Im Sommer blühen die karmesinroten Geranien blühen üppig und unverdrossen vor den dunklen Holzbalkons, die Kühe schauen so gesund drein wie auf der Schokoreklame und auch die Bergkulisse der Zweitausender plus kann sich sehen lassen. Im Winter liegt massig Schnee. Auf den ersten Blick ist Werfenweng im Salzburger Land ein hübscher, behäbiger Gebirgsort wie anderswo auch; doch auf dem Dorfplatz geht es zu wie in einem Fun-Park. Da sausen Knirpse auf dem Schoß ihrer grinsenden Väter in Elektroautos, Elektrovelos, Twips und Dreirädern vorbei, die Mütter gleiten auf "Bigas", Batterie getriebenen Streitwagen à la Ben Hur dahin, alles surrt, radelt und pedalt um die Wette. Der Strom für die Spaß-Flottille kommt, so lernen schon die Kleinsten, nicht einfach aus der Steckdose sondern aus der in allen Jahrmarktsfarben leuchtenden Solar-Tankstelle. Saubere Energie, die vom kirchturmspitzen Solarturm am Platz erzeugt wird.
Modell Werfenweng
Die 820-Seelen-Gemeinde Werfenweng ist nicht nur ein Marien-Wallfahrtsort mit Wunderquelle, sondern ein von der EU preisgekröntes Modellprojekt für Öko-Tourismus und Sanfte Mobilität. Hier gibt es eine der größten Solaranlagen Österreichs, die Strom für 175 Einfamilienhäuser erzeugt. Fromm sind sie hier und fortschrittlich zugleich, denn "Wer sich selbst nichts gönnt, wem kann der Gutes tun!" flattert ein Bibel-Transparent am Heuschober. Peter Brandauer, der jung-dynamische ÖVP-Bürgermeister und gebürtiger Werfenwenger ist fest entschlossen, Mensch, Vieh und Umwelt Gutes zu tun und hat voll auf abgasfreien Tourismus gesetzt. "Gönnt’s dem Auto doch auch seinen Urlaub, lasst‘s halt stehen", wirbt er, "wir sorgen für euer Fortkommen." Tatsächlich verzichten heute fast ein Viertel aller Gäste bewusst auf die eigenen PS, 1994 waren es nur 6 Prozent. Verkehrsexperten haben errechnet, dass dadurch 8,7 Millionen Autokilometer pro Person und Jahr gespart wurden. Das ist eine Reduzierung von 1452 Tonnen Kohlendioxid-Ausstoß und entspricht den Emissionen von 275 Einfamilienhäusern.
Da haben wir fast ein schlechtes Gewissen, dass wir nicht per Bahn in den Nachbarort Bischofshofen angereist sind, wo uns der kostenlose Werfenweng-Shuttle abgeholt hätte, sondern mit einer der üblichen Benzinschleudern bis vor die Pension Hochthron rauschen. Aber wir bekommen eine zweite Chance, uns fürs autofreie Paradies zu qualifizieren: wir müssen einfach bei der Verena im Tourismus-Büro den Autoschlüssel abgeben. "Vier Tage ohne, das ist wie John Wayne ohne Colt," stöhnt Fotograf Harry Schmitt, Ex-Rallye-Fahrer. "Sie werden ihna scho’ gescheit amüsieren", verspricht Verena. Dann knipst sie ein Passfoto von uns und hält uns den fertigen Samo-Schlüssel vor die Nase. Samo sei keine fernöstliche Kampfsportart, sondern stehe für sanft mobil, sagt sie.
Sesam-Öffne-Dich
Der kleine Papp-Schlüssel öffnet uns alle alternativen Türen: wir können die ganze Palette der Elektro-Spaßfahrzeuge und Mountainbikes benutzen, tagsüber mit dem Werfenweng-Shuttle fahren und uns vom Nachttaxi Elois mehr oder minder stark angeheitert aus der Kneipe abholen lassen. Von der geführten Almwanderung bis Kulturausflug nach Salzburg- es ist an alles gedacht, damit wir Gäste ohne fahrbaren Untersatz keinen Bergkoller erleiden. Wir können sogar den Gemeinde eigenen Toyota Prius Hybrid für eine kleine umweltfreundliche Probefahrt leihen. Im Winter kommen noch kostenlose Langlaufski für die 160 Kilometer Loipe, Lamatrekking und Skiliftverbilligung hinzu. Und das alles fast zum Nulltarif: 50 Cent Kur- oder besser Umwelttaxe pro Tag kassiert unsere Wirtin für den ganzen Samo-Spaß.
Ein besonderes Zuckerl ist die zweistündige Kutschfahrt auf die Gamsblickalm, die uns Autolosen, man glaubt es kaum, auch noch geschenkt wird. Früher waren echte PS völlig retro, aber "heuer sind die Gäscht’ ganz narrisch nach die Pferd’, sagt der Steiger Simon, der uns mit seinen zwei Rappen durch die Alpenlandschaft kutschiert. Wo seine Pferdewagen auftauchen, wird er von Kindern umlagert. Ob den armen Tieren der Anstieg nicht zu steil werde, fragt ein kleines Mädchen. "Das sind echte Noriker, harte, gesunde Arbeitspferde für die Berge", sagt Simon stolz, "und für die Umwelt tun wir eh noch was"!
Nach dem traditionellen Fuhrwerk beginnen wir mit den futuristischen Spaß-Fahrzeugen auf dem Dorfplatz. Ich entscheide mich für die Biga, den batteriegetrieben Streitwagen mit Harley-Davidson-Lenker. Als Motorrad-Unkundige drehe ich erst am falschen Hebel, dann schießt das Gefährt vorwärts und ich gleite durch die grünen Apfelbaumwiesen bis zur Skistation Ikarus. Hoho, denke ich, jetzt fliegst du dahin wie der Ikarus von Werfenweng! Nun noch elegant einparken. Leider kriege ich die Kurve nicht und mache eine kleine Bruchlandung zwischen Tischen, Stühlen und dem Fahrradstand.
Von jetzt an werde ich die sanft mobilen Grundsportarten vorziehen: wandern (wie 90 Prozent aller Gäste), mit dem Mountain Bike fahren oder, auch sehr umweltfreundlich, pilgern. Am nächsten Morgen ist Dekanats-Wallfahrt. Ein langer bunter Zug – die Ministranten in weiß, ältere Bäuerinnen in schwarz und Franziskanermönche in tiefbraun- begleitet den Pfarrer auf seinem sanft mobilen Weg. Vor der Kirche mahnt ein automatischer Geschwindigkeitsanzeiger die letzten irregeleiteten Raser zur Langsamkeit, innen predigt der Herr Pfarrer über Gottes Schöpfung und der Herr Bürgermeister spielt im Quartett Bach und Haydn auf dem Tenorhorn.
Später treffen wir Peter Brandauer beim Kaffee mit Schlagobers auf dem Dorfplatz. "Schaun’s nur hin," sagt der 45-jährige Verwaltungsjurist, der als Bürgermeister, Bauer, Tourismusmanager, Verkehrsexperte und Kirchenmusiker fungiert, "unten im Tal auf der A8 München-Salzburg-Wien herrscht der ganz alltägliche Verkehrs-Wahnsinn mit 50-Kilometer-Staus, hier oben gute Luft und blauer Himmel."
Entschleunigung kommt an
Seit zwölf Jahren treibt Brandauer beschleunigt die Entschleunigung voran; Anfangs wurde der Sanft Mobile wie der Teufel gefürchtet. Doch seit die Übernachtungszahlen steil steigen, internationale Umweltpreise und EU-Fördermittel auf das kleine Bergdorf regnen und Politiker aus dem fernen Wien ihm auf die Schulter klopfen, ist der Brandauer Peter ein lokaler Held, der bei Wahlen satte 85 Prozent einfährt. 37 von 50 Werfenwenger Hotels und Pensionen unterstützen sein Samo-Konzept. Ganz hat der grün schwarze Bürgermeister die Autos noch nicht aus dem Hochtal aussperren können. "Wir haben erst ein Drittel des Weges erreicht," rechnet er bescheiden vor, es mangele oft an geigneten Alternativen: Die Mercedes-Elektro-Busse waren zu schwachbrüstig, um im Winter bei Schnee und Eis die Berge hoch zu klimmen, bei den Renaults électriques ging die Batterie schnell kaputt. Die E-Mofas, mit denen Brandauer die Jugendlichen von den entlegenen Höfen mobil machen wollte, mussten zu oft geladen werden. Nur auf seinen Dienstwagen, einen Toyota Prius Hybrid sei Verlass – leise, sauber und praktisch, denn bis 50 km/h läuft der Prius auf Batterie. "Global warming ist da, wir müssen noch viel schneller handeln, als wir dachten", sagt er. Um den Durchgangsverkehr, besonders zur Skistation, zu verbannen, soll eine Tiefgarage unter den grünen Hausberg her, ein superteures Projekt, und dann noch eine Elektro-Bahn bis zur Tal-Station.
Freiwillig Öko
Vor ein paar Jahren haben die Werfenwenger ein neues Verkehrskonzept beschlossen, das auf Gemeinsinn und Freiwilligkeit basiert: keine Verbotsschilder, sanftes Fahren mit höchstens Tempo 30 im Ort und Vorrang für alles, was sich auf zwei und vier Beinen oder batteriegetrieben bewegt: Kinder, Fußgänger, Radler, Reiter, Pferdewagen und E-Mobile vor den herkömmlichen PS. Ob das klappt? Auch wenn die Werfenwenger wieder mehr zu Fuß oder per Rad unterwegs sind, gibt es immer noch hartnäckige Autofans, die am liebsten bis zur Schwelle des Altars vorfahren würden.
"Wir zwingen ja niemanden, auf’s Auto zu verzichten," sagt Brandauer. Da sehen wir sie: vor der Solartankstelle mitten auf dem Dorfplatz haben zwei knallrote Ferraris geparkt. Dort, wo kein Verbotsschild steht, aber wo es richtig unanständig ist, auch nur eine Sekunde zu halten! Die Herrschaften haben sich zum Apfelstrudel ins Café gesetzt und feixen. Wie Robbenjäger auf der Jahressitzung des Tierschutzvereins! Anderswo wären die Luxuskarossen sofort an die Kralle gekommen. Aber Brandauer fährt sich nur über seine blonden Stoppelhaare: "Geduld muscht’ haben mit dene Leut."