Das Web 2.0 ist bald Geschichte." Wussten Sie noch nicht? Ist aber so. Zumindest in der Welt des Ansgar Heveling. CDU-Bundestagsabgeordneter aus dem Wahlkreis Krefeld, 39, Jurist, Mitglied der Enquete-Kommission Internet und Digitale Gesellschaft. In einem Gastkommentar im Handelsblatt bricht Heveling eine Lanze für den Schutz von Urheberrechten im Netz, unterstützt die US-Gesetzespläne "Sopa" und "Pipa". Im Web 2.0 gibt es bekanntlich keine nationalen Grenzen mehr. Das behagt Heveling zwar im Grunde so gar nicht, aber gleichzeitig nutzt er diesen Umstand für seine eigene Mission. Der Hinterbänkler gibt sich angriffslustig: "Netzgemeinde, ihr werdet den Kampf verlieren!", lautet die Ansage. Es fallen die Stichworte „Clash of Civilizations“, der Endkampf um Mittelerde und die "unheilige Allianz aus diesen ,digitalen Maoisten' und kapitalstarken Monopolisten" wird verdammt.
Und wenn man in die Netzgemeinde hinein schreit, brüllt sie zurück. Innerhalb kürzester Zeit verbreitet sich der Gastkommentar via Twitter und Facebook. Die Hashtags #hevelingfacts und #ansgarfilme etablieren sich. Der Shitstorm wütet - und lässt sich nicht mehr besänftigen.
Der 24-Stunden-Shitstorm
Es entstehen Bilder und Verballhornungen. Neben guttenbergen und wulffen wird auch "hevelingen" ("wild über etwas schwadronieren, wovon man keine Ahnung hat") innerhalb kürzester Zeit in den Wortschatz der digital natives eingehen. Innerhalb von 24 Stunden sammelte der Gastkommentar mehr als 300 Kommentare ein. Da kann selbst ein Wladimir Putin nicht mithalten. Der hat zu seinem Gastkommentar Reaktionen im zweistelligen Bereich eingesammelt. User j.hammer kommentiert: "Hier versucht Rhetorik vollständige technische Ahnungslosigkeit zu überdröhnen. Selten einen solchen Bockmist gelesen." Das Blog netzpolitik.org verspottet den Beitrag als Büttenrede.
Hevelings Homepage wird gehackt, was nicht schwer ist, weil Benutzername und Passwort sich angeblich aus seinem Vor- und Nachnamen erstellen ließen. Auf der Seite erschien die Mitteilung: "Hiermit möchte ich meinen Austritt aus der CDU öffentlich machen." Später war die Site gar nicht mehr zu erreichen. Hevelings Kommentar: "Diese Webseite gehört mir. Dass sie so einfach gehackt wird, wirft die Frage auf, wie die Gesellschaft im Internet mit Recht umgeht."
Altmaier kontert auf Twitter
Heveling gelingt es, Parteikollegen und -mitglieder zu verschrecken. User Stecki kommentiert auf handelsblatt.com: "Für’s Protokoll: Als jemand, der fast zwanzig Jahre Mitglied der CDU ist, fühle ich mich durch diese rückwärtsgewandte Kulturkampfrhetorik eines Ewiggestrigen (schlimm, das über jemanden sagen zu müssen, der sogar etwas jünger ist als man selbst) nicht vertreten." Und Hevelings Seitenhieb auf Peter Altmaier ("Natürlich soll niemandem verboten werden, via Twitter seine zweite Pubertät zu durchleben. Nur sollte man das nicht zum politischen Programm erheben.") wird von jenem gekonnt zurückgespielt: "Wie wär's mit Gelassenheit?: Meinungsfreiheit für alle, egal ob's gefällt oder nicht! (Fast) jede Debatte übers Netz ist besser als keine!"
Der Grünen-Abgeordnete Volker Beck ruft dazu auf, Vorschläge für andere Verwendungsmöglichkeiten Hevelings zu sammeln, da er politisch eher nichts mit der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft zu tun haben sollte. Und die Vorsitzende des CSU-Netzrates, Dorothea Bär, rät dem Kollegen, in sich zu gehen und zu überprüfen, ob er als Volksvertreter geeignet ist.
Heveling legt nach
Und Heveling? Er lässt sich von den heftigen Reaktionen nicht birren, sieht sich sogar bestätigt. "Dies zeigt, dass die Grundannahmen meines Beitrags offensichtlich nicht falsch sind." Er habe in letzter Zeit beobachtet, "dass ein offener Diskurs zu den Fragen von Freiheit und Eigentum im Internet schwer geworden ist". Seine Streitschrift bereut er nicht. Seine Arbeit in der Internet-Enquete wird er fortführen. Jetzt erst recht! Daher legt er auch gleich nach. "Ich glaube, dass es schon bald eine Generation geben wird, die mit dem Internet ganz anders umgeht. Blogger haben dann keine Relevanz mehr", sagt er der Westdeutschen Zeitung.
Die Netzgemeinde hat Andreas Heveling zu ein paar ruhmreichen Stunden verholfen. Er wird seinen Stammplatz in der Ahnengalerie der digitalen Bedenkenträger erhalten, sich zu Hans-Peter Uhl, Ursula von der Leyen und Hans-Peter Friedrich gesellen. Das hat er seinem Angstgegner zu verdanken, dem Web 2.0.