Lieber Tim,
früher saß ich im Bremer Weserstadion und rief nach starken Paraden "Wiese! Wiese!". Manchmal hallten die Rufe der Fans fast eine halbe Minute durchs Stadion. Es muss ein super Gefühl gewesen sein. Du spieltest Champions League, wurdest Nationalkeeper, in Bremen mochte man dich, obwohl du gar nicht so richtig zum Understatement des Clubs passen wolltest. Und jetzt stehst du im Wrestling-Ring - und "Wiese, Wiese"-Rufe füllen die Frankfurter Festhalle. Alles was du dafür tun musstest? Deine Muckis anspannen. Das muss ein schöner Ego-Booster sein. Ganz geil eigentlich. Ich will dich trotzdem von dem Quatsch abhalten.
Es ist nicht so, dass ich Wrestling verabscheue. Das Ganze ist witzig. Irgendwelche Bekloppten schlagen sich spaßeshalber die Köpfe ein. Eine große Show, die unterhält. Daran ist nichts verkehrt. Für dich macht es dennoch Sinn, zu sagen: Das mache ich nicht.
Deine Show
Ich gebe zu, auf den ersten Blick passt alles viel zu gut zusammen. Du liebst die Show, hast sie schon auf dem Platz gemocht. Du hast Paraden zelebriert und dich auch schon mal (zu viel) abgerollt. Du hast Gegner mit Kung-Fu-Tritten eingeschüchtert und markige Worte rausgehauen. Dennoch hast du nach den ersten Jahren deiner Karriere gemerkt, worauf es ankommt. Weniger ist mehr. Das galt für deine übertriebenen Paraden, und für dein Gewicht. Das Ergebnis? Beim Fußball hast du mit deiner Leistung für die Show gesorgt.
Wrestling ist da anders. Man spielt mit - oder nicht. Deinen Charakter kannst du vielleicht ein Stück weit bestimmen. Aber kaum seine Auf und Abs, seine Entwicklung. Du wirst instrumentalisiert. Die Show wird dich steuern. Nicht andersherum. Selbst wenn dir mal nicht danach sein sollte: Du stehst ständig unter Druck, die Fassade aufrechtzuerhalten.
Willst du wirklich ins Dschungelcamp?
Du wirst also Sklave des Showgeschäfts. Nach ein paar Jahren Wrestling eignest du dich dann super fürs Dschungelcamp. Oder für Promi-Big-Brother. Das ist zwar vielleicht auch lustig, aber mit deiner Leistung kannst du dort maximal die nächste Prüfung beeinflussen.
Also, Tim. Verzichte auf die kurzfristigen Ego-Booster. Geh weiter ins Fitness-Studio, mach' vielleicht Body-Building. Da zählt jedenfalls deine Trainingsleistung. Vielleicht fragst du auch einfach mal bei deinem alten Kumpel Torsten Frings nach. Du könntest schließlich Torwart-Trainer in der Werder-Jugend werden. Die "Wiese, Wiese"-Rufe im Weserstadion hast du dir jedenfalls hart erarbeitet. Behalte sie in guter Erinnerung.
