Die Schulden-Schallmauer von sagenhaften 15.000 Milliarden Dollar haben die USA gerade erst durchbrochen - doch die Politik findet keine Lösung für das Riesenproblem: Das von Präsident Barack Obama im September eingesetzte Superkomitee zur Ausarbeitung einer überparteilichen Einigung zum Defizitabbau stellt seine Arbeit ohne Ergebnis ein. Den Amerikanern blüht nun ein bitterer Kampf um jeden Dollar - mit unabsehbaren Folgen. "Nichts ist daran super", resümiert die Zeitung "The Philadelphia Inquirer" wütend. FTD.de wagt einen Blick auf die Schuldenproblematik.
Wo liegt das Problem?
Das Defizit der USA ist so hoch wie die gesamte Wirtschaftsleistung. Im vergangenen Etatjahr, das am 30. September endete, waren nach Angaben des Finanzministeriums allein 1300 Milliarden Dollar hinzugekommen. Bereits im August hatte das Gezerre der Abgeordneten um den künftigen Sparkurs und eine Anhebung der Schuldengrenze die hoch verschuldete Wirtschaftsmacht an den Rand der Staatspleite gebracht. Bereits Mitte Mai wurde die Obergrenze erreicht - und die USA schlittern immer tiefer in den Schuldensumpf. Die Ausgaben für die Bekämpfung der Finanz- und Wirtschaftskrise sowie die Kosten für die Kriege im Irak und in Afghanistan haben das Defizit, das durch frische Kredite ausgeglichen werden muss, anschwellen lassen. Durch einige Sonderregelungen gewährleistet das Finanzministerium zurzeit die Zahlungsfähigkeit Washingtons. Sollte es zu einer Staatsinsolvenz kommen, wären vor allem Staatsbedienstete und Bundeseinrichtungen betroffen. Erstere würden in Zwangsurlaub geschickt. Behörden, Bundesmuseen und Nationalparks blieben geschlossen. An den Märkten käme es zu gewaltigen Turbulenzen.
Warum blockieren sich die Parteien?
Die Republikaner bestehen auf drastischen Ausgabenkürzungen. Sie werfen Obama vor, Geld für die Reform des Gesundheitssystems zu verschleudern. Eine Defizitreduzierung über Steuererhöhungen für Gutverdiener - eine Forderung der Demokraten - lehnt die US-Opposition ab. Seit ihrem Sieg bei den Kongresswahlen im November pochen die Republikaner auf drastische Einschnitte im Budget. Sie wollen dies vor allem über die Kappung staatlicher Ausgabenprogramme erreichen. Die Parteiführung fordert etwa eine Reform der staatlichen Krankenversicherungsprogramme für Rentner und arme Bürger, Medicare und Medicaid. Kürzungen im Verteidigungshaushalt, die Obama nicht außen vor lassen will, sind unter Konservativen umstritten. Für die Demokraten sind dagegen Steuererhöhungen kein Tabu. Den Republikaner-Vorschlag, Rentnern höhere Zuzahlungen bei der staatlichen Krankenversicherung zuzumuten, lehnen die Demokraten explizit ab. Sie sind besorgt, der Ansatz könnte zu sehr sozial schwache Gruppen treffen. Hinter dem Parteigezänk steht der längst begonnene Wahlkampf. Vor allem die Republikaner stehen unter dem Druck der populistischen Tea-Party-Bewegung. Diese "Fiskal-Fundamentalisten" lehnen höhere Belastungen für Besserverdienende kategorisch ab. Für die Obama-Regierung wird es ohne einen Deal jedoch schwieriger, kurzfristig greifende Gesetze für eine Ankurbelung des immer noch lahmenden Arbeitsmarktes zu beschließen. Dabei halten US-Demokraten und viele Ökonomen eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes sowie der reduzierten Sozialbeiträge für Arbeitnehmer für dringend nötig, um den Konsum zu stabilisieren und die Wirtschaft vor einer neuen Rezession zu bewahren.
Wie geht das Superkomitee mit der Niederlage um?
Das Superkomitee sollte Möglichkeiten für mindestens 1200 Milliarden Dollar an Etatkürzungen in den kommenden zehn Jahren finden. Und es waren keine Hinterbänkler, die in monatelangen Verhandlungen den Kompromiss suchten. Doch das Versagen der sechs Demokraten und sechs Republikaner aus Senat und Repräsentantenhaus dürfte die Vertrauenskrise in den USA weiter vertiefen. Für die amerikanischen Wähler ist es ein weiterer Beleg dafür, dass ihre Politiker nicht in der Lage sind, die Probleme des Landes zu lösen. Vertreter beider Parteien beharrten in Talkshows auf ihren ideologischen Positionen und gaben der anderen Seite die Schuld an der Lähmung. "Unsere demokratischen Freunde waren nie bereit, die Sozialsysteme zu reformieren, so dass deren Kosten sinken würden", sagte der republikanische Senator Jon Kyl im Sender NBC. Die Republikaner hatten am Freitag einen Kompromissplan vorgelegt, um wenigstens rund die Hälfte der angestrebten Summe zu erreichen. 250 Milliarden Dollar sollten aus einer Erhöhung der Einnahmen kommen, etwa durch die Schließung von Steuerschlupflöchern. Der demokratische Senator John Kerry konterte, die Republikaner weigerten sich, die Steuersenkungen der Regierung von George W. Bush für Besserverdiener auslaufen zu lassen. Das Ende der Vergünstigungen für Haushalte mit einem Jahreseinkommen von über 250.000 Dollar würde die Einnahmen des Fiskus in den nächsten zehn Jahren um 800 Milliarden Dollar erhöhen. Inhaltliche Fragen sind in dem Konflikt in den Hintergrund gerückt. Ursprünglich debattiert wurde auch über eine Reduzierung von Beihilfen für die Landwirtschaft, eine stärkere Eigenbeteiligung von Staatsbediensteten an der Altersvorsorge, eine bessere Bekämpfung von Missbrauch im Gesundheitssystem sowie den Verkauf von Staatseigentum. Die Demokraten wollten zudem Steuerschlupflöcher schließen und Vergünstigungen für Wohlhabende abschaffen. Das könnte mehr als 1000 Milliarden Dollar an zusätzlichen Einnahmen pro Jahr bringen - ohne dass die Steuersätze erhöht werden müssten.
Wie funktioniert der "Rasenmäher"?
Anders als bei der Debatte über die Anhebung der Schuldengrenze im Sommer hat das Scheitern des Komitees keine unmittelbaren Konsequenzen. Ein Kürzungsautomatismus nach dem Prinzip eines Rasenmähers wird sicherstellen, dass die geforderten Einsparungen von 1200 Milliarden Dollar erreicht werden. Da der Mechanismus erst 2013 greift, würden die brutalen Haushaltseinschnitte wohl auch nicht unmittelbar die Erholung der Konjunktur gefährden. Und dem Kongress bliebe theoretisch noch ein ganzes Jahr, um doch noch zu einer Einigung zu kommen. Das Sparziel wird also erreicht, unbeantwortet bleibt aber, auf wessen Rücken. Geht es nach einer Simulation des moderaten Forschungsinstituts "Third Way", würde bei dem "Rasenmäher" nicht nur im Verteidigungs- sondern auch im Sozialetat gespart. Viele Amerikaner könnten diese "Zwangskürzungen" hautnah zu spüren bekommen. Demnach müssten 3700 Bundespolizisten entlassen werden, was zu 26.000 weniger Festnahmen führen würde. Der Staat müsste 2300 Steuerfahnder einsparen, wodurch ihm 4,5 Mrd. Dollar durch die Lappen gingen. Und weil es 1200 weniger Fluglotsen gebe, würden eine Million Reisende unter Verspätungen leiden.
Wie reagieren die Märkte?
An den Märkten überschattet die Schuldenkrise in Europa derzeit die Haushaltsprobleme der USA. "Europa ist nicht allein mit den Schuldenproblemen. Die USA sind in einer politischen Sackgasse", zitiert die Nachrichtenagentur Reuters den Chefhändler David Thebault von Global Equities. Dessen ungeachtet liegen die Renditen für zehnjährige US-Anleihen bei 1,97 Prozent. Auch am Montag stiegen sie trotz der erwarteten Nicht-Einigung kaum. "Die Krise in der Euro-Zone lenkt von den Problemen in den USA ab", sagte HSBC-Volkswirt Rainer Sartoris. Die Vorteile der USA seien, dass sie mit dem Dollar weiterhin die Reservewährung der Welt stellten und der dortige Anleihenmarkt riesig sei: "Genauso wie die Bundesanleihen sind US-Treasuries sichere Alternativen, auch wenn die Investoren derzeit damit real kein Geld verdienen. Daran sieht man, wie groß die Unsicherheit am Markt ist." Während die Renditen von möglicherweise kritischen Staaten wie Frankreich oder Spanien deutlich steigen, sinken sie für Staaten wie Deutschland und die USA.
Wer macht Druck auf die USA?
Kritik an der Schuldenpolitik der USA gibt es schon sehr lange. Die größten Geldgeber der Vereinigten Staaten sind neben der amerikanischen Notenbank vor allem asiatische Staaten, allen voran Japan und China. Für diese war das lange Zeit eine lohnende Investition: Indem sie die Anleihen der verschuldeten USA kauften, finanzierten sie den Konsum in einem ihrer wichtigsten Absatzländer. Doch inzwischen äußern auch diese Staaten immer häufiger Unmut über die US-Politik. Die chinesische Regierung sprach angesichts der US-Haushaltsdebatte kürzlich von einem "Spiel mit dem Feuer". Auch aus der Wissenschaft mehren sich kritische Stimmen, allen voran von Nouriel Roubini und Nassim Taleb, die durch ihre Voraussagen zu Finanzkrisen bekannt wurden. Anfang Februar sagte Taleb: "So skeptisch ich Europa auch sehe, ziehe ich es doch bei weitem den Vereinigten Staaten vor."
Welche Rolle spielen die Ratingagenturen?
Die drei großen Ratingagenturen Moody's, Standard & Poor's und Fitch haben ein Notensystem für die Bonität, also die Kreditwürdigkeit, von Unternehmen und Staaten aufgestellt: Je besser die Note, desto vertrauenswürdiger der Schuldner, desto geringer die Ausfallswahrscheinlichkeit der Anleihen, desto niedriger die Zinsen, die der Emittent zu zahlen hat. Die Höchstnote "AAA" haben derzeit Staaten wie Deutschland und Frankreich. Ein Zahlungsausfall gilt bei einer Note "AAA" als praktisch ausgeschlossen. Kommt es zu einer Staatspleite, senken die Agenturen die Note auf "D", den niedrigsten Wert für default (Ausfall) oder in den Bereich der "C"-Noten für einen teilweisen Ausfall wie bei Griechenland. Jede Bewertung ist mit einem Ausblick versehen. Wenn ein Land eine Note mit negativem Ausblick erhält, bedeutet dies, dass die Agentur die Note überprüft, sollte es auf absehbare Zeit nicht zu einer grundsätzlichen Veränderung der Situation kommen. Fällt das Urteil negativ aus, erfolgt die Reduzierung der Bewertung. Für ihre Bewertungsmaßstäbe werden die Agenturen kritisiert. So sollen sie die Euro-Krise durch ihre Urteile verschärft haben. Zum Beispiel wurde im Fall Portugals eine Ratingherabstufung damit begründet, dass die Sparmaßnahmen die Wirtschaftskraft und damit letztlich die Kreditwürdigkeit des Landes schwäche. Andererseits werden von den Agenturen aber genau diese Sparmaßnahmen verlangt, um eine hohes Rating zu behalten - ein Teufelskreis.
Sind die Situationen in den USA mit Griechenland vergleichbar?
Es gibt grundsätzliche Unterschiede zwischen den beiden Staaten: Die USA sind immer noch die größte Wirtschaftsmacht der Welt, Griechenland nur ein relativ kleiner Staat. Dementsprechend fallen Ausmaß und Auswirkungen einer Pleite anders aus. Ein Bankrott der Hellenen würde zwar Schockwellen durch die Finanzmärkte senden und viele Banken und Staaten insbesondere der Euro-Zone schwer belasten. Aber ein solches Szenario ist immer noch weitgehend beherrschbar, auch weil sich die jeweiligen Parteien schon seit längerem auf einen derartigen Ausgang der griechischen Tragödie einstellen können. Der Kernunterschied zwischen den beiden Staaten ist, dass Griechenland wirtschaftlich schwach ist, während es bei den USA um einen technischen Schritt geht. Denn im Vergleich zu den Hellenen sind zumindest die Wirtschaft und das Bankensystem Amerikas relativ gesund. Die USA sind in vielen Bereichen Weltmarktführer oder zumindest mit an der Spitze. Entscheidend ist, dass die USA derzeit noch absolut problemlos für einen Zins in normaler Höhe Geld an den Kapitalmärkten erhalten können, die Griechen jedoch nicht. Dafür greift hier die psychologische Wirkung: Die Hellenen sind Teil einer großen Währungsunion, deren einzelne Teile wirtschaftlich und politisch weit auseinanderdriften. Damit ist die Frage nach Griechenland auch immer die Frage nach der Zukunft des Konzepts Währungsunion. Europa fehlt es im Gegensatz zu Amerika an einer Zentralregierung.