Zukunft der Arbeit "Ponyhof"-Spruch: Andrea Nahles fällt der jungen Generation völlig ungerechtfertigt in den Rücken

SPD-Politikerin Andrea Nahles
SPD-Politikerin Andrea Nahles
© Reto Klar / FUNKE Foto Services / Action Press
Mit dem markigen Zitat "Arbeit ist kein Ponyhof" wollte Andrea Nahles, Vorstandsvorsitzende der Agentur für Arbeit, die junge Generation zu mehr Engagement und mehr Kompromissen im Job auffordern. Völlig daneben, findet unsere Autorin.

Andrea Nahles, seit 2022 Vorstandsvorsitzende der Agentur für Arbeit, hatte und hat es nicht gerade leicht innerhalb des gnadenlosen Hauens und Stechens der deutschen Politik. "Als Frau an der Spitze hatte Nahles es doppelt schwer", titelte etwa die "SZ". Als Frau, vor allem, die schon aktiv mitmischte, bevor es eine wirkliche Förderung für Frauen gab, eher toleriert als akzeptiert. Zudem fehlten ihr herausstechende Charaktereigenschaften: Da war kein besonderer Esprit wie bei Annalena Baerbock, keine mütterliche Bodenständigkeit wie bei Angela Merkel, kein Enthusiasmus wie bei Claudia Roth. Als Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD hatte sie wohl auch deshalb keinen leichten Stand. Besonders im Angesicht selbstsicherer männlicher Kollegen wie Olaf Scholz oder Lars Klingbeil. Selbst Scholz diagnostizierte seiner Partei rückblickend einen "ziemlichen frauenfeindlichen Anteil" im Umgang mit der 52-Jährigen.

Als sie 2019 von diesen Ämtern zurücktrat und Platz für diese ehrgeizige Herrenriege machte, wurden aber plötzlich Stimmen laut. Stimmen, die Nahles verteidigten, ihre schwierige Situation als Frau in der Politik anerkannten – als Frau, die es nicht für wichtig erachtet, zu gefallen. Man solle sie nicht für ihren eher spröden Auftritt beurteilen, so die Forderung, sondern für ihre Inhalte, ihre Resilienz und Hartnäckigkeit. Die Gruppe, die gegenüber den väterlich-überheblichen Scholzes und Schröders die Fahne hochhielt für die 52-Jährige: junge Menschen. Die Millenials, die Generation Z, diejenigen, die ganz selbstverständlich damit aufgewachsen sind, dass es nicht um Äußerlichkeiten geht, dass Frauen Jahrzehnte der Benachteilung hinter sich haben und noch immer gegen patriarchale Strukturen kämpfen, dass sie niemandem Nettigkeit oder Charme schulden. Warum also, warum, wendet sich Andrea Nahles nun mit einem abfällgen Satz gegen genau diese Menschen, die ihr damals beistanden?

Andrea Nahles bekam Beistand von der jungen Generation

"Fragen der Work-Life-Balance müssen neu ausgehandelt werden, wie meine Generation die Verteilung der Arbeit zwischen Frau und Mann in Familien neu ausgehandelt hat", so Nahles jüngst in einem Interview mit der "Augsburger Allgemeinen" zur Zukunft der Arbeit. "Aushandeln heißt aber auch an die jüngere Generation gerichtet: Arbeit ist kein Ponyhof.“

Sie hätte doch wissen müssen, was dann kommt. Dass ein populistisches Zitat wie dieses begierig aus dem Kontext gerissen und kreuz und quer auf Zitattafeln in den sozialen Medien geteilt werden wird. Und alle über 40 würden nicken und zustimmen, weil sie doch damals schon mit 15 ihre Ausbildung angefangen haben und seither ununterbrochen schuften und es eben so ist, dass man Frau und Kinder nur ein paar Stunden am Abend sieht, nachdem man mit dem Diesel-Kombi die übliche Pendel-Strecke hinter sich gebracht hat, und dass man dann so k.o. ist, dass es eigentlich nur noch für die Couch und die "Tagesschau" reicht. So ist das eben, Arbeit als preußische Tugend, so sollen es bitte alle machen!

Arbeiten bis zum Umfallen?

Bloß, dass dieses Lebensmodell heute nicht mehr funktioniert. Schon deshalb nicht, weil Frauen inzwischen gleichberechtigt arbeiten. Weil sie das wollen – und weil sie das müssen, da inzwischen ein normaler Lebensstandard in der Regel nur noch mit zwei Gehältern machbar ist. Und ein "normaler Lebensstandard" inkludiert heutzutage nur noch selten ein eigenes Haus und einen Neuwagen, wie noch vor dreißig Jahren.

Und abgesehen davon war das Konzept "Arbeiten bis zum Umfallen" vielleicht schon damals keine gute Idee. Für viele Millenials oder junge Menschen aus der Generation Z war der Vater womöglich nicht so präsent, wie sie sich das gewünscht hätten – weshalb sie es anders machen wollen. Männer wollen gleichberechtigt Elternzeit nehmen, ein echter Teil der Familie sein. Frauen wollen, dass Männer ihren fairen Anteil an Hausarbeit und Mental Load innerhalb der Familie übernehmen. Arbeiten, nach Hause kommen, Füße hoch? Das gibt's heute so nicht mehr.

Arbeit muss fair verteilt werden

Dazu kommt, dass viele junge Menschen gesehen haben, was mit ihren hart arbeitenden Eltern während der Wirtschaftskrise 2008 passierte, oder als diese älter als 50 wurden und auf dem Arbeitsmarkt trotz aller bisherigen Leistungen plötzlich unerwünscht waren. So werden einem Fleiß und Loyalität gedankt? Also: gar nicht? Auch daher dürfte die Erkenntnis junger Menschen kommen, dass ein Job eben nur ein Job ist. Etwas, das einem bestenfalls Spaß machen und ausreichend Geld zum Leben einbringen sollte, aber nicht mehr zwingend als Statussymbol oder Lebensinhalt betrachtet wird. Und schon gar nicht als Daseinsberechtigung.

Das heißt nicht, dass junge Menschen faul sind oder nicht mehr arbeiten wollen. Sie sind bloß nicht mehr bereit, Arbeit als mehr zu sehen als das, was es ist: Der Tausch von Lebenszeit und Arbeitskraft gegen Geld. Von "Quiet Quitting" war zuletzt die Rede – dass immer mehr Menschen nur noch Dienst nach Vorschrift machen wollen. Wobei "Dienst nach Vorschrift" absurderweise als etwas Negatives dargestellt wird: Weshalb sollte jemand mehr tun, als das, wofür er eingestellt und bezahlt wird? Ist das Leben dazu nicht zu kurz und zu wertvoll?

Nahles fällt eigenen Unterstützern in den Rücken

So viel dazu, warum junge Menschen inzwischen nicht mal mehr in Start-ups mit Obstkorb und Billardtisch bereit sind, unbezahlte Überstunden zu machen. Dazu kommt der Fachkräftemangel, der Arbeitnehmern hierzulande gerade ein neues Selbstbewusstsein verleiht. Den Unternehmen wird nichts anderes übrig bleiben, als langfristig auf die Forderungen der jungen Angestellten einzugehen, wenn sie weiterhin gutes Personal haben möchten. Und vermutlich werden sie feststellen, dass ein bisschen mehr Fairness und Entgegenkommen ihrerseits sie nicht umbringen werden.

Es wäre schön gewesen, wenn Andrea Nahles das gesagt hätte in ihrem Interview. Wenn sie Partei ergriffen hätte für klarsichtige, zielstrebige und selbstbewusste junge Leute, die unter den richtigen Bedingungen absolut leistungsbereit sind, aber ihren Wert kennen. Und überhaupt dieser platte Ponyhof-Spruch: Wenn Arbeiten ein Ponyhof wäre, liebe Frau Nahles, dann würden die jungem Menschen da doch gar nicht mehr weg wollen. Der Vergleich ergibt also noch nicht einmal Sinn.

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