Während ich das hier schreibe, werde ich von der Welt da draußen eingeholt, überrollt und überholt. Italien schließt Schulen, Kirchen, Kitas, Bars und Cafés. Frankreich alle Unis und Schulen. Ach, Dänemark und Litauen auch. Belgien: Schulen, Cafés und Restaurants zu, alle Kundgebungen "unabhängig von ihrer Größe" werden verboten. Österreich macht auch dicht. Fast schon vergessen: Reisestopp für EU-Bürger in die USA. Armageddon an den Märken. Die Welt ist ein Shutdown im Stakkato, unser Leben wird schockgefroren.
Ich schreibe heute im Homeoffice. Früher, also vor vier Wochen, galt das noch als modern. Heute ist es eine Art Schutzbunker, in dem man die Klorollen und Seifenspender zählt.
Der Corona-Ticker rattert und raucht, während man Gedanken sortiert: Absage, Abriegelungen, Abstürze. Das Undenkbare wird nicht nur gedacht, sondern gemacht. Wie lange, fragt man sich, kann man das öffentliche Leben, das man jetzt radikal einschränkt, auch aufrechterhalten? Müllabfuhr, Polizei, Busfahrer, Briefträger, Kassiererin, Ärzte und Krankenschwestern, Feuerwehr – die können nicht Homeoffice machen. Sie sind die neuen Helden der Arbeit. Die Nöte und Kämpfe sind in dieser Stille für uns unsichtbar: der Cafébesitzer ohne Gäste, dessen Kredit weiterläuft. Das Reisebüro, das nur Stornierungen abwickelt. Die Eventagentur, die 80 Prozent ihres Umsatzes verliert.
Es gibt noch keinen Maßstab für die Bekämpfung
Was macht diese Krise so besonders, so einzigartig?
- Ihre Urgewalt: Sie wächst unkontrolliert, sie entzieht sich einer wirksamen Krisenbekämpfung. Wir schließen alles ab und uns ein, mehr nicht.
- Ihre Universalität: Sie trifft potentiell jeden, nicht nur einige Branchen, Unternehmen oder Länder. Sie trifft alle Bereiche des Lebens und wir fragen uns, wann einige davon zusammenbrechen: Gesundheitssystem, Lebensmittelversorgung, Warenströme.
- Es gibt keinen Maßstab: Warum liefen Bundesligaspiele noch weiter, während in manchen Ländern die Schulen geschlossen waren? Nun wagen wir mehr Wuhan: den Shutdown des öffentlichen Lebens.
- Shotdown Open End: Wir wissen nicht, wann diese Krise aufhört – es sei denn, wir verlassen uns auf die Propagandabilder- und zahlen aus China. Immerhin: Nun berichtet auch Südkorea erstmals von mehr Genesungen als Neuinfektionen
Frühere Krisen waren auch umfassend und einschneidend, es gibt allerdings einen Unterschied: Sie war nicht so elementar, denn sie betrafen nicht das soziale Leben. In der Lehman-Krise 2008/2009 und der europäischen Schuldenkrise 2011 gab es Bankenrettungen, Notverstaatlichungen, Einbrüche an den Finanzmärkten, Insolvenzen – und in Ländern wie den USA, Griechenland, Irland oder Spanien haben auch Millionen Menschen unter dieser Krise gelitten, weil sie ihr Haus oder ihren Job verloren haben.
Das soziale Leben aber war intakt, Schulen, Unis, Cafés und Theater blieben offen. Restaurants und Geschäfte verloren einen Teil ihrer Umsätze. Aber sie waren geöffnet. Viele Millionen Menschen haben diese Krise nicht so intensiv und elementar spüren müssen.
Leben mit dem Notstromaggregat
Diese Krise trifft das Finanzsystem, die Wirtschaft, die Politik und die Gesellschaft gleichzeitig, als Ganzes und bis in jede Faser.
An den Finanzmärkten herrscht Chaos, Kapitulation, Panik. Es hieß einmal, niemand solle es wagen, es mit der US-Notenbank Fed aufzunehmen: "Don’t fight the Fed." Ein Virus interessiert das nicht. Notenbanker verhaspeln sich, geben hilflose Signale und verabschieden wirkungslose Pakete. Billionen ins Finanzsystem? Das Virus wütet weiter.
Die Unternehmen versuchen, während ihre Umsätze einbrechen, ihr Überleben zu sichern - das heißt, ihre Funktionstüchtigkeit, ihre Prozesse, die Gesundheit ihrer Mitarbeiter. Es ist vielerorts Wirtschaften mit dem Notstromaggregat. Der gesamte wirtschaftliche Schaden, den diese Krise verursachen wird, ist noch unermesslich. Eine globale Rezession halten viele für ausgemacht, das "V" (also die Erholung nach dem Absturz), das alle ersehnen oder voraussehen, ist derzeit allenfalls eine Fata Morgana.
Politiker üben sich in einem Krisenmanagement, das auch frühere Wirtschaftskrisen in den Schatten stellt. Sie verordnen in einem atemlosen Tempo Eingriffe, die immer drakonischer und einschneidender werden. Wir erleben parallel ein stilles Comeback der Krisenmanager, der abwägenden, klug und entschieden handelnden Politiker. Wie Angela Merkel.
Und wir sehen auch eine Bloßstellung der Egomanen und Dealmaker. Donald Trump, der das Virus zunächst noch herunterspielte, kann Conorna eben keinen Deal vorschlagen. Und er kann ihm auch nicht mit Zöllen drohen. Sein Reiseverbot für Europa wirkte hilflos und willkürlich, und da er unklar ließ, was dies für den Handel bedeuten sollte, brachen die Märkte ein. Vermögensverwalter bezeichneten seine Ansage als „teuerste Rede der Geschichte“. Die größte Gefahr ist derzeit, dass die internationale Koordination zu schwach ist. Derzeit ist jedes Land sich selbst das nächste.
Deutschland hat im Vergleich zu anderen Ländern spät reagiert, die Entschiedenheit war ein Flickenteppich. Wichtig ist jetzt, dass wir die Kraft nutzen, die wir in den vergangenen zehn Jahren Boom sammeln konnten. Unsere Kassen sind voll, die Finanzkraft groß. Wir sollten nicht zögern sie zu nutzen, selbst wenn die Summen gigantisch sind. Es geht vermutlich nur noch darum, ob die Milliardenbeträge zwei- oder dreistellig sind. Wir sollten auch nicht zögern, anderen Ländern mit schwacher Finanzkraft beizuspringen.

Der Mensch ist vorerst kein soziales Wesen
Bleibt unser Alltag, das Leben. Allenfalls in Kriegszeiten hat man es erlebt, dass Theater, Restaurants oder Konzerthallen geschlossen wurden. Das macht diese Krise so neu und bedrohlich, weil sie in selbstverständliche, schöne, alltägliche und zwanglose Dinge eingreift:
Der Besuch bei den Großeltern eine Gefahr? Geschlossene Altersheime? Die Gefährdung fängt, zugespitzt gesagt, beim Latte Macchiato, an. Die Ansage und Warnung der Politik ist: Der Mensch ist vorerst kein soziales Wesen.
Das Gute ist: All das wird zurückkommen, das ist gewiss. Von selbst. Cafés werden sich füllen, Geschirr wird klappern, Espressomaschinen dampfen, Straßen werden brummen und rauschen, Konzert- und Kinosäle sich füllen, Musikanten die S-Bahn beschallen. Das ist der Unterschied zum Finanzsystem: Für unser soziales Leben brauchen wir keine Bad Bank, weil es nicht toxisch ist.
Für den Rest gilt, für unsere Unternehmen und unsere Jobs: Jede Idee, die vor acht Wochen gut war, ist immer noch gut. Jedes Projekt, für das wir vor acht Wochen gekämpft haben, bleibt vermutlich ein gutes Projekt. Keine Innovation, an die wir glauben, wird durch ein Virus infiziert. Wir alle werden schockgefroren, haben vielleicht auch schon Existenzangst.
Vielleicht aber besinnen wir uns dadurch auf das Elementare, das Wesentliche. Vielleicht werden wir spüren, was überflüssig ist in unserem Leben, welche Konferenz, welche Dienstreise, welcher Empfang, der einfach nur Zeit und Kraft kostet. Wir eliminieren gerade auch Bullshit und Smalltalk. Wir werden uns und unsere Familie und Freunde in den kommenden Wochen intensiver spüren als je zuvor, während wir die Welt da draußen abschließen.