Wirtschaftskrise General Motors stolpert in die Lehman-Falle

Es steht auf Messers Schneide: Angereist mit dem eigenen Firmenjet, betteln die großen drei US-Autokonzerne in Washington um staatliche Hilfe. Eine Pleite soll in jedem Fall verhindert werden. Die Entscheidung des US-Kongresses könnte auch weitreichende Folgen für deutsche Arbeitsplätze haben.

"Was werden sie anders machen? Was planen sie in den kommenden sechs Monaten?" - Fragen über Fragen, die sich die großen drei US-Autokonzerne, General Motors, Ford und Chrysler, in den vergangenen Tagen vor dem amerikanischen Kongress gefallen lassen mussten. Sie wurden regelrecht "gegrillt", wie es die amerikanische Zeitung "Detroit News" beschreibt.

Bislang jedoch ohne Ergebnis: Demokraten und Republikaner konnten sich in der Nacht zum Donnerstag nicht auf die Modalitäten für das geplante 25-Milliarden-Rettungspaket einigen. Die Zeit drängt. Das Geld reicht offenbar nur noch bis zum Jahresende. Im schlimmsten Fall könnte General Motors pro Monat vier bis fünf Milliarden Dollar verbrennen, sagte GM-Chef Rick Wagoner vor dem Kongress. Mit entsprechenden Folgen für die deutsche Tochter Opel, die bereits Berlin um eine staatliche Bürgschaft gebeten hat, um nicht in den GM-Strudel gerissen zu werden.

Am Freitag endet zudem die letzte Sitzungswoche. Sollte sich der Kongress jetzt nicht einigen, liegt die Entscheidung in der Übergangszeit beim republikanischen Amtsinhaber George W. Bush, der bekräftigte, kein frisches Steuergeld freizumachen.

Die Entscheidung über das Rettungspaket ist aber nicht allein eine politische, eine zwischen Demokraten in Wartestellung und einem republikanischem Präsidenten George W. Bush auf Abruf. Es ist eine Entscheidung darüber, ob Washington womöglich gutes Geld schlechtem hinterher wirft. "Ein Rettung wird das Problem nur in die Zukunft verlagern", brachte es der republikanische Abgeordnete Spencer Bachus auf den Punkt.

Zu hohe Kosten, wenig flexibel

Die amerikanischen Automobilkonzerne haben zwei grundlegende Probleme: mangelnde Flexibilität und zu hohe Kosten. Die Arbeitskosten pro produziertem Fahrzeug lagen einer Branchenstudie zufolge, dem so genannten Harbour Report, um rund 260 Dollar höher als beim japanischen Konkurrenten Toyota. Und der feiert auf dem amerikanischen Markt seit Jahren große Erfolge.

Außerdem müssen die großen Drei für jeden Angestellten, der auf ihrer Gehaltsliste stehen, drei weiteren ehemaligen Mitarbeitern die Pension bezahlen, wie das "Wall Street Journal" berichtet. Das erhöht die Personalkosten dramatisch und bedeutet einen weiteren erheblichen Wettbewerbsnachteil gegenüber der ausländischen Konkurrenz, die solche Probleme nicht kennt.

Im Gegenteil: Viele der ausländischen Autokonzerne, darunter auch BMW, Mercedes und Volkswagen, beschäftigen in den USA eine große Anzahl Zeitarbeiter. Sie sind nicht nur billiger, das Unternehmen wird sie in Krisenzeiten wie dieser auch viel schneller los. Die Beschäftigten der großen Drei sind dagegen zumeist gewerkschaftlich organisiert, was einen Stellenabbau deutlich schwieriger und auch teurer macht.

Und nicht nur bei den Arbeitskräften ist die ausländische Konkurrenz besser: Auch die Flexibilität der Werke ist erheblich höher. So kann der japanische Konzern Honda laut "Wall Street Journal" binnen Minuten die Produktion auf ein anderes Modell umstellen. Bei der heimischen Konkurrenz könne dies auch schon mal Wochen dauern, so die Zeitung.

Mit dem Privatjet nach Washington

Genau diese Umstände stimmen offenbar auch manch einen Abgeordneten in Washington skeptisch, ob ein Rettungspakt wirklich sinnvoll ist. "Wenn wir Misserfolg belohnen, senden wir das falsche Signal an die Märkte", sagte der Abgeordnete Bachus.

Die betroffenen Manager geben zwar Fehler zu, verweisen aber gleichzeitig auch auf die Wall Street. Hier liege der Ursprung der aktuellen Krise, sagte GM-Chef Rick Wagoner laut "Wall Street Journal". Die Einsicht über die eigenen Fehler und den Ernst der Lage verhinderte aber nicht, dass die Vorstandschef mit dem eigenen Firmenjet nach Washington flogen. Eine Entscheidung, die bei vielen Politikern für Kritik sorgte. Zudem, so wurden den Managern vorgeworfen, würden sie nicht ausreichend Informationen über die Entwicklung der Geschäfte und die finanzielle Situation bereitstellen.

Nach Vorstellungen der Demokraten sollen die 25 Milliarden Dollar für die Autoindustrie aus dem 700-Milliarden-Dollar-Paket zur Stabilisierung der Finanzmärkte abgezweigt werden, das der Kongress im Oktober verabschiedet hatte. Viele Republikaner und die Regierung von Präsident George W. Bush lehnen eine solche Lösung aber ab. Das Geld aus dem Fonds sei nicht für einzelne Industriebranchen vorgesehen.

Kein Plan B

Unter großen Druck wird derzeit in Washington an einem Kompromiss gearbeitet. Dass die Chinesen und auch die Kanadier planen, der heimischen Autobranche mit einem Hilfspaket unter die Arme zu greifen, gibt den Befürwortern deutlich Auftrieb. "Ich würde nicht sagen, dass es vorbei ist. Ich führe noch Gespräche. Aber es sieht nicht gut aus", sagte der republikanische Senator Robert Bennett.

Bei den Autokonzernen hat die Dramatik der Lage aber nicht dazu geführt, einen Plan B auszuarbeiten. Einen Pleite-Plan. Das sei keine ernsthafte Option, heißt es von den Konzernen. Deshalb gebe es auch keine entsprechenden Planungen.

Nur könnte diese Planlosigkeit massive Folgen haben: General Motors sei auf dem Weg in eine Situation, ähnlich der von Lehman Brothers, die im September Insolvenz anmelden musste, zitiert das "Wall Street Journal" aus informierten Kreisen. Auch damals wurde bis zur letzten Minute über eine mögliche staatliche Rettung verhandelt, um die Investmentbank letztlich dann doch pleite gehen zu lassen. Lehmen stolperte in der Folge völlig unvorbereitet in die Insolvenz.

Marcus Gatzke