Mobilität Heute hier, morgen fort

Immer mehr Menschen müssen dorthin ziehen, wo es noch Jobs gibt. Der Druck auf Arbeitslose wächst. Mobilität schafft neue Chancen, aber sie beendet auch Freundschaften und zerreißt Familien. Wie die modernen Wanderarbeiter leben.

Erst war der Vater weg, dann der Bruder. Jetzt auch noch Stefanie. Ihre Mutter weint, als die Zusage für die Lehrstelle in München kommt. Dabei hat sie die Tochter selbst auf die Idee gebracht: "Lieber weggehen, statt als Dummling an irgendeiner Supermarktkasse zu enden." Zu Hause im sächsischen Strehla gibt es für Realschüler kaum Lehrstellen. Jetzt macht Stefanie Pezl eine Ausbildung zur Restaurantfachfrau in der Gaststätte "Schinken-Peter" in München. Ihre Mutter weckt sie immer noch jeden Morgen - per Telefon. "Meene Kleene", sagt die Mutter oft, "ich bin so stolz auf dich." Und Stefanie schluckt den Kloß im Hals runter und erzählt nichts vom Heimweh. Mission erfüllt, würden Politiker und Wirtschaftslenker sagen. Stefanie ist mobil und flexibel, bereit für die neue Jobwelt. Bei Stefanie Pezl hört sich das etwas anders an: "Scheißarbeitslosigkeit, Scheiß-Schröder-Staat!" Für die 17-Jährige ist Mobilität vor allem eins: eine Zumutung.

Sie wird sich daran gewöhnen müssen. Es gibt kein Recht auf Faulheit, sagt der Kanzler und meint auch: Es gibt kein Recht auf Heimat. Bei den Arbeitsmarktreformen vergangenes Jahr wurden die Zumutbarkeitskriterien verschärft - wer länger als drei Monate arbeitslos ist, muss für einen neuen Job umziehen. Bundespräsident Horst Köhler wünscht sich von den Deutschen, dass sie von den Amerikanern lernen: Sie sollten sich umgucken nach einem Job und dann umziehen, sagt er. Umziehen, das heißt Neustart, Aufbruch, raus aus dem Mief des ewig Gleichen - wenn man es freiwillig tut.

Aber wie ergeht es denen, die nicht wegen einer tollen Karriere losziehen, sondern weil sie Arbeit brauchen, irgendwo? Sind wir wirklich alle so offen und neugierig, oder gibt es Menschen, die jeden Ortswechsel als Verlust ihrer Wurzeln, ihrer Sicherheit empfinden? "Bleib in Bewegung, geh keine Bindungen ein", beschreibt der amerikanische Modernisierungskritiker Richard Sennett die Anforderungen der mobilen Gesellschaft. Wer morgen umzieht, interessiert sich heute nicht für seine Nachbarn. Mobilität schafft neue Chancen, aber sie beendet auch Freundschaften und Ehen und zerreißt Familien.

Stefanie Pezl hat in ihrer Münchner Einzimmerwohnung ein Foto ihrer Eltern aufs Fensterbrett gestellt, daneben das Stoffschaf, das ihr die Mutter zum Abschied geschenkt hat. Stefanie trägt weite Hüfthosen, ein Slip mit Leopardenmuster guckt hervor. Gleich will sie mit Freundinnen in die Disco gehen. Heute ist ein guter Tag. An solchen Tagen freut sie sich, dass sie einen netten Chef hat, den Herrn Hirnschal, dass sie ihr eigenes Geld verdient und selbstständiger geworden ist. Auch das Weinen werde weniger, meint Stefanie. Ein halbes Jahr habe sie durchgehalten, da werde sie die restlichen zwei auch noch schaffen. "Ja mei, meine Familie und ich müssen da zusammen durch", sagt sie in trotzigem Ton. In ihr Sächsisch haben sich bayerische Brocken gemischt.

82 Prozent der jungen Ostdeutschen und 76 Prozent der Westdeutschen zwischen 14 und 27 sind bereit, für den Arbeitsplatz umzuziehen, ergab eine Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums. Aus dem Osten zieht es vor allem junge Frauen fort - eine neue Entwicklung, denn bisher war Mobilität meistens männlich. Generell gilt: je jünger und je besser ausgebildet, desto mobiler. Aber nicht nur die Jungen bewegen sich. Drei Millionen Menschen ziehen jedes Jahr in Deutschland um, zehn Millionen pendeln.

"Seit 1997 hat die Mobilität

in ganz Deutschland zugenommen", sagt Anette Haas vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. "Die Leute reagieren auf die schlechte Arbeitsmarktlage - sie weiten ihren Suchradius aus." Auch Arbeitslose sind - entgegen dem Klischee vom faulen Rumhänger - zunehmend bereit, eine Stelle in der Ferne anzunehmen, wenn es sein muss, sogar im Ausland. Die ZAV, die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung der Bundesagentur für Arbeit, vermittelte bisher vor allem Führungskräfte und Studenten ins Ausland. "Mittlerweile sind ein Großteil unserer Bewerber Arbeitslose, von 2002 auf 2003 hat sich ihr Anteil unter den Vermittelten sogar verdoppelt", sagt Sabine Seidler von der ZAV. Deutsche Facharbeiter wollen nach Schweden, deutsche Bauarbeiter nach Italien.

Stefanies Vater und ihr Bruder sind als Fliesenleger in der Schweiz untergekommen. Die Mutter lebt jetzt allein im Haus der Familie. Stefanie zeigt Fotos: Unser Haus, unser Garten, sogar einen Pool haben sie. Alles selbst umgebaut, nie würden die Eltern es verkaufen. "Sonst wär meine Mutter doch auch längst weg, wir könnten alle zusammen in die Schweiz gehen."

Das Eigenheim als Falle. "Für die Deutschen ist das eigene Haus ein Lebensprojekt, das verkauft sich nicht so leicht wie in den USA", sagt Hartmut Häußermann, Regionalsoziologe an der Humboldt-Uni Berlin. Die Liebe zum Häuschen ist auch ein Grund dafür, dass immer mehr Deutsche über immer weitere Distanzen pendeln. Pendler sehen sich selbst als sicherheitsliebend und immobil, sie bewegen sich, um die wahre Mobilität, den Umzug, zu vermeiden. Und werden unglücklich dabei. Ihre Lebenszeit bleibt im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke. Pendler, das haben Umfragen des Mainzer Soziologen Norbert Schneider ergeben, sind von allen Bevölkerungsgruppen am unzufriedensten. Wer umzieht, leidet vor und während des Wechsels, danach aber kommt die Lebensfreude zurück, sagt Schneider. Er folgert: Umziehen ist besser als Bleiben. Für Stefanie ist klar, dass sie irgendwann zurückgeht in ihr Elternhaus, ihre Heimat. "Heeme ist heeme", sagt sie. Da war eine kurze Liebelei mit "Küchen-Manni", einem Münchner, aber sonst sind alle ihre Freunde in der Berufsschule aus dem Osten: "Man hört die gleich und geht automatisch auf die zu." "Ostblock" nennt ein Klassenkamerad ihre Bankreihen. Orte, die jeder München-Tourist nach zwei Tagen kennt, hat Stefanie nach einem halben Jahr noch nicht gesehen, im Englischen Garten war sie nie. Dreckig findet sie die Stadt, arrogant die Menschen, und es gibt "so viele Neger hier, krass. In Strehla gab's nur eine Negerin." Man wird nicht unbedingt weltoffen, nur weil man in die Welt hinausgeht. Aus der Ferne werden Kleinigkeiten von daheim auf einmal bedeutsam: BASF-Manager suchen ganz Tokio nach Vollkornbrot ab; Ostfriesen, die zu Daimler nach Schwaben pendeln, bringen Leitungswasser von zu Hause mit - nur so gelingt der original Ostfriesentee. Stefanie bekommt von ihrer Mutter "Ost-Pakete" mit Karo-Zigaretten und Halloren-Schokokugeln.

Der Münchner Soziologe

Wolfgang Bonß hat in seiner Studie "Mobilitätspioniere" herausgefunden, dass auch extrem mobile Leute "Heimat-Anker" und Rituale brauchen, ohne die sie ihr flexibles Leben nicht führen können und wollen: das Telefonat mit der Mutter zur festen Zeit, das Stofftier von der Freundin. Weitgereiste Manager verhalten sich nicht viel anders als die Auszubildende Stefanie, die das erste Mal aus Strehla weg ist.

Susanne Schünemann hat von zu Hause einen Kerzenständer mitgebracht: Ein Engel beschützt ein kleines Mädchen. "Der Kerzenhalter symbolisiert die starke Verbindung zwischen mir und meiner Tochter", sagt Susanne Schünemann. Seit Dezember vorigen Jahres trennen sie und die siebenjährige Milena über 700 Kilometer und eine Staatsgrenze. Susanne Schünemann arbeitet jetzt in den Tiroler Bergen, im Hotel "Almhof" in Gerlos. Die Tochter blieb bei ihrem Mann in Möllendorf in Sachsen-Anhalt. Dort hatte die Rheinländerin Susanne Schünemann am Ende nur noch das Gefühl, ins Leere zu laufen.

Der wirtschaftliche Niedergang, die Enge, das ewig Gleiche: "Der gesellschaftliche Höhepunkt war der Einkauf bei Aldi." Dazu ein Mann, dem die agile, selbstbewusste Frau langsam unheimlich wurde. Sie war wegen ihres Mannes in seinen Heimatort Möllendorf gezogen. Dort vermietete sie Ferienwohnungen, pachtete ein Schwimmbad, gab Reitunterricht - alles, nur nicht stillstehen. Doch dann machte ein Laden nach dem anderen dicht, die Leute hatten kein Geld mehr für Schwimmbad und Reitstunden, im Sommer musste Susanne Schünemann Insolvenz anmelden. In der Nähe hätte sie vielleicht eine Stelle als Paketpackerin bekommen, für ein paar Euro die Stunde. Im Internet sah sie die Stelle in Gerlos: Leiterin der Kinderanimation, gut bezahlt.

Sie fuhr hin: "Ich habe den Haken gesucht, aber ich fand nicht mal ein Häkchen", sagt die 39-Jährige. Auf die neue Aufgabe freute sie sich. Vor dem ersten Weihnachten ohne ihre Tochter grauste es ihr. Sie schrieb in ihr Tagebuch: "Schröder, ich hasse dich, weil ich mein Kind und meine Heimat verlassen muss. Meine neue Arbeit wird sicher interessant, ich lerne neue Menschen kennen und werde ganz neue Situationen meistern - danke Schröder!"

Susanne Schünemann wirkt heute lustig und aufgedreht. "Von der depressiven Hausfrau zum Betriebsflummi", beschreibt sie die Wandlung, die sie in den vergangenen Monaten gemacht hat. Deutsche, Portugiesen, Slowaken arbeiten im "Almhof". "Wie eine große Familie" seien die Kollegen, schwärmt sie, "so viel gelacht habe ich lange nicht mehr." Manchmal merkt man das erst nach einem Umzug: dass man schon viel früher hätte fortgehen sollen. Susanne Schünemann sagt, sie sei vorher nahe daran gewesen, sich umzubringen: "Dieses ständige Gefühl, alles zu verlieren, die totale Existenzangst." Manchmal überlegt sie, ihre Tochter nachzuholen. "Aber hier arbeite ich so viel, ich könnte mich nicht um sie kümmern." Jetzt kümmert sie sich um fremde Kinder. Der Hoteldirektor hat ihr einen festen Vertrag angeboten, aber Susanne Schünemann hat erst mal nur für die Sommersaison verlängert. "Keine Ahnung, was danach wird."

Susanne Schünemann und Stefanie Pezl sind aus eigenem Antrieb mobil geworden. Katrin Schramm hat sich ein bisschen schieben lassen. Als die 23-jährige Tierpflegerin nach der Lehre in Kappeln in Schleswig-Holstein keine Stelle fand, drängte die Agentur für Arbeit sie zum Umzug. "Wer frank und frei ist, jung und ledig, dem muten wir zu, irgendwo im Bundesgebiet eine Stelle anzunehmen", erklärt Wilfried Schramm, Sprecher der Arbeitsagentur Flensburg. "Wer nicht abzieht, bekommt für zwölf Wochen kein Arbeitslosengeld. Wer nochmals eine Stelle ablehnt, bekommt gar kein Geld mehr."

Ausgenommen von dieser härteren Regelung sind nur Personen mit familiären Verpflichtungen, also Leute, die etwa Kinder erziehen oder Angehörige pflegen. Katrin Schramm arbeitet jetzt in Nordrhein-Westfalen, auf einem Pferdehof bei Krefeld. Hat sie manchmal Heimweh? "Heimweh? Was für 'n Heimweh?", fragt sie. "Theo und Fiete sind doch mit." Theo und Fiete sind ihre "Hundileins". Katrin findet es okay, dass Singles umziehen müssen - andererseits seien gerade die auf soziale Netzwerke angewiesen. Einen Freund will sie momentan nicht: "Wer weiß, wie lange ich diesen Job habe und wohin ich danach gehe. Ein Mann wär da hinderlich." Sie hat Arbeit, das ist das Wichtigste: "Wenn das Arbeitsamt nicht den Umzug bezahlt hätte, hätte ich die Stelle nicht annehmen können", sagt sie. Im vergangenen Jahr hat die Bundesagentur für Arbeit dreimal so oft Gelder gesperrt wie 2001, weil Arbeitslose einen zumutbaren Job nicht annahmen. Und sie hat doppelt so oft "Mobilitätshilfen", also Zuschüsse zu Umzügen und Fahrtkosten, bewilligt wie noch 2001. Bis zu 4.500 Euro gibt es für einen Umzug.

Wenn die Wirtschaft lahmt, fangen die Menschen an zu wandern. Die wichtigsten Gründe, die Heimat zu verlassen, waren immer Not und Armut, Krieg und Vertreibung. "Früher zogen die Leute in Massen um oder pendelten, um nicht zu verhungern", sagt der Historiker Klaus J. Bade. Er glaubt, dass die schlechtere soziale Absicherung in den USA ein Grund für die höhere Mobilität dort ist. Während in Europa immer noch die gut Ausgebildeteten am häufigsten umziehen, sind es in den USA nach einer Studie der Universität in Berkeley die gering Qualifizierten mit wenig Geld. Heimat muss man sich leisten können.

Ein Leben lang an einem Ort

- Privileg der Reichen, Abgesicherten. Wie Produkte und Kapital ist auch die Arbeit mobil geworden. Der Standort einer Firma hat an Bedeutung verloren, der Bedarf an mobilen Mitarbeitern wächst. Ob Montagearbeiter bei RWE oder Ingenieur bei Siemens - nur Bewerber, die "ortsungebunden" sind, werden eingestellt. Bei vielen internationalen Unternehmen wird die Bereitschaft zum Umzug bereits im Arbeitsvertrag festgelegt. "Wer bis 40 immer am selben Ort war, erscheint als unflexibel, für ein Unternehmen ist es ein hohes Risiko, den einzustellen", sagt Gerhard-Michael Eckert, Personalberater und -vermittler. Für mittelständische Unternehmen sucht der 48-Jährige nach mobilen Führungskräften: "Die Firmenchefs sagen oft: Wir suchen keinen Deutschen, sondern einen Europäer."

Einen wie ihn. Eckert zog in seinem Leben neunmal um, wechselte Firmen und Kontinente, die Frau und zwei Töchter immer im Schlepptau: Von der Heimatstadt Köln ging es über Aachen und Berlin nach Johannesburg, Frankfurt, London, Stockholm, erst für den Pharmahersteller Madäus, später für die Lufthansa. Nach Hause fuhr Gastarbeiter Eckert nur im Urlaub. Den Kölner Karneval sah er sich jedes Jahr im Fernsehen an. Die jüngere Tochter, geboren in Südafrika, aufgewachsen in Schweden, verstand nicht, was er an den Jecken fand: "Die hielt mich für bekloppt."

Sind Eckerts Töchter Weltkinder?

Vererbt sich Mobilität? "Kinder, die dauernd umziehen, sind oft entwurzelt. 80 Prozent wählen später selbst einen mobilen Lebensstil. 20 Prozent werden dagegen extrem sesshaft", berichtet Brigitte Hild, Gründerin der Unternehmensberatung "Going Global". Headhunter Eckert fragt immer nach der Familie, bevor er jemandem zum Umzug rät. "Kinder über 13 sind problematisch", weiß er aus eigener Erfahrung.

Tochter Caroline war 16, als er ihr sagte, dass die Familie wieder umziehen werde, von Frankfurt nach Köln diesmal. "Du zerstörst mein Leben!", schrie sie ihn an. Auf der Fahrt nach Köln weinte sie ununterbrochen. Gut, dass in Köln gerade die Musikmessse Popkomm stattfand - Caroline ging hin und ward einige Tage nicht mehr gesehen. Sie verliebte sich, fand neue Freunde - nach ein paar Tagen war Köln dann doch ganz okay. Trotzdem möchte Caroline auf Dauer an einem Ort in Deutschland leben. "Wenn man weiß, dass man wieder fortgeht, lässt man sich nicht so auf Leute ein, damit der Verlust später nicht so schmerzt", sagt sie. Eine Freundin hat sie von jeder ihrer Stationen behalten, immerhin. Ulla aus Schweden schreibt sie regelmäßig, alle ein, zwei Jahre treffen sich die Mädchen.

In der mobilen Gesellschaft macht das Privatleben mehr Arbeit. Wenn Freundschaften und Beziehungen über Hunderte Kilometer hinweg halten sollen, brauchen sie besondere Pflege. "Bewegung wird zu einem Dauerzustand und die Herstellung von Erwartbarkeit und Verlässlichkeit zur entscheidenden Herausforderung", schreibt der Soziologe Wolfgang Bonß. Eine Studie unter Hochmobilen ergab, dass bei ihnen die Bindung an die Heimat nicht schwächer, sondern stärker wird. Der ungebundene Nomade, immer unterwegs, nirgends daheim - es gibt ihn nicht.

Gerhard-Michael Eckert hat die Mitgliedschaft in seinem Kölner Tennisklub nie gekündigt, nur ruhen lassen. Irgendwann kam der Moment, da wollte er "zurück zu den Wurzeln". Im Wohnzimmer seiner Kölner Villa hängt ein Bild aus Südafrika, auf dem Fensterbrett stehen Holzpferde aus Schweden. Durch das Fenster blickt er auf sein Elternhaus. Seine Mutter wohnt noch dort, ab und zu winkt sie ihm zu. Der Super-Mobile ist wieder zu Hause. Wenn Eckert jetzt Manager zu einem Umzug überreden will, hört er immer öfter: "Der Job ist zwar spannend, aber meine Frau möchte nicht umziehen." Bei Eckerts war die Sache noch klar - der Mann macht die Karriere, die Frau folgt ihm. Das moderne Nomadenleben funktionierte nur, weil das Privatleben konservativ organisiert war. "Meine Frau hat mir den Rücken freigehalten. Sie war Umzugsmanagerin, hat sich um die Kinder gekümmert und soziale Kontakte geknüpft", sagt Eckert. Seine Frau Nikoline würde das ihren Töchtern aber nicht zur Nachahmung empfehlen: "Warum sollen sie ihre Karriere aufgeben für einen Mann? Die Frauen sind heute emanzipierter."

So wie Constanze Lesser. Während des Studiums war sie ein paar Monate in Indonesien und China, ein Jahr in Singapur, jetzt hat die 32-Jährige ihren "Traumjob" in Siegburg bei Bonn gefunden. Ihr Freund Marc Schneider, 31, arbeitet inzwischen in Genua. Seit fünf Jahren sind die beiden ein Paar, gerade mal vier Monate lang haben sie in einer Wohnung zusammengelebt. Kennen gelernt haben sie sich während ihrer Promotion am Max-Planck-Institut in Berlin. Constanze ist Chemikerin, Marc Physiker. Der Berufseinstieg war für beide nicht einfach: In der Forschung gibt es wenig Stellen. Constanze wollte in die Industrie, tütete Dutzende von Bewerbungen ein, nur ein paarmal schaffte sie es zum Vorstellungsgespräch: "Ich hatte fett Angst, arbeitslos zu sein."

Eingestellt wurde sie schließlich auch wegen ihrer Asien-Erfahrung: Constanzes Arbeitgeber, die Siegwerk Druckfarben AG, vertreibt Farben weltweit, auch in Thailand. Ein Kollege kommt gerade aus Bangkok zurück. Braun gebrannt läuft er durch die Labors, in denen Constanze im weißen Kittel und mit Schutzbrille gerade das perfekte Lila für die Zierstreifen auf einer Whiskas-Katzenfutterdose anmischt. Wenn sie alles gelernt hat über die Herstellung von Druckfarben, wird sie in drei Jahren wahrscheinlich auch nach Thailand dürfen - für sie als "Asien-Freak" eine Riesenchance.

Marc ging nach der Promotion an die Uni in Genua - keine Traumstelle, aber in seinem speziellen Forschungsbereich musste er froh sein, überhaupt etwas zu bekommen. Im Sommer läuft sein Zeitvertrag aus, jetzt hat er sich für ein Stipendium an der amerikanischen Elite-Universität Stanford beworben. Der Professor, mit dem er dort arbeiten würde, ist Nobelpreisträger. Für Marc eine Riesenchance. "Wenn sich unsere beruflichen Träume erfüllen, ist Marc ab Sommer für drei Jahre in Amerika, und ich bin danach für drei Jahre in Thailand. Dann sehen wir uns die nächsten sechs Jahre nicht", fasst Constanze zusammen. Beide wissen, dass ihre Beziehung das nicht überleben würde. Außerdem wünscht sich Marc bald Kinder - aber "schon für die Zeugung sehen wir uns zu selten", albert Constanze. In der Küche ihrer Bonner Wohnung hängt ein großer Kalender an der Wand: "Marc kommt", "Marc fliegt" hat Constanze eingetragen.

Das Pendeln zwischen Italien

und Bonn klappt dank der Billigflieger ganz gut, unter der Woche schicken sie sich jeden Morgen und jeden Abend eine E-Mail. Gerade ist Marc wieder zu Besuch. Die Stimmung ist gereizt, die beiden haben über ihre Zukunft gesprochen und mal wieder festgestellt, dass sie keine haben. Constanze ist schon so weit gegangen, auszurechnen, "wie viele tolle Männer es wohl gibt und wie viele tolle Jobs. Typisch Naturwissenschaftlerin!" Ergebnis: Es gibt mehr tolle Jobs. Freunde, die das hören, fragen Constanze: "Isser wirklich der Richtige?" "Ja", sagt sie dann, "der isses. Aber alles aufgeben für ihn, das isses nicht." Der Preis, den die meisten Frauen für einen gemeinsamen Wohnort mit dem Partner zahlen, ist ihr zu hoch. Wenn Doppelverdiener gemeinsam umziehen, verschlechtern sich Frauen meist beruflich, wie Hendrik Jürges, Volkswirt an der Uni Mannheim, herausgefunden hat. Der Soziologe Norbert Schneider, der 800 Mobile befragt hat, sieht "junge Frauen als die Mobilitätsverlierer": Während Männer Job und Familie noch einigermaßen vereinbaren können, bleibt über die Hälfte der mobilen Frauen kinderlos.

Constanze Lesser und Marc Schneider hat der Umzug nicht kalt erwischt wie "Schinken-Peter"-Lehrling Stefanie Pezl. Ihnen war klar, dass nichts im Leben sicher ist, auch nicht der Ort, an dem man lebt. Marc hat in verschiedenen deutschen Städten studiert, Constanze war im Ausland - eine ganz normale Studentenzeit, eine aufregende Zeit. Erst jetzt wird ihnen klar, dass Mobilität nicht nur Spaß macht. Ihre Träume nennen sie "unsere Seifenblase": "Dass man normal leben kann. Dass man nach Hause kommt, und es ist jemand da." Gegen das Unterwegssein haben sie ja nichts: "Aber warum bewegen wir uns immer voneinander weg, nie aufeinander zu?"

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Nikola Sellmair