Sportwetten haben schon unzählige Fans um ihr Geld gebracht. Insbesondere die Online-Anbieter locken mit dem Versprechen, mit nur wenigen Klicks auf dem Smartphone oder der PC-Tastatur, ein Spiel zu "deinem Spiel" zu machen. Was viele Spieler dabei nicht wissen: Lange Zeit bewegten sich die Wettanbieter mit ihren Homepages und Apps in einem rechtlichen Graubereich. Eigentlich hatten sie gar keine Lizenz, um Online-Wetten anzubieten. Nun hat das Oberlandesgericht Dresden (OLG) ein Urteil gefällt, das für Spieler, die Geld in illegalen Sportwetten verloren haben, wegweisend sein könnte.
Oberlandesgericht Dresden: Sportwetten-Anbieter muss Spieler Verluste zurückzahlen
Das Startup "Chargeback24" und seine Partnerkanzlei "HFS Rechtsanwälte" vertreten Spielerinnen und Spieler, die bei illegalen Online-Wettanbietern Geld verloren haben und es nun zurückfordern. In der vergangenen Woche konnten sie vor dem OLG Dresden erwirken, dass ihr Mandant seine gesamten Verluste plus fünf Prozent Zinsen von einem Wettanbieter zurückerhalten muss – insgesamt knapp 12.600 Euro.
Das Urteil könnte ein Wegweiser für die ganze Branche – und insbesondere für die Spielerinnen und Spieler sein. "Das ist das erste Mal, dass ein OLG geurteilt hat, dass die Verluste aus Sportwetten bei einem Anbieter ohne Lizenz zurückzuzahlen sind", erklärt Thomas Schopf, Rechtsanwalt der Kanzlei "HFS Rechtsanwälte" im Gespräch mit dem stern.
Derzeit gebe es eine ganze Klagewelle gegen die Anbieter von Online-Glücksspiel, so der Jurist. Im Falle von Online-Casinos sei die Rechtslage mittlerweile sehr klar: "Casino-Spiele waren bis Mitte 2021 komplett verboten im Internet. Es gab keine Möglichkeit, hierfür eine Lizenz zu bekommen", so Schopf. Erst mit der Erneuerung des Glücksspielstaatsvertrags wurde der Online-Casino-Markt in Deutschland geöffnet.
OLG Dresden: Online-Wettanbieter ohne Lizenz durften und dürfen kein Geschäft machen
Bei Sportwetten war die Lage lange Zeit komplizierter. Viele Anbieter bewarben sich zwar um Lizenzen, die ab 2012 in Deutschland vergeben werden sollten. Doch der Vorgang wurde unter anderem wegen mangelnder Transparenz im Vergabeverfahren gestoppt. Ab dieser Zeit bewegten sich die Anbieter in einer Grauzone: Sie hatten zwar keine Lizenz, konnten sie aber auch nicht beantragen. Das Ergebnis war ein Wildwuchs. Immer mehr Anbieter von Sportwetten drängten auf den Markt – online wie offline. Die zuständigen Ämter konnten ihnen kaum etwas entgegen setzen.
Ab diesem Zeitpunkt stritten Gerichte über die Frage: Ist es illegal, wenn Wettanbieter ohne Lizenz ihre Dienste anbieten? "Von 2012 bis 2020 ist der Markt komplett dereguliert bedient worden. Und nun ist die Frage: Kann man den Anbietern vorhalten, dass sie keine Lizenz hatten, wenn der Staat kein funktionierendes Lizenzierungsverfahren hatte? Oder gelten einfach die Regeln, dass die Angebote ohne Lizenz verboten sind?", so Schopf.
"Chargeback24" und die Anwälte der Kanzlei "HFS Rechtsanwälte" hatten und haben hierzu eine klare Meinung: Wer keine Lizenz besitzt, darf auch keine Sportwetten anbieten und damit Geld machen. Das OLG Dresden hat ihnen hierbei zugestimmt.
Spielerinnen und Spieler können Verluste mindestens drei Jahre rückwirkend geltend machen
Florian Friederich, Gründer von Chargeback24, erklärte im Gespräch mit dem stern, die Untergrenze für Rückforderungen liege bei 5001 Euro. Ab dieser Grenze würde der jeweilige Sachverhalt vor dem zuständigen Landgericht verhandelt werden – inklusive einer Vertretung durch einen Rechtsanwalt. Grundsätzlich können 100 Prozent der Verluste bei Sportwettenanbietern ohne Lizenz eingeklagt werden – rückwirkend für mindestens drei Jahre. In den meisten Fällen kommt sogar ein Zeitraum von zehn Jahren infrage. Mit anderen Worten: Wer von 2017 bis Ende 2020 Verluste bei einem Online-Wettanbieter gemacht hat, kann sie in Gänze zurückverlangen. Das jeweilige Landgericht muss dann entscheiden, ob die Rückforderung rechtmäßig ist.
Auch deshalb sei das Urteil des OLG Dresden so entscheidend, erklärt Schopf. "Wenn ein Oberlandesgericht seine Meinung äußert, dann halten sich im Normalfall die darunter liegenden Landgerichte auch alle daran."
Friederich: "Chancen stehen bei 90 Prozent, dass wir Erfolg haben"
Laut Schopf und Friederich stehen die Chancen, vor Gericht mit einer Rückforderung der Spielverluste zu bestehen, gut: "Bei Klagen gegen illegale Online-Casino-Anbieter sehe ich die Chancen bei 95, bei illegalen Online-Sportwetten bei circa 90 Prozent, dass wir Erfolg haben", so Friederich.
Somit können viele Spieler, die in der Vergangenheit Geld verloren haben, ihre Verluste zurückfordern. Insbesondere für Menschen mit einem pathologischen Spielproblem könnte eine solche Rückzahlung eine Chance sein, ihre Finanzen wieder in den Griff zu bekommen.
Das Startup betreue auch Kunden mit teils enormen Verlusten, und somit Rückforderungen: "Im Durchschnitt sind es 43.000 Euro. Wir haben aber mindestens 100 Kunden, die sechsstellig, teilweise sogar siebenstellig verloren haben." Praktisch jeder dieser Klienten habe durch die Spielsucht seine finanziellen Verhältnisse überzogen.
Sportwetten sind in Deutschland ein Riesengeschäft. 2021 erwirtschafteten die Anbieter knapp neun Milliarden Euro Umsatz. Doch trotz der enormen Einnahmen würden flächendeckende Rückforderungen der Jahre bis zur offiziellen Lizenzvergabe die meisten Anbieter wohl in die Pleite treiben. "Realistisch gesehen müssten momentan alle Betreiber Insolvenz anmelden", so Schopf. Das liege vor allem daran, dass die Anbieter wegen des bestehenden Risikos immense Rückstellungen bilden müssten.
Sollten weiterhin immer mehr Menschen ihre Verluste einklagen und die Gerichte würden ihnen weiterhin Recht geben, würde sich der Markt "konsolidieren", da sind sich Schopf und Friederich einig. Einige wenige große Anbieter, die das Geld und gute Anwälte hätten, um Klagen auszufechten oder abzuwehren würden übrig bleiben. Viele kleinere Anbieter würden schon bald verschwinden, so ihre Einschätzung.
Für Friederich und Schopf sind die Klagen gegen illegale Wettanbieter zum Geschäftsmodell geworden. Mit "Chargeback24" gehen sie pro bono in die Klagen – ihre Kunden müssen zunächst nichts dafür bezahlen. Sollten sie mit ihrer Klage scheitern, kommen auf die Kunden keinerlei Kosten zu. Bei einer erfolgreichen Klage berechnet das Startup 39 Prozent der Rückerstattung als Vergütung – egal wie hoch diese ausfällt.
Offenbar ein lukratives Unterfangen. Seit der Gründung vor drei Jahren wachse die Anzahl ihrer Kunden stetig, sagen die Gründer von Chargeback24. Der Markt sei größer, als dass das Unternehmen ihn allein bedienen könne. Auch aus anekdotischen Berichten aus der Spielsuchttherapie könne man hören, dass die Anzahl an wettsüchtigen Menschen in Deutschland massiv steige. Und viele von ihnen hätten Anspruch auf eine Rückerstattung aus illegalen Online-Wetten.