor allem darum, wie er das gesagt hat. Ruhig. Besonnen. Er war gerade eben zur Nummer zwei im Tor des FC Bayern zurückgestuft worden, mal wieder, und dass er dann auch noch sagte, die Entscheidung des Trainers sei "durchaus nachvollziehbar", da wusste man, dass Louis van Gaal, der Trainer und General, doch schon vieles richtig gemacht hat in den vergangenen Wochen. Als der Trainer Jürgen Klinsmann Michael Rensing degradierte, da war Rensing alles andere als ruhig und besonnen.
"Van Gaal ein Glücksfall für Bayern"
Nach dem famosen 3:0 des FC Bayern gegen den Deutschen Meister VfL Wolfsburg spricht jeder über Arjen Robben, aber die Art und Weise, wie der Torwartwechsel am Rande des Transfercoups mit Robben ablief, das ist die zweite große Geschichte des letzten Bundesliga-Spieltags. Weil sie zeigt, wie Louis van Gaal, dem sie in München ja schon vor dem ersten Spieltag eine glanzvolle rot-weiße Zukunft vorhergesagt hatten, funktioniert, wie er bei den Spielern ankommt.
Louis van Gaal sagt: "Ich bin ein Kommunikator", er hat das schon bei seiner ersten Pressekonferenz an der Säbener Straße gesagt. Man hat das dann gleich bei seinen ersten Trainingseinheiten beobachten können, wie er mit den Spielern kommunizierte, wie er sie lobte, anschrie, kommandierte, ihnen Dinge erklärte. "Van Gaal ist ein Glücksfall für Bayern", das hat Xavi gesagt, der Mittelfeldspieler vom FC Barcelona, der van Gaal von dessen Zeit bei Barca kennt. Beim FC Bayern sehen sie das genau so. Der FC Bayern, das sind vor allem Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge. Und den beiden gefällt die Art, wie van Gaal auftritt, wie er arbeitet, und, das auch, wie er mit den Spielern umgeht.
Nur Ribéry schießt quer
Den Torhütern Michael Rensing und Hans-Jörg Butt zum Beispiel hat er von Anfang an unmissverständlich klar gemacht, wie er sich einen Torwart vorstellt, als eine Art elften Feldspieler nämlich, und das bedeutet auch: Der Torwart ist jederzeit austauschbar. Jürgen Klinsmann hat Michael Rensing noch wenige Tage, bevor er ihn gegen Butt tauschte, gesagt, wie wichtig und wie stark er sei. Louis van Gaal dagegen ist direkt und unverblümt; gerne auch zu Journalisten. Bei der Pressekonferenz nach dem Vorbereitungsspiel gegen den AC Mailand hat er auf die – tatsächlich eigenartig ahnungslose – Frage eines Magazinjournalisten, weshalb Luca Toni, zu diesem Zeitpunkt verletzt, nicht gespielt habe, nur kopfschüttelnd erwidert: "Das müssen Sie wissen, unglaublich, diese Frage beantworte ich nicht." Da ist dann auch gleich eine weitere Charaktereigenschaft van Gaals deutlich geworden: Er verlangt viel von denen, die mit ihm zusammenarbeiten. Von allen.
Die Mannschaft ist dem Holländer heilig. Er denkt in Positionen, nicht in Namen. Neulinge wie die einstigen Amateure Holger Badstuber und Thomas Müller sind ihm genauso wichtig wie ein veritabler Superstar mit Namen Ribéry. Doch der französische Nationalspieler hat offenbar Schwierigkeiten, das zu akzeptieren. Mit einer außergewöhnlich scharfen Trainer-Schelte sorgt Franck Ribéry gerade für die nächste Krise bei den Bayern. Es sei kein Vertrauen da, sagte er der französischen Sportzeitung "L'Équipe" "Es ist das erste Mal, dass mein Kontakt zu einem Trainer nicht positiv ist", klagte der Franzose. Es sei wichtig, dass man Vertrauen zum Trainer habe, aber mit van Gaal sei das "kompliziert".
Geschickter Schachzug mit Gerland
Nicht weniger als 13 Trainer und Betreuer hat van Gaal in seinem Stab aufgestellt, mehr sogar als Jürgen Klinsmann. Langjährige Angestellte des FC Bayern sind darunter, wie etwa die Physiotherapeuten Fredi Binder und Gerry Hoffmann oder der neue Co-Trainer Hermann Gerland; Mitglieder des ehemaligen Klinsmann-Stabs, wie die Konditionstrainer Marcelo Martins und Darcy Norman oder der Torwarttrainer Walter Junghans; aber auch, natürlich, neue Mitglieder, die van Gaal mitgebracht hat.
Von besonderer Bedeutung sind für van Gaal seine beiden Landsleute Andries Jonker und Jos van Dijk: Der 46-jährige Jonker ist van Gaals Assistent, er war schon bei van Gaals zweiter Amtszeit in Barcelona 2002/2003 sein Co-Trainer. Jonker ist nahezu ständig in der Nähe von van Gaal, er ist aus dem Stab der wichtigste Berater des Chefs. Van Dijk ist als Trainingsphysiologe für die Trainingssteuerung mitverantwortlich, in die allerdings auch Hermann Gerland eingebunden ist. Van Gaal hat sich ausdrücklich dafür ausgesprochen, dass Gerland neben Jonker sein zweiter Assistent wird - das war geschickt.
Signale und Botschaften
Gerland kennt zum einen nicht nur die Mannschaft, er ist nun sein zwölftes Jahr beim FC Bayern und kennt daher auch den Verein besser als viele andere. Er nimmt sämtliche Signale und Botschaften in diesem von ehemaligen Fußballkoryphäen durchzogenen Club auf und bewertet sie auf Wunsch für van Gaal. Gerland ist mit 55 nur drei Jahre jünger als van Gaal und ein mindestens ebenso großer Disziplinfanatiker wie der Niederländer; man muss nicht extra erwähnen, dass van Gaal und Gerland sich gut verstehen.
Der Trainerstab von van Gaal aber war bislang kein großes Thema beim FC Bayern – auch, weil van Gaal wie selbstverständlich tut, was er für richtig hält, ohne es öffentlich zu kommentieren. Das ist auch so eine Eigenschaft des Niederländers: Er liebt das Spektakel auf dem Platz, das schnelle Kurzpassspiel, weshalb er die Mannschaft etwa im Trainingslager in Donaueschingen nahezu ausschließlich flinke Kurzpässe üben ließ - aber er hasst das Drumherum. Er ist geradlinig und immerzu schnörkellos.
Die Frage, ob dieser Mann, der seit 18 Jahren Cheftrainer ist und dabei sechs Meisterschaften, fünf nationale und vier internationale Pokalsiege mit drei verschiedenen Mannschaften gewonnen hat, ob Louis van Gaal nun ein guter Trainer ist, kann man natürlich noch lange nicht abschließend beantworten. Aber man kann es versuchen. Die Fakten zu Beginn seiner vierten Station als Vereinstrainer sind nicht gerade berauschend: vier Spiele, ein Sieg, eine Niederlage, zwei Unentschieden, Tabellenplatz acht. Bis zu jenem 3:0 gegen Wolfsburg war der Saisonstart des FC Bayern mit Louis van Gaal eine einzige Krise.
Allerdings hat van Gaal noch lange nicht den Kader, den er gerne hätte – und den er braucht, um seine Vorstellung von anspruchsvollem Fußball durchzusetzen. In Arjen Robben immerhin hat er eine Chance bekommen, zu zeigen, dass er auch mit dem FC Bayern erfolgreich sein kann: Mit Robben kann van Gaal endlich das von ihm so sehr geliebte 4-3-3-System formieren. Ein guter Trainer sollte eine bestimmte Idee seines Spiels haben, das immerhin spricht nun für van Gaal. Dass seine Idee mit Spielern wie Arjen Robben und Franck Ribéry ausgefüllt wird, kommt ihm dabei schon zugute.
Ein guter Trainer sollte auch die Situation jederzeit gemäß der Realität bewerten, muss die richtige Mischung aus Euphorie und Sachlichkeit haben. Nach dem 3:0 gegen Wolfsburg, als die Herren vom Vorstand in heller Aufregung die gerne selbst gepriesene Dominanz des FC Bayern in sämtliche Mikrofone frohlockten, da sagte Louis van Gaal auf die freudige Frage eines Reporters nach der neuen Stärke des FC Bayern: "Nach so einem Spiel dürfen wir nicht denken, dass wir schon da sind, wo wir sein wollen." Er blickte sehr ernst dabei, fast vorwurfsvoll.