Frau Schröder ist die Beste: Sie hat Ian Mey-Frare den Job als Verkäufer für Pralinen und Champagner organisiert. Sie sorgt dafür, dass er sein Geld pünktlich bekommt. "Und wenn mich eine arrogante Kundin nervt, dann rufe ich Frau Schröder an und lass Dampf ab", sagt der 24-Jährige.
Dabei wirkt er nicht gerade wie jemand, der schnell genervt ist. Er lacht gern und viel und manchmal ein bisschen zu laut. Frau Schröder sitzt neben ihm und lächelt mild. Irgendwie ein nettes Paar, die beiden, rein beruflich natürlich. Denn zusammengebracht hat sie der deutsche Arbeitsmarkt.
Hauptsache ein Job
Ian ist Zeitarbeiter bei der Firma Randstad. Er war Musical-Darsteller. Jetzt jobt er für 7,81 Euro die Stunde in einem Kaufhaus. Jana Schröder ist seine Personaldisponentin bei Randstad. Rund 40 Männer und Frauen betreut die Vermittlerin, aber keiner hat eine so exotische Ausbildung wie Ian: Er sang in "Mozart", "Tanz der Vampire" und "Mamma Mia". Dann wurde er schwer krank: Knoten auf der Stimme. "Heute darf ich zwar wieder singen, muss die Stimme aber schonen", sagt Ian.
Den Traum von der großen Bühnenkarriere musste er sich abschminken. Aber Ian wollte auf keinen Fall abrutschen in Hartz IV. Also bewarb er sich bei Randstad und gelangte so in ein Hamburger Luxuskaufhaus. Für 7,81 Euro die Stunde. Egal, Hauptsache, ein Job.
Ralf Reimann ist fast 20 Jahre älter als Ian und um einige Illusionen ärmer. Auch er dachte mal, "Hauptsache, ein Job", als er in der Zeitarbeit anheuerte. Das ist über zehn Jahre her. Der 42-Jährige hat Gleise verlegt, Kühlaggregate gebaut, Geschenkartikel verpackt. Zuletzt montierte er Handys für Nokia in Bochum.
"Wir Zeitarbeiter waren die Ersten, die rausgeschmissen wurden", sagt Reimann. 6,53 Euro verdiente er brutto pro Stunde bei seinem Arbeitgeber Randstad. Dafür wurde Ralf Reimann bei Nokia vollkommen flexibel eingesetzt. "Die haben uns per SMS mitgeteilt, wenn es nichts zu tun gab und wir zu Hause bleiben sollten", sagt Reimann.
In schlechten Monaten 620 Euro netto
Manchmal musste er dann einen Urlaubstag nehmen, eine umstrittene Praxis, weil die Flexibilität zulasten des Leiharbeiters geht. In schlechten Monaten kam Reimann auf gerade mal 620 Euro netto und musste Hartz IV beantragen. Nun ist er auf Jobsuche. Und nervös. Seine Frau Melanie erwartet im Juni ihr zweites Baby.
Von unten nach oben
Randstad ist das größte Zeitarbeitsunternehmen in Deutschland. Rund 60.000 Menschen arbeiten deutschlandweit für den Konzern; in der Niederlassung Hamburg-Eimsbüttel, wo Ian Mey- Frare beschäftigt war, sind es knapp 700.
Viele bringen freitags persönlich den Stundenzettel rein oder holen sich neue Dienstpläne ab: Männer und Frauen, Junge und Alte, ungelernte Hilfskräfte und gut qualifizierte Facharbeiter. Menschen, die in Bewegung sind: von einer Stadt in die andere. Aus der Arbeitslosigkeit zurück in einen Job. Von unten nach oben. Und von oben nach unten. Menschen, die nach der Devise handeln: Hauptsache, ein Job.
Es ist diese pragmatische, manchmal auch verzweifelte Haltung, auf der der ungeheure Erfolg der Zeitarbeit beruht: Seit ihrer Liberalisierung vor vier Jahren ist die Branche in Deutschland rasend schnell gewachsen. Die Zahl der Beschäftigten hat sich mehr als verdoppelt - auf 731.000. Damit arbeiten fast genauso viele Menschen in der Zeitarbeit wie in der Autoindustrie. Branchenriesen wie Randstad, Adecco oder Hofmann, verzeichnen immer noch zweistellige Wachstumsraten. Experten schätzen, dass bis 2010 die Marke von einer Million Beschäftigten erreicht wird.
Die Zeitarbeit hat die Spielregeln auf dem Arbeitsmarkt grundlegend verändert. Sie ist schnell, effizient und vor allem billig. Sie ist Fluch und Segen zugleich. Den Unternehmen gibt sie die so dringend benötigte Flexibilität: Wenn der Laden brummt, buchen Kaufhäuser, Banken, Werften oder Autokonzerne einfach Leiharbeiter dazu. Lässt die Nachfrage nach, können sie die flexiblen Kräfte nach Hause schicken, ohne auf fixen Personalkosten sitzen zu bleiben. Arbeit "just in time" eben.
Nur wenige schaffen den Sprung in eine Festanstellung
Die Zeitarbeit ist ein Segen, weil sie nachweislich Menschen aus der Arbeitslosigkeit herausholt: So gehen immerhin 37 Prozent des Jobwachstums der vergangenen zwei Jahre auf das Konto der Branche. Zwei Drittel der Leiharbeiter waren zuvor arbeitslos, viele von ihnen länger als ein Jahr. Allerdings schaffen nur wenige den Sprung in eine Festanstellung: Bei gering Qualifizierten wie Ralf Reimann liegt der "Klebeeffekt" bei nur zehn Prozent.
Für den Musicalsänger Ian Mey-Frare ist das kein Problem: "Ich sehe Zeitarbeit als Übergang." Sein größter Wunsch ist es, wieder am Theater zu arbeiten, am besten als Produzent. Jetzt beginnt er für sieben Monate ein Praktikum an einem Broadway-Theater in New York. "Aber erst habe ich mit Frau Schröder diskutiert, ob ich das wirklich machen soll", sagt Ian. Sie hat ihm dazu geraten.
Wir geben ihnen eine Chance
Ingrid Hofmann, Gründerin der gleichnamigen Personalleasing-Firma und Chefin von 13.000 Mitarbeitern, sagt selbstbewusst: "Wir geben Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt schwer zu vermitteln sind, wieder eine Chance."
Sie hat recht. Und dennoch ist die Zeitarbeit ein Fluch, denn die Kehrseite der neuen Flexibilität sind Lohndumping und Unsicherheit. Leiharbeiter verdienen rund 30 Prozent weniger als die Stammbelegschaften. Und: Jedes dritte Arbeitsver-hältnis endet mit einer Kündigung durch den Arbeitgeber. In der übrigen Wirtschaft ist es nur jedes siebte. So schafft die Zeitarbeit dauerhaft Arbeitnehmer zweiter Klasse. Und das führt zu großer Unzufriedenheit in den Betrieben.
Ein Beispiel dafür ist das BMW-Werkin Leipzig. Seit drei Jahren rollen hier Limousinen, Coupés und Cabrios vom Band. Die spektakuläre Eingangshalle der neuen Autofabrik wurde mit dem Deutschen Architekturpreis ausgezeichnet. Unter der Decke des riesigen Gebäudes schweben auf Transportbändern BMW-Karosserien zur Lackiererei oder zur Montage.
Ersatz von teurer Stammbelegschaft
Spektakulär ist auch die Personalpolitik in Leipzig: Von den rund 3700 Autobauern sind etwa 1000 Leiharbeiter. Einer von ihnen ist Peter Sikorwski. Der 44-Jährige trägt die gleiche graue Latzhose wie seine Kollegen, er baut die gleichen Karosserien wie sie, aber er verdient 1600 Euro brutto, "das sind 500 Euro weniger, als ein fest Angestellter bekommt", sagt Sikorwski.
Gleiche Arbeit, ungleiches Geld. "Ist doch ungerecht", findet der Autobauer. Und weil er schon so lange dabei ist, lässt sich der enorme Abstand auch nicht mit einer geringeren Produktivität rechtfertigen. "Wir Zeitarbeiter leisten genauso viel."
Wenn man den Personalvorstand von BMW, Ernst Baumann, fragt, ob es gerecht ist, Menschen unterschiedlich zu bezahlen, weicht er aus. Er spricht viel von der "volkswirtschaftlichen" Sicht auf die Dinge, von den "Schwankungen" auf den Märkten und dem ungeheuren "Anpassungsdruck", unter dem alle Unternehmen stünden."Unser Thema ist Flexibilität, die Werke müssen atmen können", sagt Baumann.
Zeitarbeit senkt Arbeitskosten
Aber das ist nur die halbe Wahrheit. In einer Studie des arbeitgebernahen Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft heißt es: "Neben der Überbrückung von personellen Engpässen wird Zeitarbeit zunehmend strategisch eingesetzt, das heißt zur Senkung der Arbeitskosten." Jeder vierte Betrieb, der Leiharbeiter anfordert, ersetzt mit ihnen Teile der teuren Stammbelegschaften, so ein Ergebnis der jüngsten Betriebsrätebefragung der Hans-Böckler-Stiftung.
Beschämende Arbeitsbedingungen für Leiharbeitskräfte
Die Gewerkschaften haben die Probleme der Leiharbeiter lange ignoriert. Wurden die flexiblen Kräfte entlassen, war es den Betriebsräten meistens egal. Hauptsache, die Stammbelegschaft blieb unangetastet. Doch diese arrogante Haltung hat sich geändert, seit die Zeitarbeiterquote in vielen Betrieben auf 20 oder gar 30 Prozent hochgeschnellt ist und damit die Macht der Gewerkschaften bedroht.
Gleich bei seinem Amtsantritt erklärte IG-Metall-Chef Berthold Huber der Zeitarbeit den Krieg: "Die Arbeitsbedingungen für Leiharbeitskräfte sind in der Regel beschämend. Wir dürfen diesen unerträglichen Zustand nicht länger hinnehmen." Doch es geht nicht nur darum, in Robin-Hood-Manier den Schwachen zu helfen. Huber will seine Organisation stärken und mindestens 10.000 Leiharbeiter als Mitglieder rekrutieren.
Einen haben sie schon gekriegt. Anfang des Jahres ist der Karosseriebauer Peter Sikorwski in die Gewerkschaft eingetreten. "Das haben in unserem Team fast alle Leiharbeiter gemacht", sagt er. Immerhin konnte der Gesamtbetriebsrat von BMW dem Vorstand eine Absichtserklärung abringen - der Konzern will nur noch Leiharbeiter von solchen Firmen einsetzen, die BMW-ähnliche Vergütungen zahlen.
Zeitarbeitsunternehmen investieren weniger in Mitarbeiter
Zeitarbeitsunternehmerin Ingrid Hofmann glaubt, dass ihre Branche sich wandeln muss, wenn sie das Schmuddel-Image loswerden und weiter expandieren will.
Dazu gehört ihrer Meinung nach ein Mindestlohn von 7,31 Euro die Stunde im Westen und 6,36 Euro im Osten. Das entspricht der untersten Entgeltgruppe im Tarifvertrag zwischen dem Bundesverband Zeitarbeit und dem DGB. Ob dieser Mindestlohn allgemeinverbindlich werden soll, darum streitet gerade die Große Koalition in Berlin. "Aber vor allem müssen wir unseren Mitarbeitern bessere Perspektiven bieten", sagt Hofmann. "Zum Beispiel, indem sie vom Kunden bevorzugt eingestellt und regelmäßig weitergebildet werden."
Tatsächlich investieren Zeitarbeitsunternehmen viel weniger Geld in die Qualifikation ihrer Mitarbeiter als andere Branchen. Wozu auch? 90 Prozent des Geschäftes wurden bislang mit einfachen Helfertätigkeiten gemacht. Doch dieser Anteil sinkt. Immer mehr Kunden verlangen nach Spezialisten und Fachkräften. Deshalb bilden Unternehmen wie die DIS AG, Hofmann oder Manpower inzwischen sogar selbst Lehrlinge aus, die sie später an Kunden vermieten können.
Alle profitieren davon
Merten Krause ist einer von ihnen. Der 20-jährige Azubi trägt ein verwaschenes Sweatshirt, "DIS AG" steht vorn drauf, doch hinten auf seiner blauen Jacke prangt das Logo des Windkraftanlagenherstellers Repower Systems. Mertens Arbeitsplatz ist eine ehemalige Schiffswerft in Husum an der Nordsee. Der angehende Mechatroniker steht in der riesigen Montagehalle. Hier lernt er, wie man das Herzstück einer Windkraftanlage baut - die Gondel mit ihrem tonnenschweren Getriebe, dem Generator und der Anlagensteuerung.
Etwa 45 Azubis bildet Repower in Husum momentan aus. Merten ist der Einzige, der bei einer Zeitarbeitsfirma angestellt ist und sein Handwerk im Verbund mit mehreren Unternehmen lernt. Als Lehrling zweiter Klasse fühlt er sich aber nicht. "Ich verdiene genauso viel wie die anderen", sagt er.
Von seiner offenen Zweierbeziehung profitieren alle Beteiligten: Die DIS AG bezahlt monatlich 709 Euro für Mertens Ausbildung und kann ihn später lukrativ "vermieten". Repower bekommt für wenig Geld einen qualifizierten Facharbeiter. Und Merten hat die Sicherheit: "Ich muss nach der Ausbildung nicht auf Jobsuche gehen." Alle, die jetzt Zeit und Geld in ihn stecken, werden sich um ihn reißen.