DIHK-Forderung Deutsche sollen im Urlaub büffeln

Der deutsche Arbeitnehmer hat im Vergleich zu seinen europäischen Nachbarn überdurchschnittlich viel Urlaub. Zu viel, findet DIHK-Geschäftsführer Martin Wansleben. Er fordert die Deutschen zur Weiterbildung in der Freizeit auf. Ein Vorschlag, der nicht nur auf Gegenliebe stößt.

Ausgerechnet im Sommer, in der Haupturlaubszeit, wenn der deutsche Arbeitnehmer an den Stränden der Riviera die Seele baumeln lässt, durch die Alpen wandert oder im Schrebergarten grillt. Ausgerechnet in diese Zeit platzt der Hauptgeschäftführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, mit seiner Forderung, dass die Deutschen mehr Ferien- und Freizeit in ihre Weiterbildung investieren sollen.

Nur die Schweden haben mehr

Hintergrund seiner Forderung ist ein neuer EU-Bericht zur Entwicklung der Arbeitszeiten in Europa, der vom Europäischen Institut für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound) vorgelegt wurde. Das Ergebnis der Studie: Die Deutschen sind EU-Vizemeister in Sachen Urlaub. Im Jahr 2006 konnten sie jährlich 40 Tage für Freizeitzwecke nutzen. Nur die Schweden haben mit 42 Tagen noch mehr. Damit liegen sie deutlich über dem EU-Durchschnitt von 33,7 bezahlten freien Tagen im Jahr. EU-Schlusslichter sind dagegen die Letten mit 27 und die Esten mit 26 Tagen.

Für Martin Wansleben sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: Die Deutschen haben zu viel Freizeit. "Wir haben zusammen mit Schweden die meisten Urlaubs- und Feiertage - da ist genug Luft für beides: Erholung und Weiterbildung", sagte Wansleben. Der DIHK-Geschäftsführer kritisiert, dass im Bereich der Industrie- und Handelskammer derzeit nur rund ein Viertel aller Absolventen nach ihrer Ausbildung noch weitere Weiterbildungsprüfungen ablegen. Angesichts des drohenden Fachkräftemangels eine alarmierend niedrige Zahl. Allerdings stellt sich die Frage, ob nun ausgerechnet die Weiterbildung im Urlaub das richtige Rezept gegen den oft heraufbeschworenen Fachkräftemangel ist.

"Bildung heißt nicht automatisch Stress"

Die meisten Arbeitnehmer werden es nicht gerne hören, doch die Antwort lautet ganz klar Ja - zumindest wenn man Dr. Jürgen Smettan fragt. Semttan ist Diplompsychologe und Vorstand der Sektion Wirtschaftspsychologie im Bundesverband deutscher Psychologinnen und Psychologen. Er unterstützt die Aussage Wanslebens voll und ganz und verweist dabei ebenfalls auf den drohenden Fachkräftemangel. "In Deutschland gibt es ein Missmanagement zwischen dem Ausbildungsstand der Arbeitnehmer und den Anforderungen, die an sie gestellt werden.", sagt der Wirtschaftspsychologe. Wie Wansleben glaubt auch Smettan, dass die Weiterbildung in der Freizeit ein Ausweg sein könnte.

Doch ist ein ausgeruhter, ausgeglichener Arbeitnehmer nicht automatisch auch ein effektiverer Arbeitnehmer? Und ist im Umkehrschluss ein weiterbildungsgestresster Beschäftigter nicht entsprechend weniger effektiv? Nicht zwangsläufig, sagt Wansleben: "Bildung heißt nicht automatisch Stress. Gutgemachte Fortbildung kann auch entspannend sein."

Der Wirtschaftspsychologe geht sogar noch einen Schritt weiter. Er behauptet, dass Freizeitstress oft intensiver sei: "Viele Urlaube sind weitaus stressiger als Fortbildung. Discobesuche zum Beispiel. Bei 50 Dezibel abrocken ist mit Sicherheit nicht entspannender." Ein deutlicher Wink in Richtung Ballermannstammgäste und Anhänger durchzechter Ibizanächte.

DGB weist Vorschlag zurück

Und was sagt die Arbeitnehmerseite zu derartigen Thesen? Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat den Vorschlag zurückgewiesen. Nicht durchdacht und er gehe an der Realität vorbei, sagte der Referent für Berufsbildung beim DGB-Bundesvorstand, Hermann Nehls. Zwar bestehe in Deutschland durchaus ein erhöhter Weiterbildungsbedarf in den Betrieben, die Hausaufgaben müssten jedoch die Wirtschaft machen. "Es darf nicht zulasten der Beschäftigten gehen, indem sie ihren verbrieften Tarifurlaub zur Verfügung stellen", sagte Nehls. Er forderte die Unternehmen stattdessen dazu auf, gemeinsam mit ihren Angestellten einen Weiterbildungsplan zu erarbeiten. Das Bildungsurlaubsgesetz werde nur von ein bis zwei Prozent der Beschäftigten in Anspruch genommen. "Das ist viel zu wenig."

Britta Hesener mit DPA

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