Der Fall der Eiskunstläuferin Kamila Walijewa ist kompliziert. Deshalb ist es verständlich, wenn der Internationale Sportgerichtshof Cas nach einer Anhörung entschieden hat, dass die 15-Jährige zum Einzelwettbewerb antreten darf – trotz mutmaßlichen Dopings. Es ging bei dem vorläufigen Urteil nicht um Schuld oder Unschuld, sondern um die Frage, ob die russische Anti-Doping-Agentur Rusada die Sperre gegen Walijewa nach nur einem Tag wieder aufheben durfte. Ein endgültiges Urteil muss nach einem regulären Verfahren gefällt werden. Die Cas-Entscheidung ist auch deshalb angemessen, weil das Gericht eine junge Athletin zu schützen versucht, die mutmaßlich die geringste oder gar keine Schuld trifft. Dass der Wettbewerb im olympischen Eiskunstlaufen dadurch möglicherweise verzerrt wird, ist nicht mehr zu ändern.
Sollte das Doping endgültig nachgewiesen werden, und davon darf man ausgehen, ist die Dimension des Falls gewaltig – und wirft ganz grundlegende Fragen auf. Zunächst ist eine gründliche Aufklärung notwendig. Wie kann es sein, dass es sechs Wochen brauchte, bevor ein Ergebnis feststand? Warum wurde die Probe von der russischen Anti-Doping-Agentur Rusada nicht mit einem Dringlichkeitshinweis angesichts der bevorstehenden Winterspiele versehen? Wer ist dafür verantwortlich, dass sich im Blut eines Teenies ein bekanntes Doping-Mittel findet? Wie kann man junge Athleten besser vor Ausbeutung schützen?
Der Umgang des IOC mit Russland ist wachsweich
Sucht man nach Antworten, wird man nicht nur auf ein mutmaßlich kriminelles Verhalten bei den russischen Verantwortlichen stoßen, sondern auch auf das Internationale Olympische Komitee und Präsident Thomas Bach. Oberflächlich betrachtet sind sie raus aus dem Spiel. Das IOC wie auch die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada haben vor dem Cas geklagt und versucht, den Antritt Walijewas zu verhindern. Es wäre eine einfache Lösung gewesen, der Fall schnell aus den Medien verschwunden und das Thema (vorerst) beerdigt.
So aber wird der Blick auf den wachsweichen Umgang des IOC mit Russland gelenkt. Mal wieder. Zur Erinnerung: Das Land ist offiziell von den Olympischen Spielen ausgeschlossen. Grund dafür war ursprünglich das nachgewiesene Staatsdoping rund um die Winterspiele von Sotschi. Das IOC bestrafte Russland mit dem Ausschluss von den Sommerspielen in Rio de Janeiero. Fand aber einen Kompromiss, um die Strafe abzumildern: Die Athleten dürfen antreten, nur nicht unter russischer Flagge. Und bei Siegerehrungen ertönt Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1 statt der russischen Hymne. 2019 verhängte die Wada (als diesmal zuständige Instanz) eine erneute Sperre für die Spiele in Tokio und Peking und für die Fußball-WM in Katar 2022, weil Russland Doping-Daten, die es zur Untersuchung vorlegen sollte, massiv gefälscht hatte.
Auswertung der Probe wurde offenbar verzögert
Und nun der Fall Walijewa. Der zeigt schon jetzt, dass der schonende Umgang des IOC mit Russland nichts bewirkt hat und eine mutmaßlich gedopte Eiskunstläuferin durch das Kontrollnetz geschlüpft ist. Offenbar wurde von russischer Seite alles getan, um die Auswertung der Probe zu verzögern. Noch lächerlicher sind die Erklärungsversuche durch die Anwälte Walijewas. Sie habe aus einem verunreinigten Glas ihres Großvaters getrunken. Acht Jahre nach Aufdeckung des staatlichen Dopings in Russland zeigt sich nun: Das IOC hat im Umgang mit dem Skandal eine große Chance verpasst. Dass es überhaupt zu einem Fall Walijewa kam, liegt auch in der Verantwortung des IOCs.