Sie schauen gerade Ihren Lieblingsfilm. Sobald die schönste Szene vorbei ist, drücken Sie ein paar Mal an Ihrer Fernbedienung herum, schon führt Sie der gut aussehende Hauptdarsteller über den Set und moderiert einen Bericht über die Dreharbeiten. Aus dem Hintergrund schwadroniert der Regisseur über seine tiefgründigen Absichten, erklärt Spezialeffekte und zeigt Schnipsel, die im fertigen Film nicht mehr auftauchen. Schließlich lauschen Sie Interviews mit den Stars und lesen deren Biografien. Am Ende glauben Sie, Sie wären wirklich dabei gewesen, als Ihr Lieblingsfilm geschossen wurde.
Möglich macht's: die DVD.
Die Silberscheiben haben auf den ersten Blick wenig Spektakuläres. Eben Spielfilme auf CD statt auf Videokassette. Doch wer einmal einen Kinofilm auf DVD gesehen und dabei den Qualitätssprung in Bild und Ton und die manchmal üppige Sonderausstattung genossen hat, muss erkennen: VHS ist zwar noch nicht tot, riecht aber schon ziemlich streng.
Die DVD, ein Goldesel
Was auch die Verkaufs- und Verleihzahlen eindrucksvoll bestätigen. Hollywood hat an den DVD- und Videoverkäufen voriges Jahr doppelt so viel Geld verdient wie an den Kinokassen; der größte und profitabelste Brocken stammt dabei von DVDs, die allein in Deutschland in diesem Jahr erstmals einen Umsatzgipfel von einer Milliarde Euro erklimmen.
Erst 1997 in den USA und 1999 in Deutschland eingeführt, wurde das junge Medium zum schnellsten Erfolg in der Geschichte der Unterhaltungselektronik. Fast jeder dritte deutsche Haushalt besitzt inzwischen einen DVD-Player.
Das Beste aus Cineastistan
Making-of, Audiokommentar, Deleted Scenes: Die Standardausstattung von gelungenen DVDs klingt nur noch für wenige wie eine Fremdsprache aus Cineastistan. Von den Fans jedoch fast unbemerkt, trat die DVD auch eine Revolution des Films los. Revolution? Da denkt man vielleicht an den ersten Tonfilm, die Farbe. Aber DVD? Doch sogar die "New York Times" meint: "Ton hat den Rahmen von Filmen verändert, aber nicht wirklich die Art, wie Filme gemacht werden, wie sie vermarktet werden oder wie wir sie anschauen. Die DVD hat alle diese Dinge verändert."
Die Extras werde inzwischen mit eingeplant
Wenn wir heute einen Film auf DVD kaufen oder mieten, dann wollen wir mehr als nur den Hauptfilm. Jetzt kann das normale Publikum den Filmemachern und Schauspielern bei ihrer sonst so sorgsam von der Öffentlichkeit abgeschirmten Arbeit über die Schulter schauen. Solche Extras werden inzwischen bei jeder größeren Filmproduktion gleich mitgedreht. Regisseure wie Peter Jackson, der mit seinen "Herr der Ringe"-DVDs das Medium zu neuen ästhetischen und kommerziellen Höhenflügen anspornte, denken bereits vor und während der Dreharbeiten über die Inhalte der DVD nach und dokumentieren bestmöglich die Geschehnisse.
Vieles, was auf der großen Leinwand der Altersfreigabe oder den Wünschen der Produzenten zum Opfer fällt, wird auf Scheibe gerettet. Film zu lang? Dann kommen die Extraminuten eben auf DVD, wie bei "Erin Brockovich". Film zu brutal oder zu obszön? Dafür gibt es später eine "unzensierte" DVD, wie bei "American Pie". Unzufrieden mit dem Happy-End? Auf der DVD des Zombie-Thrillers "28 Days Later" stellte Regisseur Danny Boyle ("Trainspotting") den Zuschauern gleich vier Schluss-Szenen zur Wahl, von hoffnungsfroh bis schwermütig.
Klassiker erscheinen in neuem Gewand
Filmklassiker, die es lange Zeit nicht mehr oder noch nie auf Video gab, erscheinen in restaurierten Fassungen auf DVD. Hitchcock, Chaplin, Lang, Fellini, Kurosawa, Ray, Wilder, Kubrick - die Liste lässt sich beinahe endlos verlängern. Mit einem Gang zu den Multimedia-Märkten der Republik kann man sich nun seinen eigenen Filmkanon zusammenstellen, durch die "Special Features" werden DVDs zur Filmhochschule für jedermann.
Nicht nur für Kinofilme
Und DVD macht beim Spielfilm nicht Halt: Beliebte klassische und moderne TV-Serien wie Lassie, 24, Akte X, Friends, C.S.I., Timm Thaler, Sex and the City, Sopranos oder die Simpsons erreichen ohne Werbeunterbrechung und Wartezeiten ihre Fans - als komplette Staffel auf ein paar Scheiben. Musiker von Led Zeppelin über Madonna bis zu Robbie Williams brennen ihre Tournee-Mitschnitte und Clips auf Scheibe. Selbst Doku-DVDs über die größten Panzer- oder Seeschlachten des Zweiten Weltkriegs finden Käufer.
Die DVD unterstützt das Actionkino
Die frisch entbrannte Liebe zur DVD hat jedoch nicht nur rosige Seiten. Männer sind die besten Kunden, und die bevorzugen vor allem actionlastiges Adrenalinkino oder studentische Komödien. Ernstere Dramen gehen schlechter, und das wissen natürlich auch die Marketing-Profis in Hollywood.
Resultat: Die Budgets für Explosionen oder Autoverfolgungen steigen enorm und werden trotzdem mühelos bewilligt. Denn selbst wenn solche Filme an der Kinokasse floppen, die DVD-Verkäufe holen oft das investierte Geld locker wieder rein.
Man kann es auch übertreiben
Der Umfang des Bonus-Materials läuft zudem immer öfter aus dem Ruder. So wird für die Ende Januar erscheinende DVD des Sommerhits "Fluch der Karibik" mit sieben Stunden Extras geworben. Vielleicht ist dabei endlich das erste Making-of eines Making-of? Was nützen außerdem Audio-Kommentare, bei denen der Regisseur über das Wetter am Drehort oder die Versorgung mit Essen quasselt oder seine Schauspieler lobt, als betriebe er eine Partnervermittlung.
Noch eine Edition und noch eine...
Am perfidesten an DVD-Neuverscheinungen ist jedoch die Masche der Anbieter, die zuerst eine normale DVD fast ohne Extras auf den Markt werfen. Wenig später folgt eine Special Edition mit Extras. Und noch ein wenig später vielleicht eine Collector's Edition oder Platinum Edition mit noch ein paar Minuten mehr Film oder Bonusmaterial.
Schnellkäufer sind die Gelackmeierten, und selbst Menschen, die jahrelang gegen ihre Sammelleidenschaft ankämpften, zücken dann, irgendwann weich gekocht, das Portemonnaie. Bis zum Ende des Jahres werden rund 10.000 Titel auf DVD erschienen sein, die vielen Erotik- und Pornoscheiben nicht einmal mitgerechnet.
Selbstzerstörerische Tendenzen
Vielleicht sind EZ-Ds, gerade in vier US-Staaten getestet, doch keine so schlechte Idee. Das sind vakuumverpackte DVDs, die sich bei Luftkontakt nach 48 Stunden selbst zerstören. Was wie ein Gimmick aus einem alten James-Bond-Film klingt, soll das lästige Zurückbringen von Leih-DVDs abschaffen. Perfekt für das Land der unbeweglichen Sofakartoffeln. Und echt abschreckend für unverbesserliche Sammler.