Gmail und meine Privatsphäre Geht's noch, Google!

Von wegen "Don't Be Evil": Google scannt seit Jahren automatisch unsere E-Mails. Und jetzt wundern wir uns. Wie blöd sind wir eigentlich?

Meine Eltern haben immer gesagt, gib niemals Namen und Geburtsdatum gleichzeitig an. Sonst wissen die alles über dich. Die, das waren die Bösen, die meine Daten verwerten, verkaufen, wie auch immer verwursten. Weil ich für sie nichts weiter bin als ein Geldesel, der besonders viel abwirft, wenn man besonders viel über ihn weiß. Mittlerweile ist manchen von "denen" mein Geburtsdatum völlig egal. "Die" scannen einfach meine E-Mails.

Wenn wir ganz ehrlich sind und zu unserer Denkfaulheit stehen, verwundert es uns nicht wirklich, dass Google seit jeher einen Algorithmus mitlaufen lässt, der unsere Gmails auswertet, damit wir auch mit der richtigen Werbung beballert werden. Und auch Prism durfte einen Blick drauf werfen. Nun hat Google in den USA wegen einer Sammelklage vor Gericht Stellung bezogen.

Für Google gilt wie für Facebook, dass es ein Unternehmen ist, das knallhart wirtschaftliche Interessen verfolgt. Und weil diese Wirtschaftsriesen natürlich knallharte Anwälte haben, um wie immer geartete Feinde einzunorden, hat Google nun wissen lassen, dass "jemand, der freiwillig Informationen an Dritte weitergibt, keinen legitimen Anspruch auf die Privatheit dieser Informationen" habe. Vorlage ist allen Ernstes ein Urteil von 1979 (!), in dem es um Telefondaten ging. Die daraus folgende Argumentation geht so: Wenn man Geschäftsbriefe verschickt, müsse man auch davon ausgehen, dass ein Sekretär die Post öffne. Das gleiche gelte in digitalen Zeiten für den Provider.

Die Empörung ist groß, und Google hat auch schon verkündet, dass man die Privatsphäre und Sicherheit seiner Nutzer sehr ernst nehme, anderslautende Behauptungen seien "schlicht unwahr."

"Don't be evil"

Natürlich sind wir selbst schuld und unfassbar naiv, wenn wir geglaubt haben, dass jemand gratis einen Dienst anbietet, ohne sich irgendetwas zurückzuholen. There is no such thing as a free lunch. Vielleicht ist dies also der Augenblick der digitalen Aufklärung, in dem wir unsere selbstverschuldete, Couch-bequeme Unwissenheit hinter uns lassen. Freie E-Mail-Konten löschen wäre jetzt angesagt. Verschlüsselung. Vielleicht mal wieder einen Brief mit der Hand schreiben? Die Post dankt.

Die Welt will betrogen sein, hat mein Großvater immer gesagt. Aber Googles unverfrorene Argumentation wurmt mich ganz gewaltig, denn ausgerechnet der Erfinder von Gmail, Paul Buchheit, hat Google vor vielen Jahren ein Motto verpasst, das uns seitdem ganz California-hippiemäßig eingelullt hat: "Don't Be Evil" stand 2004 in einem "Manifesto". Dieses "Sei nicht böse" gilt als zentraler Pfeiler in Googles Selbstverständnis. "Ehrlichkeit und Integrität soll in allem sein, was wir tun. Unsere Geschäftspraxis lässt nichts auf sich kommen. Wir verdienen Geld, indem wir Gutes tun."

Er habe etwas schaffen wollen, das Bestand habe, hat Buchheit 2007 über seine Arbeit bei Google gesagt. "Es ist außerdem eine kleine Spitze gegen viele andere Unternehmen, vor allem unsere Konkurrenten, […] die User auch ausgebeutet haben." "Don't Be Evil" sei die einzige Tugend, die alle kennen, schließt Buchheit stolz.

"Der Nutzer steht an erster Stelle, alles Weitere folgt von selbst", lautet Googles erster Grundsatz. Es ist nun am Unternehmen selbst, öffentlich klar zu machen, wer genau mit "Nutzer" gemeint ist.

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