Bioware - kaum ein anderes Entwicklerteam versteht sich derzeit besser darauf, glaubwürdige virtuelle Welten zu erschaffen. Seit Kurzem steht mit dem Action-Rollenspiel "Mass Effect 2" die Fortsetzung einer episch angelegten Sci-Fi-Oper in den Läden, bei der PC- und Xbox-360-Besitzer abermals in Uniform von Commander Shepard schlüpfen und das Universum vor großem Unheil bewahren sollen. Mehr denn je wird der Held dabei zur Messias-Figur aufgebaut: Denn alles beginnt damit, dass Shepard stirbt und Jahre später wiederkehrt.
Der spielerische Prolog, in dem Shepards Schiff "Normandy" von unbekannten Angreifern zerstört wird und er ohne Atemluft durchs All treibt, ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf das gewaltige Abenteuer, das in den nächsten 30 bis 40 Stunden folgt. Dabei vermischen sich kernige Action, ausufernde Dialoge mit bemerkenswerten Charakteren, enorme Entscheidungsfreiheit und ihre Konsequenzen zu einer über alle Maße spannenden, weitestgehend klischeefreien und filmreif inszenierten Odyssee durch die Galaxis. Für die Drohkulisse sorgen diesmal die sogenannten Kollektoren - eine Insekten-Alien-Rasse, die in Schwärmen über ganze Planeten herfällt.
Den Vorgänger muss man nicht, sollte man aber gespielt haben. "Mass Effect 2" hält sich nicht lange damit auf, die Geschehnisse aus Teil eins zu erklären sowie Figuren, Völker und deren Verhalten zu etablieren. Auch viele Anspielungen und Zusammenhänge mögen sich Neulingen nicht so recht erschließen. Im Gegenzug freuen sich "Mass Effect"-Veteranen, ihren alten Helden per gesichertem Spielstand ins neue Abenteuer übertragen zu können, was auch dazu führt, dass alle getroffenen Entscheidungen aus dem Vorgänger sich folgenschwer auf die aktuellen Geschehnisse auswirken.
Radikal reduzierte Rollenspielelemente
Apropos: Auch Bioware traf eine folgenreiche Design-Entscheidung. Die Rollenspielelemente wurden fast radikal reduziert, Talent- und Klassensysteme reichlich entschlackt. Gleichzeitig erhöhte man die Action-Anteile. Shepard und seine schlagkräftige Truppe, die er auf erstklassig gescripteten Missionen zusammentrommelt, liefern sich gerne und oft Schießereien. Trotz Deckungssystem und der Möglichkeit, den clever agierenden Begleitern Befehle zu erteilen: Taktik ist nur bei den Boss-Gegnern vonnöten. Die üblichen Widersacher verfügen über eine nicht gerade bedrohliche künstliche Intelligenz. Außerdem regeneriert sich Shepards Gesundheit ziemlich schnell.
Schweigen die Waffen, wird meist geredet. Bei den ellenlangen und erstklassig vertonten Dialogen wird man nicht nur Zeuge der aufwendig modellierten Gesichter und deren glaubhafter Mimik. Man hat auch immer die Wahl, freundlich, neutral oder aggressiv zu antworten. Das hat nicht nur Auswirkungen auf den Fortgang der Geschichte, sondern auch auf das Aussehen Shepards. Verhält er sich stets nur böse, spiegelt sich das irgendwann in Narben und stechend roten Augen wieder. Zusätzlich warten die Gespräche nun - verdeutlicht durch eine kleine Einblendung - mit besonders wirksamen Überzeugungsversuchen auf.
Nebenquests sind das Salz in der Suppe
Etwa 20 Stunden dürften Spieler beschäftigt sein, die nur der Haupthandlung folgen. Doch dann verpasst man glatt die Hälfte des galaktischen Abenteuers. Die unzähligen Nebenbeschäftigungen und Möglichkeiten von "Mass Effect 2" sind das Salz in der Space-Suppe. Wer will, kann mit einer neuen "Normandy" die Galaxis nach rohstoffreichen Planeten absuchen und damit Waffen-Upgrades erforschen. Andere heben einen mit dem Schiffs-Doc, statten der wiedererbauten Raumstation "Citadel" einen Besuch ab, fahnden nach vermissten Familienteilen eines Crewmitglieds oder lachen sich im Sündenpfuhl Omega ein Mädel an.
Langeweile ist im Universum von "Mass Effect 2" jedenfalls ein Fremdwort. Vertrauen allerdings auch. Jeder scheint hier ein doppeltes Spiel zu spielen - allen voran, "Der Unbekannte" und seine Geheimorganisation Cerberus, die Shepard ins Leben zurückholte. Kleinere Grafikfehler und das auf Dauer etwas nervige Hacken von Computersystemen oder das Überbrücken von Sicherheitsbarrieren via Minispiel sind indes die einzigen Punkte, die man dem Titel ankreiden kann.
Fazit: Für Besitzer des ersten Teils eine klare Kaufempfehlung, für alle anderen mehr als ein Blick wert und ein guter Grund, sich auch noch den Vorgänger anzuschaffen.
Mass Effect 2
Hersteller/Vertrieb | Bioware/Electronic Arts |
Genre | Action-Rollenspiel |
Plattform | PC, Xbox 360 |
Preis | 45 bis 55 Euro |
Altersfreigabe | ab 16 Jahren |