Außerdem suchen RWE, Eon, Vattenfall und EnBW nach Wegen, um der geplanten stärkeren Missbrauchsaufsicht Wind aus den Segeln zu nehmen. Nach Informationen der Financial Times Deutschland hat RWE-Chef Harry Roels Anfang Oktober am Rande des Energiegipfels bekannt gegeben, dass der Essener Stromkonzern ab sofort seinen Strom zu 100 Prozent an der Strombörse verkaufen wird. Damit will RWE dem Vorwurf begegnen, die Unternehmen würden durch eine künstliche Verknappung für hohe Preise an der Strombörse sorgen und so den Richtpreis für alle anderen Geschäfte künstlich nach oben treiben. Auch über langfristige Tarifbindungen, die Senkung einzelner Tarife und Sozialklauseln wird in der Branche nachgedacht.
Alte Argumente greifen nicht mehr
Die letzten Wochen brachten für die vier Stromriesen RWE, Eon, Vattenfall und EnBW harte Schläge: Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und die Europäische Kommission forderten die eigentumsrechtliche Trennung der Kraftwerke von den Stromnetzen; Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) kündigte eine verschärfte Missbrauchsaufsicht an, bei der die Konzerne ihre Unschuld beweisen müssen; der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) forderte, die Konzerne notfalls zu zerschlagen, falls kein ausreichender Wettbewerb entstehe.
Wirklich verstörend war für die Strom-Manager, dass die Forderungen nach Eingriffen ins Eigentumsrecht nicht von einer Woge der Empörung von Wirtschaftsliberalen weggewischt wurden, sondern dass sie tatsächlich diskutiert werden.
Die alten Argumente der Branche greifen nicht mehr. Falls die Politik dirigistisch in Strompreise und -erzeugung eingreife, werde anderswo investiert, warnte Vattenfall-Europachef Klaus Rauscher am Wochenende. Doch damit löste er in der Politik nur Empörung aus. Die Konzerne seien dabei, eine neue "Angstkampagne" zu starten, kritisierte Hessens Wirtschaftsminister Alois Rhiel. Investitionen in neue Kraftwerke blieben auch ohne "exorbitant überhöhte Oligopolgewinne" lukrativ.
Thobens Vorschlag gefällt Konzernchefs
Weil Drohungen nicht mehr so wirken wie früher, stellt die Stromindustrie ihr Geschäftsmodell in Teilen auf die neue Zeit um. So soll der Verkauf des gesamten RWE-Stroms über die Börse auch die vom Wirtschaftsministerium geplante schärfere Missbrauchsaufsicht aushebeln. Bei einem Börsenpreis wäre es für das Kartellamt erheblich schwieriger, einzelne Kostenblöcke zu überprüfen und einen Preismissbrauch nachzuweisen.
In die gleiche Richtung zielen Überlegungen, die deutsche Strombörse in eine europäische Strombörse zu überführen. Auch damit würde es schwerer, Missbrauch nachzuweisen. Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte allerdings beim Energiegipfel die Befürchtung, dass eine vollständige europäische Öffnung derzeit eher zu weiter steigenden Strompreisen führen könnte. Kraftwerke sind in Südeuropa noch knapper.
Stromtarife für empörungswillige Haushaltskunden
Gleichzeitig arbeiten nach Informationen der FTD mehrere Stromkonzerne an der Entwicklung von besonders günstigen oder besonders stabilen Stromtarifen für die empörungswilligen Haushaltskunden. In mehreren Bundesländern versuchen die Konzerne, nach dem Vorbild Bayerns eine Verständigung zu erreichen. Die Senkung der Netzentgelte wird dort zum Ausgleich der steigenden Beschaffungskosten verwendet. In der Summe könnte der Haushaltsstrompreis im nächsten Jahr weitgehend konstant gehalten werden.
Gut ins Konzept passt den Konzernen dabei die Ankündigung der nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU), im Bundesrat eine Verlängerung der Preisaufsicht durch die Länder vorzuschlagen. Die Länder kontrollieren nur die Vertriebs- und nicht die Kraftwerkskosten. Trotzdem wirkt ihre Genehmigung wie ein staatliches Preis-Gütesiegel.