Fernsehen Sie werden Augen machen!

Flachbildschirme bringen superscharfe Bilder ins Wohnzimmer, digitale Recorder befreien den Zuschauer vom Programmschema: Die Zukunft des Fernsehens beginnt - und die Geräte gibt es schon heute.

Endlich mal ein gemütlicher Fernsehnachmittag für den kleinen Tom. Auf Super-RTL läuft die Dinosaurier-Serie "In einem Land vor unserer Zeit". Bis zum Abendbrot. "Machst du Pause, Papi?", fragt der Vierjährige. René Pavlik, 33, drückt eine Taste, und der Schirm friert ein.

Was überhaupt nicht schlimm ist, im Gegenteil. Denn die Familie aus Klausdorf bei Stralsund hat sich unabhängig gemacht vom Programmschema der Sender, weil Vater René einen digitalen Satellitenempfänger mit Festplatte benutzt. Damit lässt sich eine Sendung mittendrin anhalten, weil sie auf Festplatte aufgenommen wird und nicht auf einem Videoband. "Personal Video Recorder" heißt so etwas.

Torsten Trimpert, 45, aus Bonn tippt auf seine Systemfernbedienung, und die Jalousien fahren elektrisch herunter. Unter der Decke seines Wohnzimmers hängt ein TV-Projektor. Der Kaufmann startet eine Dokumentation des amerikanischen Discovery Channel. Auf einer Leinwand mit einer Diagonale von rund 3,5 Metern krabbelt eine grüne Raupe über ein Blatt. Man kann jedes Füßchen und jeden Tautropfen sehen. Das Insekt scheint plastisch, dreidimensional. Denn Trimpert schaut sich die Sendung in hochauflösendem Fernsehen an - auf Englisch nennt sich das "High Definition TV", kurz HDTV.

Die gestochen scharfen Raupen und der schlaue Recorder zeigen, wie wir künftig fernsehen werden. Auf der Internationalen Funkausstellung (IFA), die diese Woche in Berlin beginnt, geht es vor allem um diese beiden Trends. "Hochauflösend" klingt gar nicht besonders beeindruckend - doch wer erst einmal HDTV gesehen hat, weiß, wie unscharf und verwaschen es heute noch auf unseren Bildschirmen zugeht.

Die knackigen Bilder

des HD-Fernsehens sind die erste grundlegende Verbesserung des Fernsehens in Deutschland, seit Willy Brandt auf der IFA 1967 das Farbfernsehen startete. In den nächsten Jahren werden immer mehr Sender ihr Programm in hochauflösender Bildqualität und im kinoähnlichen Breitbildformat 16 : 9 ausstrahlen. Der Bezahl-Sender Premiere will schon im November ein HD-Programm starten, er wird alle Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 hochauflösend übertragen. ARD und ZDF wollen die Spiele immerhin im 16 : 9-Format senden.

Den Fernsehgeräteherstellern kann es mit HDTV gar nicht schnell genug gehen. Sie hoffen auf Umsatzrekorde, denn klassische Röhrengeräte taugen kaum für die Neuerungen. Flachbildschirme mit LCD- oder Plasma-Anzeigen oder TV-Projektoren dagegen eignen sich bestens für die hochwertigen Bildsignale. Und die werden erschwinglich: Das Wohnzimmerformat mit 32 Zoll oder rund 82 Zentimeter Bilddiagonale gibt's vereinzelt schon für rund 1000 Euro. Deutlich mehr als eine Million TV-Geräte der neuen Generation sollen in diesem Jahr bei uns verkauft werden.

Aber längst nicht alle heute angebotenen Geräte sind in der Lage, HDTV in bester Qualität anzuzeigen. Wenn immer mehr Sender in den nächsten Jahren auf HDTV umstellen, werden viele Schnäppchenkäufer merken, dass ihr Fernseher schon wieder veraltet ist. Genau deshalb ist es entscheidend, schon heute beim Fernseherkauf auf die Zukunft zu achten - selbst wenn HDTV zögerlich auf Sendung gehen wird. Die große Kaufberatung des stern ab Seite 10 sagt, worauf man achten sollte.

Die Vorteile der "Personal Video Recorder" dagegen sind schon jetzt augenfällig: Statt auf Videocassetten landen Mitschnitte digitalisiert auf einer Festplatte. Und das bedeutet: alle Macht dem Zuschauer! Das Zwangsfernsehen mit Volksmusik im Ersten, Traumschiff im Zweiten und von Werbepausen in die Länge gezogenen Spielfilmen und Serien bei RTL oder Pro Sieben ist auf lange Sicht ein Auslaufmodell.

Die Fernsehfamilie aus Nordvorpommern erlebt bereits, wie sich der Deutschen liebstes Feierabendvergnügen verändern wird. "Ich kann Filme einfach anhalten, wenn das Telefon klingelt oder Tom schreit", sagt Antje Gleß, 39, Toms Mutter und Lebensgefährtin von René Pavlik. Über einen elektronischen Programmführer, den ihr Digitalrecorder auf dem Bildschirm anzeigt, sucht sich die Familie eine Woche im Voraus schon Sendungen aus.

Mit einem Klick auf die Fernbedienung wird die Aufnahme programmiert. Jetzt haben die Pavliks immer etwas parat, was sie wirklich gern sehen wollen, wenn im Fernsehen mal wieder gar nichts Interessantes läuft. Fast 30 Stunden Spielfilme, Serien und Dokumentationen sind auf der 160 Gigabyte großen Festplatte ihres Recorders gespeichert, mehr als doppelt so viel könnte das Gerät aufzeichnen. "Zeitweise hatten wir so viele Filme aufgenommen, die haben wir gar nicht weggeguckt gekriegt", sagt René Pavlik.

Werbepausen finden bei der Familie nicht mehr statt: Nach einem Druck auf die richtige Taste springt die aufgenommene Sendung sofort ein paar Minuten vor - so lässt sich ein Reklameblock schnell überspringen. Das geht ohne vorspulen, weil es so was bei der Festplatte nicht mehr gibt. Der Recorder der Pavliks erkennt sogar automatisch Werbepausen und entfernt sie auf Wunsch. "Die Serie "24' habe ich kürzlich meiner Schwester auf DVD gebrannt. Die kann sie ganz ohne Reklame schauen", sagt René Pavlik.

Ein Traum für den Zuschauer, aber ein Albtraum für Sender, die von Werbung leben. Hersteller wie BenQ setzen auf den Reiz des eingebauten Reklamekillers: "Mit der automatischen Kapitelmarkierung gehören Werbeunterbrechungen während des Spielfilms der Vergangenheit an."

An den "schnellen Tod des 30-Sekunden-Spots" glaubt der Düsseldorfer Werbemanager Michael Bohn, 52, dennoch nicht. Die von ihm in Deutschland geführte Agentur Zenith-Optimedia bucht jedes Jahr für Kunden wie Toyota, Hypo-Vereinsbank und Nestlé TV-Spots im Wert von rund 750 Millionen Euro. Und dieses Geschäft sei nicht am Ende: "In Deutschland gibt es zurzeit nicht einmal 100 000 Digitalrecorder, die selbstständig Werbung überspringen", rechnet er vor.

Aber der Zuschauer kann das auch von Hand machen. Deshalb reagieren die Agenturen mit neuen Tricks, mit Schleichwerbung etwa oder gesponserten Sendungen wie der "Nutella-Geburtstags-Show" bei RTL 2. Product Placement, also wie zufällig in die Handlung eingebaute Nutzung oder Konsum von Markenartikeln, wird es nach der Prognose Bohns künftig noch mehr geben.

Völlig bizarre Auswüchse

wie etwa in Indonesien müsse der deutsche Zuschauer jedoch kaum befürchten. "Dort sah ich beim Zappen im Hotel einen Nachrichtensprecher vor einer weißen Wand mit zehn Firmenlogos." Das trauen sich im deutschen Fernsehen bislang nur Sportler bei Pressekonferenzen.

Langsam, aber sicher tasten sich die Sendeanstalten an das Thema HDTV heran. Der Aufwand ist erheblich und teuer: Die gesamte Technik von der Kamera bis zu den Videoschnittplätzen muss für das hochauflösende Fernsehen erneuert werden. Mit Spielfilmen wagen die Sender erste Experimente: Auf einem eigenen Satellitenkanal strahlte Pro Sieben im Frühjahr "Spider Man" und "Men in Black II" in HDTV aus.

Der Schwestersender Sat 1 übertrug im Mai das Champions-League-Finale in höchster Auflösung. Da blieb der Rasen nicht mehr einfach nur eine grüne Fläche: Jeder Grashalm war ebenso sichtbar wie die Schweißtropfen in den Gesichtern der Spieler. Gerade Fußballfans sollen zu HDTV-Pionieren werden. "Wir könnten schon jetzt jederzeit auf HDTV umschalten", sagt Martin Emele, Technik-Chef von Pro-Sieben-Sat-1-Produktion. "Aber noch gibt es nicht genug Zuschauer, die etwas davon hätten."

Bislang ist die Zahl der HDTV-Seher in Deutschland klein: Experten schätzen, dass es etwa 2500 der speziellen Sat-Receiver gibt, die den Empfang von per Satellit ausgestrahlten High-Definition-Sendungen ermöglichen. Oft gehören sie Heimkino-Freaks wie den Trimperts. Die meisten HDTV-Sendungen tauscht Trimpert als digitale Datei mit Bekannten. Die Filme und Fernsehmitschnitte stammen aus den USA, wo einige Sender schon seit längerem in HDTV übertragen.

Zögerlich geben sich vor allem ARD und ZDF. Zwar werden viele Tierfilme schon mit hochauflösender Technik produziert. Aber einen richtigen HDTV-Kanal wird die ARD frühestens 2008 starten, dann könnten die Olympischen Spiele in Peking HDTV zum Durchbruch verhelfen. Bis dahin wollen die Öffentlich-Rechtlichen sich nicht dem Vorwurf aussetzen, ein Minderheitenprogramm mit Gebühren zu finanzieren.

Ausschließlich per Satellit werden die ersten HDTV-Zuschauer ihre Programme empfangen - so wie die Testsendungen von Sat 1 und Pro Sieben und den per Astra empfangbaren Pay-TV-Sender HD-1 aus Belgien. In den meisten Kabelnetzen dagegen ist mit althergebrachter Technik nicht genug Platz für HDTV, weil die Datenmengen dafür wesentlich höher sind. Erst eine technische Aufrüstung des Kabels erweitert die Kapazität. Das digitale Antennenfernsehen DVB-T hat bei der jetzigen Programmvielfalt zu wenig Bandbreite für das superscharfe TV.

Günstig wird HDTV für Fernsehpioniere ohnehin nicht: Der Pay-TV-Sender Premiere will im November Kanäle mit Filmen, Dokus und Sport starten - zu happigen Preisen von je 10 bis 15 Euro pro Monat, dazu kommen die Kosten für einen neuen Sat-Receiver. Auch das Mitschneiden von Fernsehsendungen, wie es René Pavlik mit seinem Personal Video Recorder vormacht, könnte in der HDTV-Zukunft nicht mehr reibungslos klappen. Denn die Technik enthält einen Kopierschutz, mit dem die Hollywood-Studios Piraterie stoppen wollen.

Den kleinen Tom scheren diese Fragen natürlich nicht. Nach dem Abendbrot darf der Vierjährige seine Dino-Sendung zu Ende anschauen, dann geht er zufrieden ins Bett.

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Dirk Liedtke

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