In der Hitze der Straße Die Autoschrauber von Mombasa

Von Roland Brockmann, Mombasa
Zwölf Uhr mittags, 33 Grad im Schatten, und die Äquatorsonne brennt vom Zenith. Am Straßenrand im Industrieviertel von Mombasa wird fleißig gewerkelt. Es riecht nach Motorenöl und Gummiabrieb. Schweißlicht blitzt auf unter aufgebockten Wagen.

Nebenan werden Reifen gewuchtet oder Kofferraumhauben lackiert - willkommen in der Welt der "Jua Kali": derjenigen, die unter freiem Himmel arbeiten, sprich in der Hitze der Stadt. Jua Kali, das heißt im Swahilislang von Ostafrika "Heiße Sonne". Reparaturen unter ohne Gewerbeschein und Quittung, dafür aber sehr flexibel. Wenn was kaputt ist, geht man zum Jua Kali. Dem afrikanischen Mr. Minute für alle Lebenslagen sozusagen, nur ohne sauberen Kittel und Unternehmenslogo. Egal ob die Uhr stehen blieb, zuhause der Abfluss leckt oder der Wagen nicht bremst: Die Uhrmacher, Klempner oder Automechaniker vom Straßenrand haben zwar keinen Meisterbrief, aber sie beherrschen ihr Handwerk - und basteln auch da noch weiter, wo die offizielle BMW-Vertragswerkstatt (auch die gibt es durchaus in Afrika) längst aufgegeben hat. Also fährt man zum Straßenschrauber.

Nur bei Autoelektronik sollte man besser aufpassen; komplizierte Messungen sind die Sache der Asphaltmechaniker nicht. Und hat der Jua Kali erst die Einspritztechnik des teuren Neuwagens verstellt, geht unter der Motorhaube gar nichts mehr. Spezialwerkzeug ist unerschwinglich für den Jua Kali und zum Weiterbildungskurs des Herstellers wird er auch nicht unbedingt eingeladen. Wo die Zange nicht hilft, muss der Hammer seine Arbeit tun.

Kilian Mokas Werkstatt besteht aus einem Metallschrank montiert an eine Hauswand. Darin verstaut ist alles, was er braucht, um die Minibusse von Mombasa auf Laufen zu halten: jede Menge Schraubendreher, Spanner, Schlüssel und ein paar gebrauche Ersatzteile.

Das andere Gesicht des Urlaubsorts

Dafür zahlt der 28-jährige Mechaniker keine Miete. Und der Wachmann des Gebäudebesitzers passt nebenbei auf, das über Nacht keiner den Schrank ausräumt. Denn damit wäre die Existenz des ganzen Unternehmens futsch. Natürlich gibt es keine Versicherung; genau so wenig wie Arbeitslosengeld. Umgekehrt kam allerdings auch noch nie eine Beamter vorbei und wollte Steuern kassieren. Jua Kali sind ihre eigenen Chefs. Arm aber frei. Existenzen der Straße eben. Vom Strandleben der Touristen kriegen sie gar nichts mit. Unter den wenigen Palmen im Industrieviertel stehen Altöltonnen. Das andere Gesicht des Urlaubsorts am Indischen Ozean.

Kilian hat sich spezialisiert auf Matatu: Minibusse von Toyota oder Mitsubishi, Hauptverkehrsmittel jeder afrikanischen Stadt - 24 Stunden im Einsatz. Echte Kamakazifahrzeuge im Dienst des Personennahverkehrs: die Schaltung ausgeleiert, die Bremsen abgefahren, aber die Bassboxen stark genug, um das Blech zum Schwingen zu bringen. Dieselmotoren meistens, was die Arbeit nur einfacher macht. Der Kilometerstand hat absolut keine Bedeutung, Hauptsache die Karosserie hält und die Karre läuft.

Einen TÜV gibt es nicht, aber rollen müssen die Busse natürlich schon, also haben Kilian und seine Jungs genug zu tun. Elf sind sie insgesamt. Denn eigentlich ist Kilians Betrieb eine Art Kollektiv. Eine lose Gemeinschaft befreundeter Spezialisten: vom Mann für die Elektrik über den Getriebespezialisten bis zum Bremsenfachmann. Man geht sich gegenseitig zur Hand und nach Schicht um 18.30 Uhr, wenn Dunkelheit über die Straße fällt, wird der Gewinn aufgeteilt.

Mundpropaganda und Qualität setzt sich durch

Mit einem Startkapital von 9000 Kenia Shilling (rund 90 Euro) hat Kilian im Jahr 2000 angefangen. Damals viel Geld für ihn. Werbungskosten: keine. Mundpropaganda und Qualität setzt sich durch, so das Motto. Turnover pro Mann und Monat heute: 8000 Shilling. Profit: 6000. Reicht gerade zum Überleben. In Deutschland würde dafür niemand aufstehen. Der Verdienst der Jua Kali-Jungs von Mombasa liegt de facto unter dem eines deutschen Ein-Euro-Jobbers. Aber Jammern liegt den Jungs fern. Jua Kali haben ihre eigene Würde.

Endlich kommt Abdul, 22, mit dem betriebseigenen Fahrrad. Ein eigenes Auto kann sich keiner der Mechaniker leisten. Das Fahrrad verbraucht zudem keinen Sprit! Abdul hat vom Shop ein Originalersatzteil fürs Getriebe besorgt. Natürlich gegen Vorkasse des Matatubesitzers. Kilian und Abdul holen es aus der Plastiktüte. Ja, das sieht gut aus. Der Rest des Getriebes liegt ausgebreitet auf Zeitungspapier am Straßenrand.

Das also muss wieder zusammengesetzt werden. Drei Gestalten erheben sich aus dem Schatten: das Team "Getriebe". Einer von ihnen übrigens ein Lehrling. Madime, gerade mal 16. Der "Azubi" von Kilians Team. "Guter Mann", sagt der "Meister". Ein Zertifikat wird Madime trotzdem nicht bekommen. Stattdessen selbst entscheiden, wann er genug gelernt hat, und dann weiter ziehen zu einer der 500 Autoschrauberstätten von Mombasa vielleicht. Oder sich irgendwo anders selbstständig machen. Aber eigentlich will Madime irgendwann in einer richtigen Werkstatt arbeiten, eine mit vier Wänden und einem richtigen Dach. Aber dann wäre er kein Jua Kali mehr, nur noch ein gewöhnlicher Automechaniker.

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