Jahrelang schielten iPhone-Nutzer neidisch auf die Riesendisplays von Android-Geräten ihrer Freunde. Während die Handys von Samsung, LG und Sony von Jahr zu Jahr immer größer wurden, stagnierte das iPhone 5S bei vier Zoll. Zu winzig für das Jahr 2014, das erkannten nun offenbar auch Apple-Chef Tim Cook und sein Team. Mit gleich zwei neuen Smartphones - iPhone 6 und iPhone 6 Plus - hat Apple größenmäßig zur Konkurrenz aufgeschlossen. Wir haben die beiden neuen iPhones eine knappe Woche getestet und sagen, was sie taugen und welche Größe die richtige für Sie ist.
Handhabung und Design
Back to the roots: Nach vier Jahren voller Ecken und Kanten orientiert sich das neue Design wieder am Ur-iPhone von 2007. Es ist rund, weich und liegt gut in der Hand - solange man keine nassen, schwitzigen Hände hat, denn dann erweist sich das iPhone 6 als rutschige Angelegenheit. Beide Modelle bestehen aus Aluminium, was eine hohe Wertigkeit vermittelt. Die grauen Antennenstreifen auf der Rückseite wollen aber nicht so recht zu dem sonst edlen Design passen. Das Display ist zum Rand hin etwas abgeflacht und fügt sich fast nahtlos in das Gehäuse ein.
Schade allerdings, dass der obere und untere Rand im Vergleich zu den meisten Android-Flaggschiffen zu groß geraten ist. Denn dadurch werden die Apple-Handys unnötig in die Länge gezogen: Mit 13,81 Zentimetern hat das iPhone 6 dieselben Ausmaße wie Samsungs Galaxy S5 - dessen Display ist mit 5,1 Zoll aber deutlich größer. Dafür ist das iPhone 6 mit 6,9 Millimetern (S5: 8,1) wesentlich schlanker. Staub - und spritzwassergeschützt sind die neuen iPhones nicht, zur Badewanne und Maßkrügen sollte man also Sicherheitsabstand zu wahren.
Befürchtungen, das 4,7-Zoll-Display (11,94 Zentimeter) würde die Einhand-Bedienung unmöglich machen, bestätigen sich nicht. Mit meinen mittelgroßen Händen komme ich mit dem Daumen selbst in die obersten Ecken. Ganz anders sieht es beim iPhone 6 Plus aus: Der 5,5-Zoll-Screen ist deutlich imposanter, aber oftmals zu groß für die Hosentasche. Das XXL-Handy passte nur in eine von drei getesteten Hosentaschen und ist daher eher ein Fall fürs Sakko oder die Handtasche.
Für die bessere Einhand-Bedienung hat sich Apple einen Trick einfallen lassen: Durch doppeltes sanftes Antippen (nicht Drücken) des Home-Button rutscht die Oberkante des Bildschirms in die Mitte, sodass man Apps mit dem Daumen leichter erreichen kann. Eine ungewöhnliche Lösung, die mit etwas Übung aber gut funktioniert. Mit dem Landscape-Modus erlaubt Apple auf dem iPhone 6 Plus völlig neue Bedienkonzepte. Man darf gespannt sein, was sich Entwickler alles einfallen lassen werden.
Bei den Tasten und Anschlüssen bleibt sich Apple treu: An der Unterseite befindet sich der Lightning- und 3,5mm-Kopfhörer-Anschluss, auf der linken Seite gibt es die Lauter-/Leiser- und die Stummschalt-Taste. Der Home-Button mit integriertem Fingerabdruckscanner bleibt am gewohnten Platz. Der An-Aus-Schalter ist von oben an den rechten Gehäuserand gewandert, wodurch sich das Handy mit einer Hand anschalten lässt - eine clevere Lösung.
Bildschirm und Prozessor
Die Bildschirme der beiden neuen iPhones sind eine Wucht. Die Farbdarstellung ist realistisch und im Direktvergleich zum iPhone 5S ist der Screen noch schärfer. Zwar ist die Pixeldichte niedriger als beim LG G3, doch das wirkt sich nur auf dem Papier negativ aus. Laut dem Test-Magazin DisplayMate fährt der Bildschirm des 6 Plus Bestnoten ein und liefert die beste Leistung, die je in einem Test gezeigt wurde. Gelobt werden vor allem die Helligkeit, die Kontraste und die geringe Spiegelung im Sonnenlicht.
Das iPhone 6 hat auf seinem 4,7-Zoll-Display eine Auflösung von 1334x750 Pixeln. Bedenkt man, dass HTC bereits im Frühjahr 2013 ein Full-HD-Display (1920x1080) in seinem One (M7) verbaute, ist das auf den ersten Blick enttäuschend. Im direkten Vergleich fällt aber kein großer Unterschied auf. Der Bildschirm des kleinen iPhones ist ebenso überzeugend wie der des großen Bruders, der eine Full-HD-Auflösung hat.
Mehr Pixel benötigen mehr Rechenpower, und die liefert der A8-Chip. In Vergleichstests liegt der Zweikernchip hinter den Achtkernprozessoren einiger Konkurrenten, doch im Alltag spielt das keine Rolle. Das Betriebssystem iOS 8 braucht weniger Ressourcen als Android und läuft ohne störende Ruckler. Auch aktuelle 3D-Games bringen das iPhone nicht ins Schwitzen. Unterstützt wird der Prozessor vom neuen M8-Koprozessor, der Bewegungen des Handys registriert und den Prozessor entlastet.
Kamera
Für viele Nutzer ist die Kamera das wohl wichtigste Feature eines Smartphones. Dank ihr halten wir Momente mit der Familie fest oder lassen Freunde wissen, was es zum Mittagessen gab. Bei den neuen iPhones löst der Bildsensor immer noch mit acht Megapixeln auf. Hier wären 13 Megapixel wünschenswert gewesen, um Details nachträglich digital vergrößern zu können.
Dennoch: Der überarbeitete ISP (Image Signal Processor) macht seine Arbeit vor allem bei Tageslicht ausgezeichnet. Bei schlechten Lichtbedingungen machen die iPhones eine gute Figur, auch wenn das kleine iPhone 6 stärker zum Bildrauschen neigt als das 6 Plus. Kein Wunder, das große Apple-Handy hat einen optischen Bildstabilisator und kann leichte Unschärfen besser ausgleichen. Ein Kaufgrund ist der optische Bildstabilisator aber nur für Hobbyfotografen. Im Vergleich zum iPhone 5S machen beide Modelle bessere Nachtaufnahmen.
Die Kamera fokussiert schnell und hält selbst bei Bewegungen den Fokus. Auch bei schnellen Hell-Dunkel-Übergängen im Video gibt sich das iPhone 6 keine Blöße. Verantwortlich dafür ist die neue Technologie namens "Focus Pixels". Apple nutzt in den neuen iPhones nicht nur den typischen Kontrast-Fokus, sondern ein Phasenvergleichs-Verfahren, wie es Fotografen aus dem Systemkamera-Bereich kennen. Dabei fokussiert die Kamera so schnell, dass beim Motivwechsel kaum Unschärfen auffallen. Für Video-Fans ist das ein deutlicher Mehrwert.
Beide iPhones erlauben weiterhin die Aufnahme von Zeitlupenvideos mit bis zu 240 Bildern pro Sekunde, wodurch tolle Videos im Matrix-Stil entstehen. Beim iPhone 5S war nach 120 Bildern Schluss.
Die Frontkamera hat nun eine f/2.2-Blende statt f/2.4 - die Bilder wirken etwas knackiger und heller.
Akku und Sound
Wie erwartet steckt im größeren Apple-Smartphone ein dickerer Akku: Der Stromspeicher fasst 2915 (iPhone 6 Plus) statt 1810 Milliamperestunden (iPhone 6). In unserem Test hielt das große iPhone zwei Tage bei normaler Nutzung durch, bevor es wieder an die Steckdose musste. Das iPhone 6 hält bei durchschnittlicher Nutzung etwa anderthalb Tage durch.
Der Musikplayer ist sehr gut, auch die Sprachqualität ist in Ordnung. Zu Testzwecken haben wir uns ins Getümmel des Oktoberfests begeben, dennoch konnten wir den Gesprächspartner klar und laut verstehen.
Internet und NFC
Im Netz surfen Sie unterwegs mit LTE Cat4, damit sind 150 Mbit/s im Download möglich. Webseiten laden rasend schnell, auch Apps kann man unterwegs in wenigen Sekunden installieren. Einige Konkurrenzgeräte unterstützen bereits LTE Cat6 mit 300 Mbit/s, allerdings dürften derzeit kaum Nutzer einen solchen Mobilfunkvertrag haben. Im heimischen Wlan surft man mit dem flinken ac-Standard, sofern es der Router unterstützt.
Die neue Bezahltechnik Apple Pay, die den im iPhone 6 integrierten NFC-Chip nutzt, konnten wir nicht testen. Vermutlich wird es noch Monate, wenn nicht Jahre dauern, bis die Technik hierzulande genutzt werden kann - sofern sie sich überhaupt durchsetzt. Bequem ist das Bezahlen mit dem Handy zweifellos, doch in Zeiten von Nacktbilder-Hacks sind viele Nutzer unsicher, ob ihre Daten überhaupt gut aufgehoben sind. Hier müssen die Firmen und deren Partner Vertrauen schaffen. Schade: Der NFC-Chip kann nicht genutzt werden, um das iPhone etwa mit kabellosen Kopfhörern oder Lautsprechern zu koppeln.
Welches Handy soll es nun sein?
So sehr die Android-Welt auch über die vermeintlich "veraltete" Hardware der neuen iPhones spottet - die neue Generation lief in unserem Test extrem schnell und ohne Probleme. Display, Leistung, Kamera und die Verarbeitung sind hervorragend. Das abgerundete Design und die Antennenstreifen bleiben Geschmackssache, auf jeden Fall liegen beide Smartphones gut in der Hand.
Wer sein altes iPhone 4S oder 5 ersetzen will, sollte zum iPhone 6 greifen. Aufgrund des kompakteren Formfaktors und des geringen Gewichts ist das 4,7-Zoll-Modell das bessere Alltagshandy. Wer dagegen viel unterwegs arbeitet und auf den großen Bildschirm sowie die längere Akkulaufzeiten angewiesen ist, sollte das 6 Plus wählen. Beim Warten auf die U-Bahn oder im Bus kann das große iPhone seine Vorzüge ausspielen: Spielen, Lesen, Surfen und Filme schauen macht auf dem 88 Prozent größeren Display einfach mehr Spaß.
Allerdings sind die neuen iPhones kein billiges Vergnügen: Das iPhone 6 kostet in der kleinsten Variante mit 16 Gigabyte Speicherplatz 699 Euro. Die Version mit 64 GB - unsere Empfehlung - kostet 799 Euro, das Premium-Modell mit 128 GB satte 899 Euro.
Noch teurer ist das iPhone 6 Plus. Das 16-GB-Modell kostet 799 Euro, 64 GB schlagen mit 899 Euro zu Buche und die teuerste 128GB-Version kostet 999 Euro. Erhältlich sind beide Smartphones in den Farben spacegrau, silber und gold.