Geheimdokumente aus dem Ukraine-Krieg beherrschen als "Pentagon Papers" seit Tagen die weltweiten Schlagzeilen. Als Quelle des Leaks gilt mittlerweile der Online-Dienst Discord. Doch wer dort nun eine verschworene Gemeinschaft erwartet, die ständig streng geheime Dokumente austauscht, dürfte sich verwundert die Augen reiben: Discord ist vor allem bei Jugendlichen enorm beliebt – um sich über Videospiele auszutauschen.
Tatsächlich handelt es sich bei der 2015 gestarteten Plattform vereinfacht gesagt um eine wilde Mischung aus klassischen Internetforen, Gruppenchats, Sprach- und Videotelefonie und einem Streaming-Angebot. Dabei gibt es allerdings nicht eine Hauptseite, sondern zig Unterseiten. Diese Server sind in der Regel nach Interessen sortiert, richten sich etwa an Fans von Minecraft oder debattieren gesellschaftliche Themen. Zudem gibt es viele kleine Server, die von kleinen Freundes- oder Interessengruppen betrieben werden.
Insider-Gespräche auf Discord
Auch der Pentagon-Leak tauchte zuerst in einer solchen Gruppe auf. Nachdem die Recherche-Gemeinschaft Bellingcat zunächst einen Minecraft-Unterserver identifiziert hatte, auf dem die ersten Dokumente bereits Anfang März aufgetaucht waren, fanden sich bald weitere Gruppen, in denen sie noch früher veröffentlicht worden waren. Die bisher früheste Erwähnung erfolgte demnach bereits im Januar, in einem Teil der Plattform, den Bellingcat nur "Thug Shaker Central" nennt. Und der beinahe exemplarisch für einen Großteil von Discord stehen könnte.
Wie große Teile Discords ist auch "Thug Shaker Central" nur an eine winzige Gruppe gerichtet. Nur knapp 20 Personen sollen den Server aktiv nutzen, so Bellingcat. Sie unterhielten sich dort vor allem über Videospiele, andere Interessen wie Musik oder orthodoxes Christentum und den Youtuber Oxide. Der Ton war eher rau, auch rassistische Beleidigungen und Memes wurden in der von Teilnehmern als eher eng wahrgenommenen Community genutzt.
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Kleine und große Nischen
Foren wie diese gibt es viele bei Discord. Obwohl die Plattform es in großen Gemeinschaften zu beliebten Themen oder von besonders prominenten Internetpersönlichkeiten betriebenen Servern teilweise auch auf Millionen von Nutzern bringen kann, sind die kleinen Gemeinschaften das Herz der Plattform. Gerade bei Jugendlichen dienen die oft selbst aufgesetzten und moderierten Server als Ort zum gemeinsamen Abhängen, Zocken und Quatschen. Ob mit Freunden aus dem echten Leben oder Bekannten aus Onlinespielen.
Die Zahl der Nutzer nimmt dabei stetig zu. Hatte Discord 2019 noch 40 Millionen monatlich aktive Nutzer, waren es 2022 schon 150 Millionen – Tendenz weiter steigend. Obwohl Discord ursprünglich vor allem als Art gedacht war, sich während gemeinsamer Onlinepartien zu koordinieren – der Dienst ist neben PC und Smartphone auch auf den Spielkonsolen Xbox und Playstation verfügbar – hat sich die Plattform längst weiterentwickelt. Nach einer Umfrage von "CNBC" nutzen 78 Prozent der Nutzer Discord hauptsächlich für Inhalte, die nichts mit Spielen zu tun haben.

Kampf gegen Missbrauch
Das bedeutet nicht, dass jede Nutzung ähnlich harmlos ist. Schon 2017 wurde bekannt, dass Rechtsextreme die offene Plattform für ihre Zwecke entdeckt hatten. Der "Unite the Right" genannte Marsch durch Charlottesville wurde dort organisiert. Er machte später Schlagzeilen, weil ein Teilnehmer mit seinem Wagen in die Gegendemonstration raste und eine Demonstrantin tötete. Die entsetzten Betreiber reagierten, löschten bis Ende des Jahres über 100 von rechten Gruppen betriebene Server. Auch gegen illegale Geschäfte und unangemessenen Umgang mit Kindern geht die Plattform vor. Mehr als 15 Prozent der Angestellten sind heute laut "Forbes" dafür verantwortlich, die Inhalte auf der Plattform zu moderieren.
Das ist besonders deshalb bemerkenswert, weil es auf Discord, anders als bei anderen sozialen Medien, keinen wirtschaftlichen Druck gab, das zu tun. Im Gegenteil zu Facebook, Twitter und Co. finanziert sich der Dienst nicht mit Werbung. Stattdessen setzt man auf ein Premium-Abo, das mehrere kleine Vorteile wie anpassbare Profile oder bessere Videoqualität bietet. Auch auf die Privatsphäre der Nutzer hat das einen Einfluss: Discord wirbt damit, weniger Daten der Nutzer zu sammeln, Video- und herkömmliche Anrufe und Streams nicht zu speichern. Die Chatnachrichten bleiben allerdings erhalten.
Uneingeschränkt für Jugendliche ist Discord allerdings nicht geeignet. Die App erlaubt eine Registrierung ab 13 Jahren, im App Store für iPhone und Co. wurde die App auf Druck von Apple allerdings als 17+ bewertet. Weil auch zahlreiche Gewalt- und Sexdarstellungen geteilt werden und der Ton nicht unbedingt kindertauglich ist, sollten Eltern sich den Umgang ihres Nachwuchses mit der Plattform lieber etwas genauer ansehen. Über die Elternoptionen lassen sich auch automatische Inhalte- und Kontaktfilter einrichten.
Woher kommt der Leak?
Wie die geheimen Dokumente nun in dem kleinen Gruppen-Chat landeten, ist noch nicht endgültig geklärt, auch das Pentagon dürfte das dringend herauszufinden versuchen. Das erste Teilen der geleakten Geheimsachen in "Thug Shaker Central" dürfte kaum dazu gedient haben, ein großes Publikum zu erreichen. Das wurde erst drei Monate später auf die Akten aufmerksam – nachdem sie bei Telegram gelandet waren.