Tour de France Schnell wie Außerirdische: Vingegaard und Pogacar sind die stärksten Fahrer aller Zeiten – das ruft Skepsis hervor

Verbissener Zweikampf in den Alpen am Col de Joux Plane: Jonas Vingegaard vor Tadej Pogacar
Verbissener Zweikampf in den Alpen am Col de Joux Plane: Jonas Vingegaard vor Tadej Pogacar
© Bernard Papon / AFP
Das Duell der Ausnahmefahrer Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar dominiert die Tour de France. Die beiden zeigen Leistungen wie von einem anderen Stern. Dass sie sogar schneller sind als zu Zeiten des Hochdopings, ruft Skepsis hervor.

Jonas Vingegaard flog nur so über die Straße. Der Träger des Gelben Trikots zeigte beim Bergzeitfahren auf der 16. Etappe der diesjährigen Tour de France eine Leistung wie von "einem anderen Stern", wie es Rolf Aldag ausdrückte, Sportdirektor der deutschen Bora-hansgrohe-Mannschaft. Sogar Vingegaard selbst schien sich über seine außergewöhnlichen Fähigkeiten zu wundern. "Das habe ich überhaupt nicht erwartet. Heute habe ich mich selbst überrascht", sagte der komplett ausgepumpte, aber glückliche Däne im Ziel am Fuß des Mont Blancs.

Vingegaard hatte über die 22,4 Kilometer seinen Konkurrenten um das Gelbe Trikot, Tadej Pogacar um 1:38 Minuten abgehängt, und die Führung auf 1:48 Minuten ausgebaut. Das ist schon ein recht komfortabler Vorsprung, aber nicht die Entscheidung.

Die "Aliens" des Radsports

Der Slowene Pogacar vom Team UAE hatte da noch zwei Gelegenheiten, Vingegaard zu kontern. Doch auf der Königsetappe am Mittwoch verspielte er alles. Auf dem letzten Ritt durch die Alpen flog Vingegaard dem Rivalen davon. Der Däne wurde am Ende Vierter und baute seinen Vorsprung im Gesamtklassement auf 7:35 Minuten aus – damit ist die Tour entschieden. 5100 Höhenmeter mit vier Anstiegen absolvierten die Fahrer, bis sie mit dem Col de la Loze den höchsten Gipfel in diesen drei Wochen erreichten. Er liegt in einer Höhe von 2304 Metern, das Ziel in Courchevel auf 2000 Metern Höhe. Da ist die Luft schon recht dünn, doch Vingegaard kletterte seinem Kontrahenten einfach davon. Die Gelegenheit, Vingegaard etwas Zeit zu klauen, gibt es für Pogacar auf der vorletzten Etappe in den Vogesen. Den zweiten Toursieg des Dänen wird er nicht verhindern. 

Doch trotz des Vorsprungs, den Vingeaard jetzt herausgefahren hat: Das Duell der beiden Ausnahme-Fahrer hat diese Tour geprägt, genauso wie im vergangenen Jahr. Für beide Athleten, die in ihrer eigenen Liga fahren, hat sich mittlerweile das Wort "Aliens" ("Außerirdische") etabliert, weil es eher den Eindruck macht, als seien sie mit ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten von einem weit entfernten Radsport-Planeten zur Erde gebeamt worden, um die hiesige Szene aufzumischen.

Jonas Vingegaard schockte die Konkurrenz durch seinen überirdischen Auftritt beim Berg-Zeitfahren auf der 16. Etappe
Jonas Vingegaard schockte die Konkurrenz durch seinen überirdischen Auftritt beim Berg-Zeitfahren auf der 16. Etappe
© Jasper Jacobs / DPA

Wie außergewöhnlich die Leistungen sind, belegen Messungen und Berechnungen, die Sportwischenschaftler oder ehemalige Fahrer in den sozialen Medien anstellen. Eine exakte Wissenschaft ist das nicht, doch kommen dabei einige Fakten heraus, die nahelegen: Vingegaar und Pogacar sind die besten Radrennfahrer, die dieser Sport jemals gesehen hat. Das fällt auch deshalb besonders auf, weil die diesjährige Frankreich-Rundfahrt als die anspruchsvollste der jüngeren Geschichte gilt. Die Fahrer müssen 2023 acht Bergettappen mit insgesamt 55.000 Höhenmetern fahren. Flache Passagen, in denen sich die Fahrer erholen können, sind weniger geworden. Gerade vor diesem Hintergrund stechen die Leistungen noch stärker hervor.

Rekord am Tourmalet

Nur ein Beispiel, woran sich die Behauptung festmachen lässt: Pogacar und Vingegaard absolvierten den Anstieg zum Tourmalet in den Pyrenäen so schnell wie kein Fahrer zuvor. Es qeht über 17 Kilometer auf eine Höhe von 2100 Metern. Der Col de Tourmalet gehört zum Härtesten, was die Tour zu bieten hat. 30 Jahre lang hielt der Rekord von Zenon Jaskula und Tony Rominger. Weder Giganten wie Miguel Indurain, Lance Armstrong, Jan Ullrich oder Alberto Contador brachen den Rekord, sondern erst Vingeggard und Pogacar. Ihre 45:34 Minuten sind 14 Sekunden schneller. Damit waren sie 2:02 Minuten schneller als einst Lance Armstrong und Jan Ullrich. 2009, nach den großen Doping-Skandalen, brauchte die Spitzengruppe um Thomas Voeckler sogar 52:56 Minuten.

Selbstverständlich kommt in einem Sport, in dem Doping immer eine große Rolle spielte und der in den 90er und 00er Jahren komplett verseucht war, sofort der Verdacht auf, dass bei den außergewöhnlichen Leistungen nicht alles mit rechten Dingen zugehe.

Belege dafür gibt es nicht. Vingegaard geht recht souverän mit dem Thema um. Schon nach seinem ersten Toursieg vor einem Jahr beantwortete er alle Fragen. Der 26-Jährige wiegelt nicht ab oder ist bei Nachfragen schlecht gelaunt, sondern erklärt freimütig. Er sei absolut sauber. Deshalb mache ihn der Toursieg 2022 besondeers stolz, sagte er in der ARD-Doku "Mythos Tour". "Die Ernährung, das Material, das Training. Alles hat sich verändert“, sagt er, wenn es darum geht, die ungewöhnlichen Leistungen zu erklären. 

Es gibt neue Methoden der Leistungsoptimierung

Tatsache ist: Seit 2015 hat es keinen positiven Dopingfall auf der Tour de France gegeben. Experten bescheinigen, dass die Kontrollen engmaschig und besser geworden seien. Der Radsport habe definitiv Fortschritte gemacht. 

Dennoch muss man davon ausgehen, dass leistungssteigernde Maßnahmen und Mittel eingesetzt werden. Im vergangenen Jahr erklärte der Anti-Doping-Experte Fritz Sörgel dem stern, dass "Mikrodosierung" eine Rolle spielen könnte. Ob Epo, Testosteron oder Wachstumshormone – auch in kleinsten Dosen entfalten die Stoffe ihre Wirkung und sind nur für einen kurzen Zeitraum nachweisbar. 

Was aber bedeutender zu sein scheint, sind die legalen Möglichkeiten der modernen Medizin. Die Radsport-Teams haben sich in diesem Bereich professionalisiert. So kommen zum Beispiel Ketone zum Einsatz. Ketone sind eine natürlich Stoffgruppe, die die Ausdauer verstärken und die Erholung beschleunigen. Sie werden in der Leber gebildet, wenn dem Körper die Kohlehydrate ausgehen und es bei Belastungen ans Körperfett geht. Das Team Jumbo-Visma von Vingegaard arbeitete in den vergangenen Jahren ganz offen mit Ketonen. Verboten ist das nicht.  

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