Team Astana Alles für den Sieg und Kasachstan

Sie sollen ihrem Land Respekt verschaffen: Im Auftrag Kasachstans kämpft das Team Astana um das Gelbe Trikot bei der Tour de France. Doch kein anderer Rennstall steht so unter Verdacht: gedopte Fahrer, zweifelhafte Ärzte und Berater mit dunkler Vergangenheit.

Kurz vor dem Start, die Triebwerke laufen schon, erhebt sich Danijal Achmetow aus seinem weißen Ledersessel. Er schreitet durch den Mittelgang, durchgedrückt das Kreuz, starr der Blick, die Kinnspitze leicht angehoben, wie bei einer Militärparade. In Höhe von Reihe sechs, Sitzplatz A, bleibt Achmetow stehen. "Sascha!", ruft er, und plötzlich weicht die ganze Spannung aus ihm. Seine Arme umfließen einen blonden Mann in schwarzer Trainingsjacke, Achmetow hat jetzt hundert Hände, er fährt seinem Sascha durchs Haar, krault ihm den Nacken, streicht über seinen Rücken. Für Sekunden stehen sie so im Gang, Wange an Wange, Danijal Achmetow, Verteidigungsminister der Republik Kasachstan, und Alexander Winokurow, Kapitän des Radrennstalls Team Astana. Die Reise an diesem Morgen geht nach Karagandy, in ein graues Bergbaurevier, eine halbe Flugstunde von der Hauptstadt Astana entfernt. Hier findet die kasachstanische Meisterschaft im Radsport statt. Für Achmetow ist Karagandy nur ein kurzer Zwischenstopp auf seinem Weg zum großen Ziel. "Es spielt keine Rolle, ob Sascha heute Meister wird", sagt er. "Er muss das Gelbe Trikot bei der Tour de France holen. Ich will endlich dieses Trikot."

Achmetow, im Nebenjob Präsident des nationalen Radverbandes, macht alles für den Tour-Sieg. Im Herbst vergangenen Jahres kaufte er mithilfe heimischer Unternehmen für geschätzte 13 Millionen Euro ein Weltklasseteam zusammen, das Winokurow zum Triumph in Frankreich führen soll. Und wohl auch wird, wenn nicht noch mehr passiert. Wenn zum Beispiel nicht noch weitere Astana-Fahrer bei Dopingkontrollen positiv getestet werden. Matthias Kessler, Winokurows wichtigster Helfer, und der Wasserträger Eddy Mazzoleni sind vor Kurzem mit unnatürlichen Testosteronwerten aufgefallen. Mazzoleni erhielt zudem eine Ladung des Olympischen Komitees Italiens und muss über seine Beziehung zu Carlo Santuccione, einem Vertrauten des spanischen Dopingarztes Eufemiano Fuentes, aussagen.

Das Team Astana ist das stärkste Radteam, das am Samstag an den Start der 94. Tour de France geht. Und zugleich das geheimnisvollste. Es igelt sich ein, die Fahrer geben keine Interviews, sie wittern überall Missgunst, fühlen sich grundlos verdächtigt, das Dauerthema Doping - für sie alles üble Gerüchte. Mannschaftskapitän Winokurow sagt, man werde die passende Antwort auf der Straße geben. Bloß auf welche Frage? Der Radsport steckt in seiner größten Krise, nahezu im Wochentakt gesteht irgendein Fahrer, dass er gedopt hat und dass alle davon wussten. Die eigentliche Frage lautet, ob man überhaupt noch jemandem trauen kann in diesem Sport. Und nicht, wer die Tour gewinnt. Ob nach der großen Beichte nicht der nächste große Betrug kommt, mit neuen Dopingmitteln und der alten kriminellen Energie.

Winokurows Truppe geht mit schwerem Gepäck ins Rennen. Die Unschuldsvermutung im Radsport gilt nicht mehr. Auf jedem Team, das in Frankreich startet, lastet ein Generalverdacht. Bei Astana aber ist da noch mehr. Dopingsünder, ein Sportdirektor und ein Berater mit fragwürdiger Vergangenheit, dazu dieses Schweigen, das die Zweifel nicht ersticken kann, sondern wachsen lässt. Astana, der große Favorit, muss sogar fürchten, noch von der Tour ausgeschlossen zu werden. Zwei Dopingfälle innerhalb eines Jahres werden nach dem Ehrenkodex des Pro-Tour-Teams mit einer Sperre der kompletten Mannschaft für acht Tage bestraft. Entscheidend ist jetzt, ob die Vereinigung der Spitzenteams schnell reagiert - oder die Fälle Kessler und Mazzoleni erst nach der Tour verhandelt.

Der Minister vetraut ihm


Am liebsten würde auch Team-Manager Marc Biver, früher Direktor der Tour de Suisse, weiter schweigen. Doch das ist in diesen Tagen kaum möglich. Am Abend vor der kasachstanischen Meisterschaft sitzt Biver im Hotel in Astana. Er ist gereizt, auf Fragen zum Thema Doping antwortet er meist mit Gegenfragen. Er findet, die ganze Sache werde künstlich dramatisiert. "Kessler und Mazzoleni sind bloß Einzelfälle", sagt Biver, "deshalb darf doch nicht die ganze Mannschaft in den Schmutz gezogen werden." Von einer Mitschuld des Teams, von zu schwachen internen Kontrollen will er nichts hören. "Blödsinn. Ich habe ja auch keine Ahnung, ob meine Fahrer nur mit ihren Ehefrauen schlafen oder Affären haben. Wie kann ich dann wissen, was sie für Medikamente nehmen?" Danijal Achmetow weiß mehr. Er schwört, dass alle kasachstanischen Fahrer bei Astana sauber sind. "Ich kenne sie schon so lange, damals waren sie noch Kinder", sagt er und schwingt sein Brillenetui wie einen Taktstock, seine Stimme singt jetzt: "Winokurow, Bazajew, Kaschetschkin, Jakowlew, Murajew. Ich kenne ihre Fähigkeiten. Die Jungs sind so stark, sie brauchen keine verbotenen Mittel."

Vielleicht glaubt Achmetow wirklich, was er erzählt, die Legende von den Naturburschen, die schon immer etwas mehr Kraft in den Beinen hatten als alle anderen. Vielleicht ist Achmetow aber auch ein guter Verdränger oder Schlimmeres. Winokurow, sein Sascha, hat gerade zugegeben, Kunde des italienischen Mediziners Michele Ferrari zu sein. Ferrari betreue ihn nur als Coach, sagt er, nicht als Arzt. Berühmt geworden ist Ferrari allerdings nicht durch sein hartes Training, sondern durch seine Pionierarbeiten beim Blutdoping. Ferrari wird "Dottore Epo" genannt. Auch zum Spanier Eufemanio Fuentes könnte Winokurow Kontakt gehabt haben. Diesen Verdacht legt ein Interview des "Spiegel" mit Jörg Jaksche nahe, der gemeinsam mit Winokurow für Liberty Seguros fuhr und in Tony Rominger zeitweise denselben Manager hatte. In Karagandy regnet es wie aus Kübeln, aber Danijal Achmetow stört das nicht. Er läuft durch den Zielraum, die Ergebnisliste flattert in seiner Hand, die Leibwächter mit dem Regenschirm kommen kaum hinterher. Dem neuen Meister Maxim Iglinski schlägt Achmetow im Vorbeigehen auf die Schulter, der Zweite Andreij Mizurow, ebenfalls Astana-Profi, bekommt einen Klaps. Achmetow sucht nach Talenten, nach einem neuen Winokurow. "Nächstes Jahr müsst ihr mir einen richtigen Kerl bringen", ruft er den Trainern zu. "Einen, der es auch in Europa packt."

Europa. Das ist ein großes Wort für Achmetow. Ein Ort der Sehnsucht. Sein Kasachstan soll irgendwie dazugehören, es soll respektiert werden als Industrienation, als wichtige Stimme in der internationalen Politik. "Wer weiß denn schon, dass wir das neuntgrößte Land der Erde sind?", sagt er. "Dass wir Bodenschätze haben, Öl, Gas, Zink, und dazu viele kluge Köpfe?" Über den Borat-Film, eine Satire, die Kasachstan im vergangenen Jahr für ein paar Wochen berühmt gemacht hat als Land der Deppen aus der Steppe, verliert Achmetow keinen Ton. Und doch ist Borat der Hintergrund eines jeden Satzes, den er über sein Land sagt. Es geht darum, etwas geradezurücken. Europa ist für Achmetow eine Sehnsucht, aber im Moment auch noch ein Gegner. Einer, dem man die eigene Stärke beweisen muss. Und wie ginge das besser als mit Erfolgen? 2009 will Kasachstan den Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die Chancen stehen gut, aber das heißt noch zwei Jahre warten. Achmetow will schon jetzt eine Botschaft in die Welt senden. Und im Juli wird die Welt, die Sportwelt zumindest, drei Wochen lang nach Frankreich blicken. Achmetow sagt: "Jede Sekunde, die das Astana-Team bei Eurosport im Bild ist, ist gut für Kasachstan."

Sie fühlen sich grundlos verfolgt
Biver spürt diesen Druck, er weiß, dass die Hoffnungen des Landes auf ihm lasten. Er hat große Namen gekauft, Klöden, Salvodelli, Kaschetschkin. Eigentlich kann nichts schiefgehen. Und doch alles. Nicht nur die Dopingfälle Kessler und Mazzoleni können Astana den Tour-Start kosten. Gut möglich, dass auch noch der Sportliche Leiter Mario Kummer zum Verhängnis werden wird. Im Mai meldete die "Neue Zürcher Zeitung", Kummer habe gegenüber Biver eingeräumt, in seiner Zeit als Radprofi gedopt zu haben, und sie zitiert Biver mit den Worten: "Dieses Geständnis genügt mir." Heute sagt Biver, er sei missverstanden worden. Ihn interessiere überhaupt nicht, "was Mario in den 90er Jahren gemacht hat und was nicht". Auch die Vergangenheit seines Technical Managers Walter Godefroot ist Biver egal. Godefroot war von 1992 bis 2005 Chef der Radrennställe Team Telekom und T-Mobile. In den letzten Wochen ist er von mehreren ehemaligen Telekom-Fahrern schwer belastet worden. Godefroot soll über das systematische Doping in seinem Team informiert gewesen sein und es auch gefördert haben. Biver sagt: "Ich kenne Walter seit 14 Jahren. Ich respektiere ihn, und daran wird sich nichts ändern." Die Bedeutung Godefroots sieht Biver in den Medien sowieso verzerrt dargestellt. Er sei nur Berater gewesen. "Es war ein Freundschaftsdienst."

Von Freundschaft kann bei Alexander Winokurow und Andreas Klöden nicht die Rede sein. Klöden, der derzeit beste deutsche Fahrer und Freund von Jan Ullrich, soll ein gespanntes Verhältnis zum Kapitän besitzen. Schon während ihrer gemeinsamen Zeit im Team Telekom und später bei T-Mobile haben sich die beiden wortkargen Männer nicht verstanden. Winokurow beklagte sich intern, dass Klöden nicht genügend für ihn arbeite. Biver will die alten Geschichten nicht hören. Er spricht lieber "vom Blick nach vorn", von "Visionen" für den Radsport. Biver, ein gebürtiger Luxemburger, passt gut nach Astana, die Stadt, die seinem Team den Namen gegeben hat. Auch in Astana darf es keine Vergangenheit geben, die Plattensiedlungen aus Sowjetzeiten werden abgerissen, alles muss jetzt nach Europa aussehen. 1,2 Milliarden Euro sind schon verbaut worden. Man läuft nun durch Straßenschluchten wie in London, in denen sich verspiegelte Wolkenkratzer gegenseitig das Licht stehlen, vorbei an Toren, die an den Arc de Triomphe erinnern, sieht Brunnen, die auch in Rom oder Florenz sprudeln könnten.

Die Mannschaft Astana hat spanische Wurzeln. Sie ging aus dem Team Liberty Seguros hervor und hatte 2006 so viele Dopingverdächtige, dass es nicht genügend Fahrer für die Tour zusammenbekam. Seit seiner Gründung im Sommer vergangenen Jahres steht Astana deshalb unter scharfer Beobachtung des Weltverbandes. Und nach den Anschuldigungen gegen Godefroot, Kummer und Winokurow werden die Kontrolleure noch misstrauischer sein. So leicht wie die Stadt wird das Team Astana seine Vergangenheit nicht los.

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