Ein ganzes Konvolut von abfotografierten Papieren ist in der vergangenen Woche aufgetaucht, die intime Details über den Krieg in der Ukraine verraten und dabei auch zeigen, wie tief der Westen in die konkreten militärischen Planungen Kiews involviert ist. Die Authentizität der Papiere ist kaum hundertprozentig zu beweisen, aber die Aufregung über das Leak zeigt deutlich, dass es sich nicht um einen Fake-Scherz handelt. Experten nehmen jedoch an, dass einzelne Passagen vom russischen Geheimdienst verändert worden sind. Das Leak wird großen Schaden für die Ukraine und die USA anrichten. Die detaillierten Erkenntnisse über die russischen Militärplanung können es Moskau erlauben, die undichten Stellen im eigenen Apparat aufzuspüren. Zudem verraten die Papiere, dass die USA weiterhin die engsten Verbündeten ausspionieren und diese sensiblen Informationen dann auch noch an weite Kreise verteilen.

Hohe Verluste
Die Papiere zeichnen ein Bild, in dem beide Armeen sichtlich angeschlagen sind. Auch über das ukrainische Militär werden Dinge verraten, die niemand wissen soll. Das beginnt bei den Verlusten. Die russischen Verluste bis zum Februar sind hoch – doch im erwarteten Rahmen. Sie betragen 189.500 bis 223.000 Mann, davon sind bis zu 43.000 gefallen. Doch Kiew musste ebenfalls 124.500 bis 131.000 Opfer hinnehme. Davon 17.500 Tote. Alle Daten basieren auf US-Schätzungen. Beide Streitkräfte haben demnach einen Großteil ihrer ursprünglich eingesetzten Truppen verloren. Russland hat zwar signifikant mehr Opfer erlitten, ist aber weit entfernt davon, Verluste im Verhältnis 1 zu 3 und mehr ertragen zu müssen.
Insbesondere die Luftverteidigung der Ukraine steht auf wackligen Füßen, da die Vorräte von Abwehrraketen sowjetischer Bauart zur Neige gehen. Anfang Mai sollen die Raketen für die S-300-Systeme aufgebraucht sein, dann würden sich große Lücken in der strategischen Luftverteidigung ergeben. Der Westen hat viel zu wenig Systeme geliefert, als dass man damit die S-300 ersetzen könnte. Ohne Luftverteidigung wären zahlreiche strategische Ziele in der Ukraine schutzlos. Hinzu kommt, dass die Russen ihre Fähigkeiten zur Luftkriegsführung in den letzten Wochen verbessert haben. Ihnen ist es gelungen, alte Freifallbomben in GPS-gesteuerte Gleitbomben umzurüsten. Sie können weitab vom Ziel ausgeklinkt werden und treffen dann zielgenau.
Die neuen Brigaden
Auch Pläne zur erwarteten ukrainischen Gegenoffensive sind durchgesickert, darunter befinden sich aber keine detaillierten Einsatzbefehle. Laut dem Leak stellt Kiew derzeit zwölf neue Brigaden auf. Neun werden vom Westen trainiert. Eine ukrainische Brigade umfasst etwa 4000 Mann, in früheren Dimensionen wäre das ein verstärktes Regiment. Die zwölf Brigaden entsprechen in etwa vier bis fünf vollaufgefüllten Divisionen. Von den neun vom Westen ausgebildeten Brigaden sollen sechs bis zum 31. März und der Rest bis zum 30. April die Ausbildung abgeschlossen haben. Sie sollen über mehr als 250 Kampfpanzer und mehr als 350 Schützenpanzer verfügen. Sie bilden den Kern der ukrainischen Gegenoffensive.
In den Papieren finden sich keine detaillierten Angriffspläne auf taktischer Ebene. Sie enthalten aber zahlreiche für Moskau nützliche Informationen zum Zustand der ukrainischen Einheiten und zum Munitionsmangel. Unter anderem gibt es Angaben über amerikanische Echtzeit-Warnungen vor russischen Angriffen und detaillierte Beschreibungen des Einsatzes der HIMARS-Werfer. Mykhailo Podolyak, Berater des ukrainischen Präsidenten, sagte der Nachrichtenagentur Reuters, dass die strategischen Pläne der Ukraine unverändert bleiben, aber dass spezifische taktische Pläne Änderungen unterzogen werden. "Es gibt strategische Aufgaben – sie sind unveränderlich. Aber operative und taktische Szenarien werden ständig verfeinert, basierend auf einer Bewertung der Situation auf dem Schlachtfeld, der Bereitstellung von Ressourcen, Geheimdienstdaten über die Ressourcen des Feindes usw."
Kiews Gegenschlag
Die russischen Angriffe während des Winters blieben an mehreren Stellen ohne jeden Erfolg. Teilweise wurden große Verluste erlitten. Dennoch konnte Russland die ukrainischen Streitkräfte in verlustreiche Abwehrschlachten verwickeln. Die Situation um Bachmut ist nach wie vor kritisch. Moskau gelang es nicht, den gesamten Donbass zu erobern.
Die ukrainische Gegenoffensive wird nach dem Ende der Schlammperiode erwartet, der Zeitrahmen deckt sich mit der Ausbildungszeiten der neuen Einheiten. Es ist unwahrscheinlich, dass Kiew die gepanzerten Truppen im befestigten Donbass einsetzen wird, sondern vermutlich wird einen Durchbruch über das offene Gelände zum Schwarzen Meer versucht. Dort graben sich die russischen Truppen seit Monaten ein und legen Befestigungen an, die den erwarteten Vorstoß aufhalten sollen. Dazu zählen Gräben, Minenfelder und Panzersperren und befestigten Stellungen, deren Feuerbereiche "Todeszonen" für durchgebrochene Einheiten bilden. Die Papiere in dem Leak beschreiben auch, wie sich die Russen auf das Auftauchen moderner westlicher Panzer vorbereiten. Die Russen verbreiten Bilder von angeschossenen Westpanzern, um so gegen den Nimbus der Unzerstörbarkeit vorzugehen. Dazu werden detaillierte Angaben über die Schwachstellen der einzelnen Modelle an die Truppen ausgegeben, überdies werden Abschussprämien versprochen.