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Hier, wo die riesigen Plantagen kaum mehr übrig gelassen haben als Unkraut und Ranken, wird wieder Urwald wachsen, da ist sich Faisal Noor sicher. Der Wissenschaftler zeigt nach Norden: "Dort hinten liegt eines der größten Schutzgebiete Borneos." Er zeigt nach Süden: "In dem Urwaldrest dort leben noch 50 Orang-Utans. Aber isoliert durch die umliegenden Plantagen – bald könnten sie wegen Inzucht aussterben." Um das zu verhindern, legt der World Wide Fund for Nature (WWF) zwischen beiden Gebieten einen sieben Hektar großen ökologischen Korridor an. Den "Menschen aus dem Wald", also den Orang-Utans, wird ein grüner Teppich ausgerollt, dort wo die Menschen aus der Stadt kaum mehr etwas übrig gelassen haben. Noor, 51, Agrarwissenschaftler und Ökologe, leitet die Natur-Reparatur.

Was brauchen Orang-Utans? In etwa das Gleiche wie Menschen: Obdach, Nahrung, Schutz. Deswegen sind inzwischen mehrere solcher ökologischen Korridore in Arbeit – und das hat mit dem Produkt zu tun, das sie überhaupt erst nötig gemacht hat: mit Palmöl.
Das Öl und seine Produzenten haben einen schlechten Ruf. In Indonesien und Malaysia, die über 80 Prozent des weltweiten Bedarfs decken, wurden dafür in den vergangenen Jahrzehnten Regenwälder in gigantischem Ausmaß gerodet. Borneo, die drittgrößte Insel der Welt, teilen sich abgesehen von einem kleinen Sultanat Indonesien und Malaysia. Dort ging rund die Hälfte der Abholzungen auf das Konto von Plantagenbetreibern.

Nun aber hat der malaysische Bundesstaat Sabah eine Ölwende ausgerufen: Bis 2025, also sehr bald, soll Palmöl zu 100 Prozent grün produziert werden; ein Drittel der Region wird unter strengen Schutz gestellt. In einer konzertierten Aktion arbeiten Behörden, Umweltorganisationen, Unternehmen, Großplantagen und Kleinbauern dafür zusammen.
Ihr wichtigster Hebel ist das Siegel RSPO. Die Abkürzung steht für "Roundtable on Sustainable Palm Oil" und ist die Antwort auf das deutsche und europäische Drängen nach sauberen Lieferketten. Durch das in diesem Jahr in Kraft getretene deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz werden die Bestimmungen noch schärfer. Der sperrige Name des Gesetzes klingt nach urdeutscher Bürokratie – tatsächlich aber entfaltet es Wirkungen weltweit: In Deutschland ansässige Firmen müssen fortan ihre gesamte Lieferkette im Blick haben und nachweisen, dass sie Missständen nachgehen.
Ein Boykott bringt nichts
Das RSPO-Siegel wird an Produzenten vergeben, die Menschenrechte und Umweltschutz beachten. Noch ist die Zertifizierung freiwillig, Kontrollen sind auf den riesigen Plantagen schwierig, aber es ist ein erster wichtiger Schritt.
In der malaysischen Provinz Sabah war der Ölboom früher als in Indonesien ausgebrochen. Dann aber wurde man in Sachen Anbaufläche überholt. Boden gutmachen kann der Bundesstaat nur mit zertifiziertem Palmöl, das höhere Preise erzielt. Ein damit einhergehender Ökotourismus soll weitere Einnahmen bringen.

Im Supermarkt begegnet uns Palmöl in vielen Produkten. Im Schokoaufstrich genauso wie in der Hautcreme und der Tiefkühlpizza. Die großen Umweltverbände halten einen Boykott deswegen für sinnlos. Andere Pflanzenöle, etwa aus Kokospalmen, brauchen je Liter fünf- bis sechsmal mehr Fläche als Ölpalmen. Naturschützer fordern deswegen nicht, den Anbau zu stoppen – sondern ihn zu verändern, nachhaltiger zu gestalten. Deshalb hat der WWF das RSPO-Siegel schon vor rund 20 Jahren mitgegründet.
Heute werden 20 Prozent der weltweiten Produktion nach dessen Kriterien zertifiziert. Dazu gehören: Verbot der Abholzung, keine Plantagen auf Torfböden, Einhaltung der Umweltgesetze sowie der Menschen- und Arbeitsrechte.

Auf Englisch werden diese Prinzipien NDPE abgekürzt: No deforestation, no peat, no exploitation – keine Rodung, kein Torf, keine Ausbeutung. Auch Großkonzerne bemühen sich in Malaysia nach und nach, ihre Produktion diesen Prinzipien folgend umzustellen. Datuk Bacho, 60, Direktor des Konzerns Sawit Kinabalu, nennt den Grund ganz offen: "Wir wollen Europa als Absatzmarkt nicht verlieren." In der Folge konnte in Sabah die Regenwaldvernichtung weitgehend gestoppt werden. Eine wohl bald in Kraft tretende EU-Verordnung zu "entwaldungsfreien Lieferketten" wird zwar offiziell als ungerecht kritisiert, unter der Hand allerdings verspricht man sich in Sabah Wettbewerbsvorteile, weil man beim Abholzungsstopp eben weiter ist als andere Regionen. Naturschutz wird zum Wettbewerbsvorteil.

Das größte Problem sind in Sabah noch immer die riesigen Plantagen, die von Horizont zu Horizont reichen. Um die Dimensionen zu verstehen, stelle man sich ein Bayern vor, so groß etwa ist die Provinz, das zu einem Fünftel nur mit Sonnenblumen bedeckt ist. Auf den ersten Blick schön gelb, auf den zweiten biologisch tot. Mit den Palmen in Sabah ist es das Gleiche in Grün.
Um von den riesigen Plantagen wegzukommen, um nachhaltiger zu werden, setzen Umweltschützer auch auf Kleinbauern, die in Sabah immerhin schon fast 30 Prozent des flüssigen Goldes produzieren.
Aufruf zur Nachhaltigkeit
An diesem Tag hat der Bauer Wasrizan bin Basri, 42, in sein Wohnzimmer eingeladen. Seine Farm ist 1,2 Hektar groß – eine typische Kleinbauerndimension. Wasrizan hat sie RSPO-zertifizieren lassen, und davon will er nun erzählen. Ein Dutzend Bäuerinnen und Bauern aus der Umgebung sind gekommen. Alle hocken auf dem Boden, die Frauen in farbenfrohen Kleidern und Kopftüchern.
Wasrizan beginnt zunächst mit einer schlechten Nachricht: Es sei ganz schön kompliziert, das Zertifikat zu bekommen. Das eigene Land müsse vermessen werden, Papierkram sei zu erledigen, die jährliche Überprüfung. Dann die gute: "Wir werden bei allen Schritten unterstützt."

Die kostenlose Hilfe bekommen die Ökobauern von Wild Asia, einem Sozialunternehmen, in dem sich rund 2000 kleine und mittlere Farmen zusammengeschlossen haben. Der Gedanke dahinter: Gemeinsam fällt es leichter, die Anforderungen an eine transparente Lieferkette zu erfüllen. Die Bauern werden angeleitet, wie sie umweltschonender düngen können. Und Mehreinnahmen, die sie für zertifiziertes Palmöl bekommen, werden zum Großteil an die Mitglieder weitergegeben.
Bin Basris Vortrag scheint die meisten in der Runde zu überzeugen, auch weil er gute Argumente vorbringen kann. Sein Sortiment hat er um Ananas, Schlangengurken und Bohnen erweitert. Das verschaffe ihm zusätzliches Einkommen, wirbt er. Allgemeines Nicken. Unabhängiger vom Öl zu sein, das würde auch sie reizen.

Zum Schluss berichtet er von seinem jüngsten Schritt: "Ich bin jetzt auch bio – zumindest ein Teil von mir." Lachen in der Runde. Wasrizan bringt jetzt selbst hergestellten Naturdünger aus. Und er weiß, welche Argumente ziehen: "Der Boden ist viel feuchter geworden als auf den anderen Parzellen. Und der Ertrag ist gestiegen." Das Beste sei jedoch: Er spare jede Menge Geld für Kunstdünger und Pestizide. Wieder zustimmendes Nicken in der Runde.
Noch ein Tee, dann gehen alle zu Wasrizans Nachbarn rüber. Der 42-jährige Muharram bewirtschaftet seine Farm komplett biologisch. Er demonstriert, wie er Palmwedel, die zum Freilegen der Fruchtstände ebenfalls abgeschnitten werden, mit kräftigen Machetenhieben zerkleinert und sie zum Kompostieren stapelt. "Wir werfen keine Pflanzenabfälle weg. Alles kann genutzt werden, um den Boden fruchtbarer zu machen", erklärt er den Umstehenden. Im Palmenhain hat er Ingwer in langen Reihen gepflanzt. "Der gedeiht auch im Schatten. Und bringt zusätzliches Geld." Schweißperlen auf der Stirn und den Armen, spricht er auch von den Herausforderungen der Umstellung von konventionellem auf biologischen Anbau: "Ich muss körperlich härter arbeiten als früher, als ich Unkraut einfach weggespritzt habe."
Palmöl – ein jährlicher Verbrauch von 70 Millionen Tonnen
Mit handfesten Vorteilen will Wild Asia die Bauern überzeugen. In Workshops lernen sie außerdem, wie man aus Fischabfällen hochwirksamen Biodünger herstellt. Und dass zusätzliche Obstbäume gut für die Artenvielfalt sind, für die Haushaltskasse ebenso. Eine Studie der Universität Göttingen bestätigt das Konzept. Demnach können Palmen-Monokulturen mit Bauminseln aufgelockert werden, ohne dass die Ölerträge sinken. Das ist auch deshalb wichtig, weil weltweit die Nachfrage nach Palmöl weiter steigt. Mit einem Verbrauch von jährlich mehr als 70 Millionen Tonnen ist es das wichtigste Pflanzenfett.
Nach den Kleinbauern sollen auch die Branchenriesen überzeugt werden. WWF und Wild Asia drängen darauf, nach und nach alle Plantagen natürlicher zu gestalten. Auch die Ölmühlen haben die Naturschützer im Blick.

Die Mühle der Firma Kim Loong liegt inmitten der konzerneigenen Plantage. "Wir haben das malaysische MSPO-Zertifikat", erklärt der Manager Lee Kim Seng. Damit entspreche man zu 90 Prozent den europäischen Anforderungen an transparente Lieferketten. Dann führt er durch die gigantische Anlage. Lkws kippen tonnenweise Fruchtbündel eine Rampe herunter. Jedes von ihnen wiegt 20 bis 30 Kilogramm. Ein Förderband lässt sie in Dampfkesseln verschwinden, dort werden sie sterilisiert. Die Palmfrüchte werden vom Bündel getrennt, dann das Fruchtfleisch von den Kernen. Aus beiden Bestandteilen wird das Öl herausgepresst. Lee mag den Geruch, der die ganze Mühle durchzieht: "Es duftet wie in einer Bäckerei." Nachhaltigkeit sei ein wichtiger Wert seiner Firma, erklärt er. Methan, das beim Prozess entsteht, befeuert die Biogasanlage direkt neben der Mühle. Leere Fruchtbündel werden zum Kompostieren zurück in die Plantage gebracht. Kleinbauern, die ihre Ernte abliefern, erhalten kostenlos Säcke mit nährstoffhaltigen Resten aus der Produktion als Dünger.
Das Unternehmen macht auch erste Versuche im Bioanbau. Auf fünf Hektar wachsen Palmen ohne Pestizide. "Wenn sich dauerhaft zeigt, dass Einsparungen bei Chemikalien die Mehrkosten durch Handarbeit ausgleichen, werden wir den Bioanteil vergrößern", sagt Lee.
Doch die malaysische Provinz Sabah, wo vieles nun besser läuft, ist noch eine Ausnahme. In anderen Regionen der Welt, so kritisieren Umweltverbände, gehen die Rodungen weiter. In Westafrika und Brasilien werden weiterhin Urwälder für Neupflanzungen abgeholzt, auch weil viele Großabnehmer noch immer nicht zertifiziertes Palmöl kaufen. Und das, obwohl ein Fünftel der weltweiten Produktion bereits das RSPO-Siegel trägt, somit große Mengen der Ökovariante zur Verfügung stünden.

Umweltschützer kritisieren auch, dass RSPO kein Biostandard sei, sogar giftige Pflanzenschutzmittel seien erlaubt. "Wir benötigen dringend politische Vorgaben, damit importiertes Palmöl strenge ökologische und soziale Kriterien erfüllen muss", fordert Ilka Petersen, Referentin beim WWF. Freiwilligkeit reiche nicht aus, die Palmölindustrie zu reformieren. Die geplante EU-Richtlinie für "entwaldungsfreie Lieferketten" gehe aber in die richtige Richtung.
Auch den Supermärkten, wo der Verbraucher auf die Palmölprodukte trifft, wird zunehmend bewusst, wie wichtig das Thema Lieferkette ist. Bei einer weltweiten Studie, für die der WWF 173 Unternehmen untersuchte, schnitten deutsche Ketten dabei recht gut ab. Auf den vorderen Plätzen finden sich Edeka, Kaufland, Aldi Süd, Rewe, DM, Rossmann und Lidl. Der Haken: Bisher tragen nur wenige der vielen Tausend Produkte, in denen Palmöl steckt, die grüne Palme, also das Logo des RSPO. Für Verbraucher ist es schwierig, mit ihrer Kaufentscheidung mehr für Nachhaltigkeit zu tun.
Beiersdorf zum Beispiel, Hersteller der Nivea-Produkte, ist auf Emulgatoren und Tenside angewiesen, die aus Palmöl gewonnen werden. Auf Anfrage erklärt das Unternehmen: Seit drei Jahren setze man nur noch nachhaltiges Öl ein. Man könne dessen Herkunft bis zu den Plantagen zurückverfolgen, kenne die Lieferkette fast zu 100 Prozent des Einkaufsvolumens. Sechs Prozent der Rohstoffe kämen aus Sabah. Für den Endverbraucher ist all das im Supermarktregal kaum ersichtlich.

Der Orang-Utan als Werbebotschafter
Dabei hat Beiersdorf erkannt, dass Nachhaltigkeit immer mehr ein Grund ist, warum sich Kunden für eine Marke entscheiden. Wohl auch aus diesem Grund sponsert das Unternehmen auf Borneo einen der ökologischen Korridore, die eine Art Baumwipfelpfad für Orang-Utans werden sollen.
Der WWF hat bewiesen, dass solche Renaturierungen funktionieren. In der Region Bukit Piton wurde vor 17 Jahren begonnen, neuen Urwald zu pflanzen. Heute ragen Laranbäume und andere Regenwaldriesen wieder in den Himmel. Im Gras finden sich Spuren der Borneo-Elefanten. Die Schreie der seltenen Nashornvögel gellen durch die feuchte Luft. Auch die Orang-Utans sind zurückgekehrt; ihr Bestand gilt im Neuwald als stabil, wenn auch auf niedrigem Niveau. Bei einer zweitägigen Safari können die Guides jede Menge Schlafnester im Kronendach zeigen – die Affen bauen jeden Tag ein neues –, aber der "Mensch aus dem Wald" bleibt unsichtbar. Er ist ein seltener Gast geworden.
Vor 50 Jahren lebten schätzungsweise noch knapp 300.000 Orang-Utans auf Borneo. Nur ein Drittel von ihnen hat das große Roden überlebt. Touristen können sie heute meist nur noch in Reservaten bestaunen, etwa in Sepilok in der Nähe der Stadt Sandakan. Dort werden Waisen großgezogen, deren Mütter von Wilderern erschossen wurden. Die Kleinen lernen von Älteren, wie man ein Schlafnest baut, Bäume hochklettert und Nahrung sucht. Wenn sie fit für den Dschungel sind, werden sie in die Freiheit entlassen. Zweimal am Tag ist Schaufütterung, bei der sich bisweilen eher die Menschen zum Affen machen und sich auf die Brust trommeln.
Faisal Noor, der den Waldmenschen mit seinen Korridoren wieder Wege aus den Reservaten in die Freiheit bauen will, sagt: "Wir haben gezeigt, dass man neue Wälder pflanzen kann und dass die Wildtiere tatsächlich zurückkommen. Also müssen wir das auch tun."
Lieferkettengesetz – das Projekt
Der stern und das freie Autoren- und Fotografenkollektiv Zeitenspiegel Reportagen widmen sich in loser Folge einem der wichtigsten neuen deutschen Wirtschaftsgesetze – dem im Januar 2023 in Kraft getretenen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Was bedeuten die neuen Regeln für deutsche Unternehmen? Was für die Menschen im globalen Süden? Und was für Kunden und Konsumenten? Dieses Projekt wird vom European Journalism Centre finanziert und von der Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt – die Artikel entstehen ohne redaktionellen Einfluss der Stiftung.