Für die Industrie in Europa sollte nach Ansicht von Deutschland und einigen anderen EU-Ländern so schnell wie möglich Klarheit herrschen, wie teuer der Klimaschutz künftig für sie sein wird. So befürchten die EU-Staaten bei einer Verschärfung des Emissionshandels ab 2013 die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Drittländer. Die deutsche und die österreichische Regierung forderten am Montag beim Treffen der EU-Umweltminister in Brüssel erneut, nicht erst 2011 zu entscheiden, welche Branchen für ihre klimabelastenden CO2-Emissionen in einem Handelssystem bezahlen sollen. Die Unternehmen bräuchten Planungssicherheit, sonst hielten sie sich mit Investitionen zurück, warnten Umwelt-Staatssekretär Matthias Machnig und Österreichs Umweltminister Josef Pröll. EU-Umweltkommissar Stavros Dimas sagte, die Kommission könne früher ein Konzept dazu vorlegen, nannte aber kein Datum.
Die EU-Kommission hatte in ihrem Ende Januar vorgelegten Klimaschutzpaket zwar Ausnahmeregeln für besonders energieintensive Branchen in Aussicht gestellt, kündigte eine Definition dieser Sektoren aber erst für Dezember 2010 und einen konkreten Vorschlag erst für Juni 2011 an. Machnig kritisierte, dieser Zeitplan sei "schwer zu vermitteln". Die Unsicherheit könnte einen "Investitionsattentismus und einen Innovationsattentismus" in energieintensiven Branchen wie der Zement-, Stahl- oder Papierindustrie auslösen, warnte der Staatssekretär im Bundesumweltministerium.
Ausnahmeregelung auch früher möglich
Dimas erklärte dazu, die Daten Dezember 2010 und Juni 2011 markierten das Ende der Fristen, die sich die Kommission selbst gesetzt habe. Es sei durchaus möglich, dass sie eine Ausnahmeregelung früher vorstellen werde. Nach den Vorstellungen der Kommission sollen die bislang überwiegend kostenlos verteilten Emissionszertifikate, die Unternehmen zum Ausstoß einer bestimmten Menge an Treibhausgasen ermächtigen, ab 2013 zunehmend versteigert werden.
Neben Machnig äußerten auch die Vertreter von Schweden, Belgien, Rumänien, Österreich, der Slowakei, Lettland, Großbritannien, Portugal, Frankreich und Luxemburg die Befürchtung, dies könne für die europäische Industrie erhebliche Nachteile im internationalen Wettbewerb bedeuten. Dimas bekräftigte, die Kommission setze zunächst darauf, dass sich auch Staaten außerhalb der EU in einem neuen internationalen Klimaschutzabkommen zu einer Reduzierung ihres Treibhausgas-Ausstoßes verpflichteten. Sollte dies nicht geschehen, werde es für bestimmte Industriezweige Ausnahmeregeln geben.
"Umweltpolitik statt Industriepolitik"
Machnig bekräftigte auch den Widerstand der Bundesregierung gegen die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Abgas-Grenzwerte für Autos. "Wir müssen aufpassen, dass wir hier Umweltpolitik machen und nicht Industriepolitik", sagte er zum Auftakt der Beratungen. Die Bundesregierung sieht in dem Kommissionsvorschlag eine Benachteiligung der deutschen Premium-Hersteller, weil diese den Treibhausgas-Ausstoß ihrer Neufahrzeuge stärker senken müssten als etwa die italienische oder französische Konkurrenz. "Auch die kleineren Fahrzeugsegmente müssen in den nächsten Jahren etwas tun, um insgesamt auch im Massenmarkt zu einer deutlichen Absenkung von Co2-Emissionen zu kommen", erklärte Machnig. Der slowenische Umweltminister und amtierende EU-Ratspräsident Janez Podobnik erklärte dagegen, er halte den Vorschlag der EU-Kommission für wettbewerbsneutral.
Die EU-Kommission hatte in ihrem Gesetzespaket zum Klimaschutz vorgeschlagen, den Handel mit CO2-Emissionsrechten auf mehr Branchen auszuweiten und die Industrieunternehmen zu verpflichten, nach und nach bis zu hundert Prozent dieser Zertifikate in Versteigerungen zu erwerben. Der Handel mit Verschmutzungsrechten ist das wichtigste Instrument der EU, um die Umweltbelastung durch die Industrie zu reduzieren und den Klimawandel zu bremsen. Doch schon bei der Diskussion über den Entwurf war umstritten, ob auch im globalen Wettbewerb stehende Branchen wie Stahl-, Chemie- oder Aluminiumindustrie Milliarden für ihre Emissionen entrichten sollen.
Emissionsziel bis 2020
Mehrere Länder mahnten außerdem, es sei noch nicht klar, wie die EU das Ziel erreichen wolle, die Treibhausgas-Emissionen bis 2020 um 30 Prozent zu senken, falls Ende 2009 ein neues weltweites Klimaschutzabkommen zustande kommt. Der Entwurf der Kommission ist auf das Etappenziel ausgerichtet, die Emissionen bis 2020 um 20 Prozent gegenüber 1990 zu senken, wenn es keine neue Vereinbarung der Vereinten Nationen geben sollte. Die niederländische Umweltministerin Jacqueline Cramer forderte, auch für diese zusätzlichen zehn Prozent CO2-Reduktion nationale Ziele festzulegen. Umweltkommissar Dimas sagte, die Kommission habe das bereits vorbereitet. Für die Industrie würden die Verschmutzungsrechte dann stärker verknappt. In den nicht vom Emissionshandel erfassten Wirtschaftssektoren wie Gebäude oder Dienstleistungen erhielten die Mitgliedsländer dann schärfere CO2-Reduktionsziele.