"Wer sagt’s denn, es geht doch!" ruft Marco Walz erfreut in die Nebelwand aus beißendem Reifenqualm. Der schwarze 3er BMW nimmt die Kurve endlich so, wie es sich der Instruktor vorgestellt hat. Dass die Hinterreifen dabei einige Pylonen weggenietet haben, interessiert ihn wenig: "Hauptsache, es ist spektakulär. Die Törchen zu durchfahren, ist zweitrangig." Wir sind bei einem Fahrseminar der besonderen Art, genauer gesagt dem "Action Fahrtraining" der Stuntschmiede "Action Concept". Was sich die Effektspezialisten als Tagesablauf haben einfallen lassen, klingt nach einem Drehtag in Hollywood: provoziertes Schleudern, Einparken mit Handbremswenden und wilde Verfolgungsjagden.
Austoben mit über 250 PS
Zwar hat sich die Firma aus Hürth bei Köln schon durch ihre Stunts in Filmen wie "Der Clown" im Kalifornischen Hinterland einen Namen gemacht, doch beim spektakulären Fahren für jedermann muss das beschauliche Eifel-Städtchen Bitburg als Austragungsort herhalten. Das Gelände der ehemaligen US-Airbase bietet viel Platz, um sich auch mit über 250 PS richtig austoben zu können. "Ich bin normalerweise eher Geländewagen-Fan", verrät mir Stefan Decker. "Der Lehrgang macht Spaß und ich bin erstaunt, wie weit der Sicherheitsbereich eines heutigen Autos geht", beschreibt der 35-Jährige seine ersten Eindrücke. Er hat sich - wie alle anderen Teilnehmer - für 895 Euro eingeschrieben.
Wie ein Stuntman gasgeben heißt nicht, einfach wild drauflosfahren. Bevor die Gruppe hinter das Steuer darf, gibt es morgens eine theoretische Einweisung. Fahrszenen aus "Alarm für Cobra 11" und anderen Actionfilmen flackern über die Leinwand. Dann wird aus dem Nähkästchen geplaudert. Carl Stück, Stunt-Koordinator bei Action Concept, verrät, wo im Schnitt getrickst wurde und welche Szenen real sind. Und noch etwas gibt er uns mit auf den Weg: Die Stunts an sich sind mit Routine gar nicht so schwierig. Einen Stuntman macht vielmehr aus, dass er sich auf den Punkt konzentrieren kann. Auch dann, wenn die Drehtage lang sind.
Lass es qualmen, Kollege
Um uns einzugewöhnen, liefern sich die Instruktoren eine Verfolgungsjagd - mit jeweils drei Passagieren im Auto. Es geht mit Vollgas über schmale Verbindungswege. Ursprünglich dafür angelegt, um die Hangars miteinander zu verbinden. Unser Fahrer schenkt sich nichts, um uns Respekt einzujagen. Die Hinterreifen quietschen deutlich mehr, als mir Zeit zum Atmen bleibt. Die Botschaft ist klar: hier wird quergefahren, koste es Gummi, wie es will. Als wir endlich wieder stehen, sind die meisten von uns mit kleinen schwarzen Punkten übersäht. Die Seitenscheiben zu schließen wäre nicht schlecht gewesen: Es ist Reifenabrieb, der auf der Haut klebt.
In zwei kleine Gruppen aufgeteilt machen wir uns daran, selbst das Stuntfahren zu lernen. Mit mir sind wir nur ein Vierer-Team, gefahren wird also häufig. Ein Opel Vectra in Polizeiausführung und ein BMW 330i müssen für unsere ersten Stuntversuche herhalten. Das Ziel: möglichst exakt durch eine Pylonengasse fahren, an ihrem Ende das Auto um 90 und im zweiten Durchgang um 180 Grad drehen. Aus Fahrersicht heißt das beschleunigen, ein kurzer Ruck am Lenkrad in Gegenrichtung. Das Heck wird leicht. Jetzt das Steuer schlagartig in die gewünschte Drehrichtung reißen und die Handbremse ziehen. Gar nicht so einfach. Wir brauchen etwas Zeit, bis die Koordination funktioniert.
"Wenn ich etwas sage, nützt das ja nichts"
Während den kurzen Wartepausen komme ich mit Hildegard Neumann ins Gespräch. Ihr Mann Horst hat sie einfach angemeldet. Das Action Fahrtraining soll ihr eine Lehre sein. "Sie fährt immer ziemlich schnell, aber wenn ich dann etwas sage, nützt das ja nichts", klagt er mir sein Leid. Seine Frau hat den Dreh mit der Handbremse ziemlich schnell raus. Und ist mit 58 Jahren die älteste Teilnehmerin. Respekt. Auch ich bekomme die ungewöhnlichen Fahrübungen hin. Doch Marco Walz hat ein paar Dinge auszusetzen "Zuerst warst du hektisch und aggressiv, dann konzentriert aggressiv - so wie’s sein soll. Doch jetzt wirst du mir langsam zu sachte", bemängelt er meine Versuche, den Wagen auch im Rückwärtsgang zum Schleudern zu bringen. Konzentration auf den Punkt - ich erahne langsam, was Stuntman Carl Stück am Morgen meinte.
Nach der Mittagspause wechseln wir die Übungs-Station. Sebastian Vollack soll uns jetzt zeigen, wie anständig gedriftet wird. Der Mann muss es wissen - schließlich ist er schon Läufe zur Rallye-Weltmeisterschaft gefahren. Jetzt wird uns auch klar, warum der Scheibenwischer eines Autos ständig trotz schönstem Sommerwetter in Betrieb ist. "Die Elektronik spielt halt ein bisschen verrückt", erklärt Vollack achselzuckend, "anscheinend mag sie es nicht, dass wir das ABS und ESP ausgetrickst haben." Gefahren wird also ohne elektronische Sicherheitssysteme, die unser Vorhaben einbremsen könnten. Das Driften gelingt auf Anhieb. Nur noch nicht ganz gezielt, wie die Abflüge ins Grüne verraten.
Komparsen-Rolle für den besten Schleudermeister
Am Abend treffen alle Teilnehmer wieder aufeinander. Während wir uns in einem Zelt mit Getränken stärken, bauen die Instruktoren einen Parcours auf. Neben Pylonen und Fässern kommen auch andere Autos zum Einsatz. "Durch den Aufbau müsst ihr gleich durchfahren und zeigen, was ihr heute gelernt habt", erklärt uns Jürgen Delkus von Action Concept. "Stunt Challenge" nennt sich das Ganze. Wer sich dabei am besten schlägt, gewinnt eine Komparsen-Rolle bei einem Actionstreifen. Wir sind gespannt. Bevor es losgeht, fahren die Instruktoren die Strecke im Schritttempo mit uns ab. Drifts sind gefragt, genauso wie eine Punktbremsung zwischen zwei Autos. Durch ein Tor aus zwei Ölfässern müssen wir durchbrettern, dann mit der Handbremse einen Halbkreis ziehen. Und zu guter letzt auch noch einparken - zwischen zwei Autos, auch mit der Handbremse, versteht sich.
So recht will niemand der Erste sein. Also gebe ich mir einen Ruck, schließlich hat bis hierhin auch alles geklappt. Zuerst muss ich laufen, rennen besser gesagt. Wie ein Stuntman es auch können muss. Um den Zündschlüssel zu holen, der auf einem der Ölfässer liegt. Das klappt noch ganz ordentlich. Doch die Katastrophe folgt sogleich. Nachdem ich im Auto sitze, fahre ich mit quietschenden Reifen los. Dummerweise rückwärts. Mist. Nochmal schalten, schnell weg. Die erste Kurve nehme ich in einem ordentlichen Drift, wie ich finde. Leider war es die falsche Kurve. Ich bin schon etwas angenervt, der Rest muss jetzt klappen. Also ziehe ich in der nächsten Kurve so fest an der Handbremse, dass die Hinterräder auch gleich drei Pylonen abräumen. Und die Verkleidung des Handbremshebels nach oben rutscht. Fluchend halte ich an, steige aus. Der Entriegelungsknopf ist abgetaucht.
Meine erhoffte Komparsenrolle ist futsch. Etwas bedröppelt trete ich die Heimreise an. Beim nächsten Actionfilm werde ich bestimmt etwas mehr Respekt haben. Weil ich nun weiß, was mich von einem Stuntman unterscheidet - die Konzentration auf den Punkt.