Tränen flossen, Pfiffe und Buhrufe hallten über den Nikolaikirchhof in Leipzigs Innenstadt. Gerade hatte IOC-Präsident Jacques Rogge bekannt gegeben, dass Leipzig aus dem Rennen um die Olympischen Spiele 2012 ausgeschieden ist. Tief enttäuscht und fassungslos reagierten die Menschen auf den Entscheid der Exekutive des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), die Bewerbung ihrer Stadt nicht weiter zu berücksichtigen. Die bis dahin fröhliche Partystimmung kippte und Frustration machte sich breit.
Auf mindestens 10.000 Menschen war die Menge angewachsen, die sich Herzen der City versammelt hatte, um gemeinsam die Bekanntgabe der Kandidatenstädte zu erleben und anschließend zu feiern. Auffallend viele Menschen hatten das blaue T-Shirt mit der Aufschrift "Leipzig 2012 - One family" übergestreift - unter diesem Motto hatte die Bewerbung der sächsischen Messestadt gestanden.
Kirche, Sport und Kunst haben viel gemeinsam
Zuversichtlich äußerte sich vor Bekanntgabe des Ergebnisses noch der Pfarrer der weltbekannten Nikolaikirche, Christian Führer. Zwar sei das Engagement der Kirche für den Sport eher ungewöhnlich, gab der protestantische Geistliche zu. "Aber Kirche, Sport und auch Kunst haben gemeinsam, dass sie grenzüberschreitend und völkerverbindend sind und dem Frieden dienen", sagte er. Deshalb war es im November vergangenen Jahres auch gelungen, tausende Teilnehmer zu einer von der Nikolaikirche ausgehenden Montagsdemonstration zu Gunsten der Olympiabewerbung zu bewegen.
Damals war die Bewerbung der Messestadt gerade an einem Tiefpunkt angelangt. Stasi-Vorwürfe gegen einen Geschäftsführer, der Verdacht von Untreue und ungerechtfertigter Provisionszahlungen, Diskussionen um angebliche Spitzengehälter für leitende Mitarbeiter der Bewerbergesellschaft - die Zustimmung in ganz Deutschland bröckelte langsam ab.
Mit Zühlsdorff steuerte das Boot wieder in ruhigem Fahrwasser
Doch spätestens als der Ex-Wella-Manager Peter Zühlsdorff das Ruder in die Hand nahm, steuerte das Bewerbungsboot wider in ruhigem Fahrwasser. Zühlsdorff, der für ein symbolisches Gehalt von einem Euro gearbeitet hat, war den Tränen nahe, als das Aus für die von ihm verantwortete Bewerbung kam.
Für Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee war der Tag der Niederlage trotz allem ein Tag der Vorausschau. Nur eine Stunde nach dem Negativ-Entscheid aus Lausanne sagte der SPD-Politiker, dass er eine erneute Bewerbung seiner Stadt für 2016 nicht grundsätzlich ausschließe. Zunächst aber würden die Gründe, die zum Ausscheiden Leipzigs geführt hätten, gründlich und kritisch analysiert, kündigte er an.
Bis zum Nachmittag hatte sich der Nikolaikirchhof dann deutlich geleert, war die geplante Jubelfeier zum Trauerspiel geworden. Nur noch um die 2000 Menschen mochten noch mit Künstlern wie Bell, Book and Candle oder den Puhdys feiern. Zu tief saß offenbar der Schmerz bei den Menschen, die "mit Löwenmut angetreten waren und eine gute Visitenkarte für Deutschland abgegeben haben", wie es Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe ausdrückt hatte, der extra nach Leipzig gereist war.
Wortmanns Imagefilm muss umgeschnitten werden
Wegen der Niederlage in Lausanne wurden zwei Programmpunkte gestrichen: Eigentlich hätte die Bewerbergesellschaft ein Maskottchen vorstellen wollen, außerdem sollte ein Imagefilm von Erfolgsregisseur Sönke Wortmann erstmals aufgeführt werden. Als Maskottchen vorgesehen war das Wappentier der Stadt Leipzig, der Löwe, der als Plüschtier in Lebensgröße zum Tag der Entscheidung in Leipzig präsentiert werden sollte. Den Film muss Wortmann nun wohl umschneiden, hatte er doch versprochen, dass die Aufnahmen auch dann noch verarbeitet werden können, falls Leipzig nicht in den Endausscheid vordringen sollte.
Die Niederlage Leipzigs schon in der Vorentscheidung rang auch anderer Prominenz Mitleid und tröstende Worte ab: Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) gratuliere den Kandidaten-Städten, "aber auch den Leipzigern und Rostockern, die eine hervorragende Bewerbung hervorgebracht haben. Wir können stolz auf die Bewerbung sein". Auch Paris habe sich schließlich zwei Mal erfolglos beworben, bevor es heute in die Endauswahl gekommen ist.
Der scheidende Bundespräsident Johannes Rau hat die Leipziger und Rostocker Bürger aufgerufen, sich jetzt nicht entmutigen zu lassen. Die Investitionen beider Städte in Geld und Engagement "werden sich sicherlich lohnen", sagte Rau nach Angaben seines Amtes in einem Telefonat mit dem Leipziger Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee. Die Bewerbung der Städte für die Olympia-Austragung sei "hervorragend" gewesen, so Rau.
Kanzler Schröder macht Mut
Aufs Mutmachen konzentrierte sich auch Bundeskanzler Gerhard Schröder. Der "Leipziger Volkszeitung" sagte er: "Es ist schade. Leipzig hat eine gute Bewerbung abgeliefert. Die Stadt ist zu einem weltweiten Sympathieträger für Deutschland geworden. Nicht traurig sein, wenn es beim ersten Mal noch nicht geklappt hat: Darauf kann man aufbauen."
Enttäuscht gab sich auch Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt: "Die Menschen haben zusammengestanden wie die fünf olympischen Ringe. Wir haben an Leipzig geglaubt und auch Deutschland hat an Leipzig geglaubt."
Nein kein Aus für Deutschland
"Ich hätte mir sehr gewünscht, dass Leipzig in die nächste Runde kommt. Dennoch sollte man nicht außer Betracht lassen, dass Leipzig immerhin die Runden in Deutschland gewonnen hat, dass es überhaupt in diesen Wettbewerb kam. Und deshalb ist es für die Stadt und die Region unterm Strich eine Ermutigung und Ansporn weiterzumachen", sagte CDU-Chefin Angela Merkel und Oppositionskollege Guido Westerwelle (FDP) glaubt, "dass Leipzig genauso wie die Region Rostock gut aufgestellt war und mithalten kann mit anderen Bewerbern." Dieses Nein sei kein Aus für Deutschland oder Leipzig.
Walther Tröger, IOC-Mitglied und NOK-Ehrenpräsident nimmt die Entscheidung sportlich: "Es ist eine knappe Niederlage, und deswegen ist es schon enttäuschend. Einige der Vorstellungen, die Leipzig für sich und das IOC entwickelt hat, sind nicht zum Tragen gekommen." Sein Komitee-Präsident Jacques Rogge sprach Leipzig nicht grundsätzlich das Potenzial für die Spiele ab, "nur in dieser Phase ist die Stadt nicht in Lage, exzellente Spiele durchzuführen. Das Potenzial ist da, aber für 2012 ist es offenbar nicht genug."
Tony Blair war von der Kandidatur nicht überrascht
In den Kandidaten-Ländern herrschte naturgemäß Freude, wenn auch einigerorts eher zurückhaltende. So erklärte der französische Staatspräsident Jacques Chirac: "Frankreich und das französische Volk unterstützen die Kandidatur von Paris mit Entschlossenheit und Begeisterung." Der britische Premierminister Tony Blair sagte dagegen, die Nominierung der Londons habe ihn nicht überrascht: "Eine Menge Arbeit ist geleistet worden, um sicherzustellen, dass Londons Bewerbung zu unvergesslichen Spielen führen wird." Ebenfalls zurückhaltender äußerte sich der Leiter des New Yorker Bewerbungskomitees, Dan Doctoroff: "Unser zehn Jahre alter olympischer Traum ist heute einen bedeutenden Schritt vorangekommen."