Was soll man im Jahr drei nach dem Crash der New Economy von einem Unternehmen halten, das binnen weniger Monate seinen Aktienkurs verzehnfacht? Und zudem noch eine Tochter des Beinah-Pleitekonzerns Mobilcom ist?
Auf jeden Fall genauer hinschauen als beim ersten Boom der Technologiebranche. Wer führt die Firmen? Und machen die überhaupt Gewinn?
Eckhard Spoerr leitet den Onlinedienst Freenet. In der Branche genießt der 35-Jährige den Ruf, ein guter Stratege zu sein, er war zeitweise auch für den Chefsessel bei Mobilcom im Gespräch. In nur vier Jahren schaffte es Spoerr, aus dem kleinen Mobilcom-Ableger Freenet den zweitgrößten Internetdienst nach T-Online zu machen. 3,8 Millionen Kunden surfen mittlerweile mit Freenet. Dass die Firma den Durchbruch schaffen würde, daran habe er nie gezweifelt, sagt Spoerr.
Seit Jahresanfang glauben das auch die Anleger: Die Aktie, vor kurzem noch bei unter fünf Euro, kletterte um sagenhafte 1.000 Prozent. Wer rechtzeitig einstieg, konnte sein Geld verzehnfachen. Damit war Freenet der Top-Gewinner auf dem deutschen Kurszettel. Erst in der vorigen Woche war der rasante Freenet-Aufstieg den Anlegern dann doch etwas suspekt, und einige machten lieber Kasse, als weiter hoch zu pokern. Manche Banken halten ihre Kaufempfehlung dennoch aufrecht.
Kursgewinne von mehr als 100 Prozent sind eher die Regel als die Ausnahmen
Die Wertsteigerung der Internetfirma hilft auch der angeschlagenen Firmenmutter Mobilcom, die 73 Prozent an Freenet hält und Anteile verkaufen will, um Schulden zu tilgen. Spoerr meint, erst durch die erfolgreiche Tochter habe man die Sanierung der Mobilcom sicherstellen können. Es ist ein Geben und Nehmen: Freenet kaufte seiner Mutter im Gegenzug das Telefonfestnetz ab und vervielfachte so Umsatz und Gewinn. Für 2004 rechnet Spoerr mit Einnahmen von rund 600 Millionen Euro und einem Vorsteuergewinn von 40 Millionen. Bankschulden drücken keine. Allerdings muss das Unternehmen noch das Gros der 35-Millionen-Kaufsumme für das Festnetz an Mobilcom bezahlen.
Erst vor sechs Monaten wurde der Neue Markt an der deutschen Börse zu Grabe getragen. Von dem einst als Wachstumssegment gepriesenen Sektor überlebten ganze 239 Firmen, die Größten schafften es in den neuen TecDax. Nun erleben einige dieser Unternehmen ein ungeahntes Comeback: Telekommunikationsausrüster Teles zum Beispiel oder IT-Dienstleister IDS Scheer - Kursgewinne von mehr als 100 Prozent sind da eher die Regel als die Ausnahme. Es zeigt sich: Auch Kleinanleger trauen sich wieder was - fast so, als hätte es all die Pleiten und Skandale des Neuen Marktes nie gegeben. DZ-Bank-Analyst Adrian Pehl: "Die Kursrallye bei den Internetwerten wurde vor allem von Privatinvestoren getrieben." Auch auf Technologiewerte spezialisierte Fonds, vor kurzem von Anlegern noch als Geldvernichter beschimpft, haben wieder Zulauf.
Etliche Internetfirmen zeigen, dass sie wachsen und schwarze Zahlen schreiben
Der zweite Boom der Internetfirmen kommt unerwartet, aber, anders als sein Vorgänger, diesmal nicht unbegründet. Statt für eine fixe Geschäftsidee Millionen aus Börsengängen zu verbrennen, müssen die Firmen nun beweisen, dass die Geschäfte selbst funktionieren. Etliche Internetunternehmen zeigen, dass dies gelingen kann: Sie wachsen und schreiben gleichzeitig schwarze Zahlen.
- Beispiel T-Online, mit rund zehn Millionen Kunden der Marktführer in Deutschland. Das Schwergewicht im TecDax legte an der Börse in den vergangenen Monaten wieder kräftig zu - ist nun aber schon recht hoch bewertet. Vor allem die wachsende Zahl schneller Internetzugänge (DSL) sorgt für mehr Umsatz (erstes Halbjahr 2003: 894 Millionen Euro) und eine bessere Ausnutzung der Leitungskontingente, die T-Online bei der Mutter Deutsche Telekom einkauft. Mehr als die Hälfte der erwachsenen Deutschen ist mittlerweile online. Außerdem surfen sie länger als im Vorjahr.
Davon profitiert die Firma. Im Ausland zeigt T-Online dagegen noch Schwächen: Branchenexperten vermuten, das Unternehmen müsse daher bald in seine mit 3,5 Milliarden Euro gefüllte Kriegskasse greifen, um Konkurrenten aufzukaufen. Zudem will T-Online-Chef Thomas Holtrop seinen Kunden nun vermehrt Bezahldienste wie Musik-Download oder Videoabruf schmackhaft machen. Das soll die Abhängigkeit der Firma von Zugangsgeschäft und Werbung mindern. "Internetzugang und andere Einnahmequellen vermischen sich", sagt Holtrop. Bislang ein frommer Wunsch: Die Lust der Internetnutzer, für Texte oder Filme einzeln zu bezahlen, ist eher mäßig ausgeprägt.
- Ebenfalls von dem DSL-Boom profitiert QSC, ein Anbieter von schnellen Internetverbindungen für Unternehmen. QSC registriert nach einem Besuch im Börsenkeller nun wieder Anlegerinteresse. Die Bilanz des Kölner Unternehmens ist noch rot, die Prognose von Mitgründer und Vorstandschef Bernd Schlobohm ehrgeizig: Mit gut 115 Millionen Euro will QSC den Umsatz in diesem Jahr mehr als verdoppeln und Ende des Jahres erstmals Gewinne schreiben. QSC blickt auf eine echte Neue-Markt-Karriere zurück: Zum richtigen Zeitpunkt Kasse gemacht, Hunderte Millionen ausgegeben. Der Unterschied zu anderen: Trotz Expansion sind noch fast 70 Millionen Euro in der Kasse.
- In Erklärungsnöte gerieten Analysten zuletzt bei der Firma Web.de: Die Aktie stieg und stieg - ohne erkennbaren Grund. "Wir sehen keine fundamentalen Veränderungen", meint Adrian Pehl von der DZ-Bank, der die Firma nun bald auf "verkaufen" herunterstufen will. Web.de ist ein Internetdienst ohne Zugangsgeschäft, ein so genannter Portalbetreiber, bei dem Kunden sich eine E-Mail-Adresse einrichten und zusätzliche Dienste wie SMS-Services und Klingeltöne buchen können. Mit Quartalseinnahmen von knapp acht Millionen Euro ist das Unternehmen ein Zwerg in der Branche. Web.de-Chef Matthias Greve hat aber den Sprung in die Gewinnzone geschafft. Zudem hat auch Web.de aus dem Börsengang noch satte Millionenbeträge auf der hohen Kante.
- Das Steuer herumgerissen hat die Firma United Internet: Einst als Holding für Internetbeteiligungen geschaffen, konzentriert sich das Unternehmen (Umsatz: 198 Millionen Euro im ersten Halbjahr) heute ganz auf Web-Dienstleistungen der Marken GMX, 1&1 und Schlund + Partner. Im Oktober will United Internet in die USA expandieren - ein millionenteures Engagement, dessen Chancen zumindest den Aktienkurs befeuern.
Beherrscht wird das Unternehmen von einem Mann, der noch die Insignien des Neuen Marktes besitzt: 30-Meter-Segelyacht an der Mittelmeerküste, Ferrari sowieso. Doch die Haltung von Gründer Ralph Dommermuth ist heute konservativ: Seine Firmen müssen Gewinne erwirtschaften, Aktionären zahlt er Dividenden. Der Firmensitz liegt im glamourfreien Montabaur im Westerwald.
Den neuen Boom sieht Dommermuth nicht ohne Skepsis: "Auf der Welle schwimmen wieder welche mit, die es nicht verdienen", sagt er. Das bestätigt auch eine Untersuchung der Researchfirma SES, die in ihrer Risikoanalyse zum TecDax meint, die Kurse einiger Unternehmen seien "der Realität etwas davongelaufen". Hält der Boom? Die US-Investmentbank Goldman Sachs zumindest mahnt zur Vorsicht. Ihre jüngste Studie zur deutschen Börse heißt: "Time to say Auf Wiedersehen".