Kolumne - Neulich im Netz Schein und Sein: Danke, heiliger Florian

Das Arbeitsamt heißt jetzt Arbeitsagentur. Im echten Leben und im Internet. Damit hat Florian Gerster Unglaubliches geleistet: das Image vom Amt ist jetzt ein ganz anderes. Und auch sein eigenes ist dahin.

Das Arbeitsamt heißt jetzt Arbeitsagentur. Im echten Leben und im Internet. Damit hat Florian Gerster Unglaubliches geleistet: das Image vom Amt ist jetzt ein ganz anderes. Und auch sein eigenes ist dahin.

Under construction

Wer in diesen Tagen zum Heer der je nach Lesart vier, sechs oder zehn Millionen Arbeitslosen zählt, kann im virtuellen Arbeitsamt etwas erleben. Entweder sind die eigenen Daten weg oder der Beruf, weil den die hypermoderne Arbeitsagentur nicht kennt. Oder der ganze Laden stürzt ab, weil man sich verlaufen hat in der Agentur und auf ein Knöpfchen geklickt hat, was noch nicht fertig war. Oder nie fertig sein wird.

Wenn kritische Zeitgenossen in ein paar Jahren auf die Superpannen 2003 zurückblicken, werden sie sich zuerst an den Mautflop erinnern, der die Steuerzahler tagtäglich zweistellige Millionenbeträge kostet. Das virtuelle Arbeitsamt hat in seiner runderneuerten Version als frischgestrichene Arbeitsagentur zwar nur 55 oder 77 oder mehr als 100 Millionen Euro gekostet. Richtig funktionieren tut es aber auch nicht. Was aber keinen zu interessieren scheint. Weder hier noch dort und da schon gar nicht. Ist ja auch viel zu kompliziert, die schöne neue Welt.

Thomas Hirschbiegel

Kolumnist für stern.de seit 1997 - und das H der H&A medien: Redaktion, Public Relations und Online-Konzepte.

Menschen sind so

Die Dinge funktionieren nicht, dann muss wenigstens das Image stimmen. Deshalb heißt das Amt nun Agentur, obwohl hinter den Kulissen noch immer dieselben Menschen werkeln. Mal engagiert, mal desillusioniert, mal stinkend faul, mal schikanös. Wie Beamten nun einmal sind und der Rest der Menschheit auch. Da nutzen Imagekorrekturen nichts, wenn sich jenseits des Scheins nichts ändert. Millionenschwere Beraterverträge hin oder her. Dito, was die Rechtmäßigkeit betrifft. Auch hinsichtlich des umstrittenen Millionendeals mit einem bajuwarischen Autohersteller, der zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt aufs Tablett kommt und das ohnehin schon angekratzte Image von Arbeitsagentur und A-Chef Florian Gerster zusätzlich beschädigt.

Der heilige Florian auf dem Weg zum Märtyrer wie sein Namensvetter 1.699 Jahre zuvor im kalten Nass zu Oberösterreich? Mitnichten, denn Klerikales scheint dem weitgehend unfehlbaren Amtsleiter fremd. Er glaubt nicht, er weiß. Oder meint zumindest zu wissen. Jenseits der Rechthaberei aber erteilt der wahre Florian Lektionen in Sein und Schein. Was sein soll und was wirklich ist. Mithin Gerster höchst selbst als quasiphilosophisches Erklärstück zur Existenz des Internet, dem ja auch immer wieder nachgesagt wird, es sei nicht, sondern tue nur so als ob.

Philosophie ist eben kompliziert

Dass das alles auf den ersten Blick nicht allzu verständlich wirkt, ist in der Sache selbst begründet. Philosophie ist eben kompliziert. Man muss nur Schopenhauer lesen, um das zu verstehen oder eben nicht, ohne den einen damit in die Nähe des anderen gebracht haben zu wollen. Da sei der Verstand vor und die Moral und das Wissen um das Wesen der Welt.

Florian Gerster wird es zu guter Letzt herzlich egal sein, ob seine Lektionen vom Rest der Republik verstanden werden. Wenn ihm keiner zuhören will, dann wird er eben gehen. Für Wegzehrung ist gesorgt. Selbst beim Abgang aus freien Stücken werden dem großen Philosophen bis zum Jahr 2007 die Taschen reichlich gefüllt.

"Daher ist die Aufgabe nicht nur, zu sehen, was noch keiner gesehen hat, als auch bei dem, was jeder sieht, zu denken, was noch keiner gedacht hat." Sagt Schopenhauer.

<a class="link--external" href="mailto:stern@ha-net.de">Thomas Hirschbiegel</a>

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