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Neue Herzfunktionen mit EKG Wirklich ein Lebensretter? Das sagt ein Chefarzt zur Apple Watch Series 4

Die Apple Watch kann nun Vorhofflimmern erkennen. Chefarzt Thomas Deneke erklärt, wie gut das funktioniert
Die Apple Watch kann nun Vorhofflimmern erkennen. Chefarzt Thomas Deneke erklärt, wie gut das funktioniert
© Christoph Fröhlich/stern/Thomas Deneke
Mit der Apple Watch Series 4 möchte Apple Leben retten. Nun schaltet der Konzern in Deutschland die EKG-Funktion frei. Ein deutscher Chefarzt hat die Herzfunktionen bereits mehrere Monate ausprobiert und verrät, was die Uhr aus seiner Sicht im medizinischen Alltag taugt.

Herr Deneke, Sie sind Chefarzt einer Herz-Gefäß-Klinik. In dieser Woche bringt Apple neue Funktionen auf die Apple Watch, mit der sich das Herz genauer überwachen lässt, unter anderem mit einem in die Uhr eingebauten EKG. Haben Sie Angst, dass die Notfallambulanzen in deutschen Kliniken deshalb bald aus allen Nähten platzen?

Nein, kein bisschen. Diese Angst wurde auch in den USA, wo die Funktionen schon länger verfügbar sind, nicht erfüllt.

Mit den neuen Funktionen soll die Apple Watch in der Lage sein, eigenständig Vorhofflimmern zu erkennen. Was ist das eigentlich?

Vereinfacht gesagt, ist Vorhofflimmern ein komplett unregelmäßiger Puls, der bedingt ist durch ein elektrisches Chaos in den Herzvorkammern - also dort, wo der Puls entsteht. Das Vorhofflimmern wird in der Regel hervorgerufen durch falsche Zündkerzen, die in den Vorkammern sitzen. Das kann jeden treffen. In der Regel steigt das Risiko durch diverse Risikofaktoren, die insbesondere im höheren Alter auftreten, wie Bluthochdruck, Herzschwäche oder narbige Veränderungen der Vorkammern.

Als junger Mensch muss man sich also keine Sorgen machen?

Vorhofflimmern kann auch 20-Jährige treffen. Alkoholexzesse sind ein weiterer Risikofaktor. Einer der Klassiker ist der durchzechte Junggesellenabschied, wo man am nächsten Tag mit Herzrasen aufwacht, dahinter kann ebenfalls Vorhofflimmern stecken. Das kann sehr unangenehm, aber auch komplett asymptomatisch sein. Auch kann man bei Leistungssportlern, die sehr viel und intensiv trainieren, Vorhofflimmern finden.

In Deutschland sind Schätzungen zufolge bis zu 1,5 Millionen Menschen betroffen.

Genau, das entspricht knapp zwei Prozent der Bevölkerung. Bei den Über-80-Jährigen liegt der Anteil sogar bei knapp zehn Prozent. Das macht Vorhofflimmern zu einem echten Volksleiden. Und es gibt eine sehr große Dunkelziffer, weil es viele asymptomatische Patienten gibt oder Patienten, bei denen trotz Beschwerden bislang noch nichts diagnostiziert wurde.

Wie gefährlich ist die Krankheit?

Zunächst einmal ist sie nicht lebensgefährlich. Die große Gefahr liegt aber in einem erhöhten Risiko für einen Schlaganfall. Wir gehen davon aus, dass 30 Prozent der Schlaganfälle mit Vorhofflimmern zusammenhängen. Deshalb sollte man es frühzeitig erkennen.

Und wie erkennt die Apple Watch diese Herzrhythmusstörung?

Die Uhr überprüft automatisch den Herzschlag und achtet auf einen unregelmäßigen Herzrhythmus, hinter dem sich Vorhofflimmern verbergen könnte. Das ist zunächst der große Vorteil der Apple Watch im Vergleich zum herkömmlichen Monitoring: Die Uhr sammelt kontinuierlich Daten, aus denen man viele Informationen ableiten kann. Allerdings ist sie in der jetzigen Version noch limitiert. Sie muss fünfmal in mindestens einstündigen Abständen Herzrhythmusabweichungen erkennen, bevor sie den Nutzer warnt. Das heißt, man erwischt zwangsläufig eher längere Vorhofflimmern-Episoden und nicht die sehr kurzen, die am Anfang einer Erkrankung wahrscheinlicher sind. Allerdings reduziert Apple durch den strengen Algorithmus auch die Gefahr, falsch-positive Ergebnisse zu haben.

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Man muss also abwägen.

Wir müssen erst einmal Erfahrungen in der klinischen Praxis sammeln. Ich denke, Patienten mit längeren Episoden oder gar dauerhaftem Vorhofflimmern kann man schon jetzt sehr schnell herausfiltern. In einer großen Studie hat Apple gemeinsam mit der Stanford-Universität mehr als 400.000 Menschen auf Herzrhythmusstörungen untersucht. Dabei wurde der Algorithmus der Uhr mit Langzeit-EKGs verglichen. Das Ergebnis: Die Uhr arbeitet nicht perfekt, es werden keine 100-prozentigen Übereinstimmungen erreicht - aber 85 Prozent. Das heißt, wenn der Algorithmus der Apple Watch meinte, die Herzfrequenz sei unregelmäßig, war dies zu 85 Prozent auch mit einem synchron angelegten EKG als Vorhofflimmern zu erkennen.

Ist das besser oder schlechter, als Sie erwartet hätten?

Das ist schon ziemlich gut. Andere Systeme, etwa Implantate, erreichen ebenfalls keine 100 Prozent. So gibt es bei einigen Menschen etwa Extraschläge des Herzens, die den Puls sehr unregelmäßig machen können, ohne das es gleich Vorhofflimmern ist. Insofern sind die 85 Prozent durchaus gut. Natürlich kann man immer hoffen, dass es noch besser wird. Aber für einen ersten Aufschlag ist das bemerkenswert.

Neben der Erkennung für Vorhofflimmern gibt es noch eine weitere Neuerung: Die aktuellste Version der Apple Watch bietet ein EKG.

Ich teste das Elektrokardiogramm bereits seit vergangenem Dezember, als die Funktion in den USA freigeschaltet wurde. Zunächst einmal ist es intuitiv zu bedienen und geht sehr schnell. Vor allem aber ist es meiner Meinung nach extrem gut.

Die Überwachung auf Herzrhythmusstörungen passiert automatisch im Hintergrund. Das EKG muss man dagegen aktiv starten. Wann ist das überhaupt sinnvoll?

Wenn man Beschwerden hat und wissen will, ob etwas mit dem Herzrhythmus nicht in Ordnung ist, würde ich zuerst den Puls fühlen. Letztlich macht die Apple Watch nichts anderes, wenn auch durch die hinterlegten Algorithmen etwas genauer, als man das als Laie mit den Fingern kann. Als junger Nicht-Herzpatient muss man jedoch nicht regelmäßig EKGs zu schreiben. Das wird erst dann relevant, wenn man unklare Beschwerden hat, die womöglich auf eine Herzrhythmusstörung hindeuten. Wenn man etwa plötzlich Herzrasen verspürt oder schwer atmet und kaum noch den Hügel hochkommt, obwohl man eigentlich fit ist. Dann sollte man in dieser Zeit EKGs aufzeichnen und diese Ergebnisse dann mit dem behandelnden Arzt besprechen.

Die Apple Watch nutzt ein Ein-Kanal-EKG. Der Krankenhausstandard ist ein Zwölf-Kanal-EKG. Wie zuverlässig arbeitet die Uhr überhaupt?

Wenn es darum geht, Vorhofflimmern zu diagnostizieren, reicht das aus. Dafür benötigt man in der Regel keine dezidierte Zwölf-Kanal-EKG-Analyse. Für andere Rhythmusstörungen oder auch für die Detektion von Durchblutungsstörungen am Herzen benötigt man jedoch zwölf Kanäle. Aber dafür ist die Apple Watch nicht ausgelegt. Es geht in erster Linie darum, die Volkskrankheit Vorhofflimmern frühzeitig zu erkennen. Was man für Konsequenzen daraus zieht, ist im Moment schwer zu sagen. Wir sind erst ganz am Anfang in diesem Bereich.

Apple hat den Anspruch, mit dieser Uhr Leben zu retten. Halten Sie das für realistisch?

Das ist natürlich immer schwer nachzuweisen. Aber wenn sie so eingesetzt wird, wie sie sollte, dann kann ich mir vorstellen, dass man Schlaganfälle verhindern und dadurch vielleicht auch das eine oder andere Leben retten kann.

Das Wertvolle an der Uhr ist also das, was sie im Hintergrund tut.

Definitiv ja. Das EKG ist zwar gut und schön. Der eigentliche Kniff ist die automatisierte, nutzerfreundliche Auswertung der gesammelten Daten. Wenn es um das EKG geht, muss man aufpassen, dass die Auswertung immer rückgekoppelt mit einem Arzt passiert.

Die Uhr wird perspektivisch also nicht den Arztbesuch ablösen?

Nein. Den Anspruch hat die Apple Watch auch nicht, es ist eher ein Warn-Gerät. Kritisieren würde ich ohnehin einen anderen Aspekt: In der Apple-Herzstudie wurden viele Patienten mit Vorhofflimmern erkannt. Aber nur wenige sind dann auch zum Arzt gegangen, um zu besprechen, was diese Ergebnisse konkret für sie bedeuten. Da ist bislang noch eine Lücke in der Motivation. Hier muss man ansetzen und eine engere Ankopplung an den medizinischen Bereich ermöglichen, soweit man das im Land des Datenschutzes umgesetzt bekommt.

Ihr Fazit?

Wir stehen am Anfang einer vielversprechenden Technik. Ich bin hocherfreut, wie gut das EKG aussieht und glaube, dass wir damit durchaus weiter kommen, was die Strategien bei der Erkennung und Behandlung von Vorhofflimmern angeht. Ob es letztendlich auch eine klinische Wertigkeit hat, wird man später sehen. Wir werden versuchen, es in unserem Klinikalltag in die Nachsorge der behandelten Patienten zu integrieren. Ich glaube auch, dass wir mit diesen Technologien viele Probleme in ländlichen Regionen überwinden können. Wir sind ein riesiges Herz-Zentrum "auf dem platten Land", mitten in der Rhön. Unsere Patienten haben eher ländliche Strukturen und kommen von weit her, mitunter nur um ein EKG schreiben zu lassen. Da ist es sehr hilfreich, wenn man diese Medien aktiv für sich nutzen kann, um die Kommunikation mit den Patienten möglichst eng zu haben und ihnen trotzdem alle Freiheiten zu ermöglichen. Diesen Dingen dürfen wir uns als Ärzte nicht verschließen, sondern wir müssen sie nutzen. Das wird der Weg in der Zukunft.

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