Raketenabwehr Iron Dome – Israels Schutzschirm hält stand, doch die Terroristen überlisten ihn

Das Raketenabwehrsystem Iron Dome ist in Israel im Einsatz, um aus dem Gazastreifen abgefeuerte Raketen abzufangen
Das Raketenabwehrsystem Iron Dome ist in Israel im Einsatz, um aus dem Gazastreifen abgefeuerte Raketen abzufangen
© MAHMUD HAMS / AFP
Sehen Sie im Video: Israel setzt Kampf gegen Hamas-Angreifer fort – mehr als 1000 Tote






STORY: Auch in der Nacht zu Montag hielten die Angriffe der Hamas vom Gazastreifen aus in Richtung Israel weiter an. Schäden waren unter anderem in der grenznahen Stadt Ashkelon zu sehen. Seit dem Beginn des Großangriffs durch die Hamas am Samstagmorgen verzeichnete Israel bislang insgesamt mindestens 700 Todesopfer und die Zahl könnte noch weiter steigen. Außerdem geht Israel von rund 100 entführten Personen aus, darunter könnten auch Deutsche sein. Aus dem Gazastreifen wurden rund 400 Tote gemeldet. Doch da die Kämpfe weiter fortgesetzt werden, steigen die Zahlen ständig. Hier Bilder von Zusammenstößen mit Sicherheitskräften am Checkpoint Qalandia an der Grenze zum Westjordanland. Allerdings konzentrieren sich die Angriffe der israelischen Armee nach eigenen Angaben weiter auf die Stellungen der Terrorgruppe im Gazastreifen im Süden Israels. Kampfflugzeuge hätten unter anderem Ziele der in der Küstenenklave herrschenden Islamisten in einem mehrstöckigen Gebäude beschossen, heißt es in einer Mitteilung.
Der Iron Dome wurde auch mit einem Angriff von 5000 Terrorraketen fertig, 90 Prozent konnte er abwehren. Doch im Schutz der Massenattacke setzte die Hamas fast unbehelligt Drohnen und Gleiter ein.

Die Raketen der Hamas konnten Israels Schutzschild, den Iron Dome, mit einigen Raketen überwinden. Das spricht nicht gegen die Leistungsfähigkeit des Systems, die Hamas brachte es bei den Angriffen jedoch an die Grenze der Möglichkeiten. Von Luftabwehrsystemen wie den russischen S-300, S-400, S-500 oder dem Patriot-System aus den USA unterscheidet sich der Iron Dome merklich. Er ist speziell auf die besondere Bedrohungslage in Israel abgestimmt. Er schützt die Kurzstrecke – die maximale Reichweite einer Abwehrrakete beträgt nur 70 Kilometer. Eine Batterie baut aber keine Schutzkuppel von 70 Kilometern Radius auf. Die effektive Reichweite deckt eine Zone von nur sieben Kilometern Radius ab, das sind etwa 150 Quadratkilometer.

Iron Dome im Gefecht über der Stadt Netiwot.
Iron Dome im Gefecht über der Stadt Netiwot.
© Mahmud Hams / AFP

Kein Schutz des kompletten Gebietes

Das ist ein Hauptproblem des Systems: Israel ist nicht in der Lage, alle Regionen gleichermaßen zu schützen. Das heißt nicht, dass der Iron Dome anderen Systemen unterlegen ist, nur weil sie eine höhere Reichweite haben. Er ist in der Lage, Raketen auf kurze Entfernungen abzuschießen. Etwas, was eine S-400 gar nicht kann.

Das zweite Problem ist die ungeheure Menge an Raketen. Nach Angaben der Hamas wurde der Überfall auf Israel mit einer Welle von 5000 Raketen begleitet, die innerhalb von 20 Minuten gestartet wurden. Israelische Angaben sprechen von 3000. Die Hamas setzt auf die Kraft der großen Zahl. Jede einzelne Rakete muss individuell abgefangen werden. Die Raketen der Hamas sind einfach aufgebaut. Es sind keine Hightech-Waffen, deren Elektronik Abwehrraketen austricksen könnte. Dennoch stellen sie eine Bedrohung dar. Die Raketen sind klein, können leicht unbemerkt transportiert und gelagert werden und sie können ohne große Vorbereitung schnell überall gestartet werden. Trotz der absoluten Lufthoheit der israelischen Luftwaffe und einer permanenten Überwachung durch Drohnen, kann die IDF (Israel Defence Force) daher den Start großer Mengen an Raketen nicht verhindern.

Große Mengen an Raketen 

Die Hamas ist auch nach dem ersten Schlag in der Lage, weitere Wellen an Raketen zu starten. Offenbar wurden über 10.000 Raketen gebaut, versteckt und gehortet. Die Raketen selbst transportieren meist nur 5 Kilogramm Sprengstoff und sind ungelenkt. Das heißt, sie können kein Ziel präzise treffen, sondern schlagen im besten Fall in einem Zielgebiet ein. Zusammen mit dem wenigen Sprengstoff und dem daraus resultierenden kleinen Wirkungsradius wird klar, dass diese Raketen im eigentlichen Sinn keine militärische Wirkung erzielen. Sie sind reine Terrorwaffen, die darauf abzielen, Angst und Schrecken unter der Zivilbevölkerung zu verbreiten, die aber nie einen Schlachten entscheidenden Schaden anrichten könnten.

Während die teuren und aufwendigen Abwehrbatterien von USA und Russland dafür gebaut sind, wenige Angreifer mit großen Sprengköpfen auszuschalten, wurde der Iron Dome von Anfang an dafür entwickelt, Massenattacken abzuwehren. Eine Batterie besteht aus einem Radar (EL/M-2084-Multi-Mode-Radar), einem Kontrollzentrum und bis zu vier Startern mit je 20 Raketen. Eine Einheit kann über 1000 Objekte erfassen und sechs angreifende Objekte gleichzeitig bekämpfen. Wegen des geringen Zeitfensters verlaufen die Abläufe weitgehend vollautomatisch. Das System erfasst einen Start, berechnet Flugbahn und Einschlagstelle und empfiehlt einen Einsatz – der dann freigegeben werden kann. Zusätzliches Feature: Das System kann zwischen geschützten Gebieten (Siedlungen) und Flächen wie Wüsten unterscheiden, die nicht verteidigt werden. Doch vier Starter zu 20 Raketen heißt auch, dass das System nach 80 Starts aufmunitioniert werden muss.

Keine exakten Treffer

Die Angriffe der Hamas laufen darauf hinaus, mehr Angriffsraketen in die Luft zu bringen, als die Israelis an Abwehrraketen besitzen. Israel ist sich der Situation bewusst, großer Wert wurde daher auf eine vergleichsweise kostengünstige Lösung gelegt. Während eine "normale" Luftabwehrrakete wie die RIM-162 Evolved Sea Sparrow Missile von Raytheon zwischen 640.000 und 800.000 US-Dollar kostet, ist der Iron Dome wesentlich billiger. Jedem einfliegenden Objekt begegnen die Israelis nach Möglichkeit mit zwei Abwehrraketen, um so die Wahrscheinlichkeit eines Abschusses (Killrate) zu optimieren. Angeblich soll die Killrate pro Schuss bei 90 Prozent liegen, wenn die angreifende Rakete in der Verteidigungszone ist, bei einem Doppelschuss ergibt das fast 99 Prozent. In einer Lage wie jetzt, dürfte Israel auf einen zweiten Schuss verzichten. Dem entspricht auch die von Israel gemeldete Abwehrrate von 90 Prozent. Für weitreichende Raketen hat Israel seit 2017 das System David's Sling eingeführt, hier werden wesentlich teurere Stunner-Raketen eingesetzt.

Die Strategie, Israels Schutzschild mit Tausenden von Billig-Raketen zu überrennen, hat Grenzen. Die Raketen, die einschlagen, können keine Kämpfe entscheiden. Sie zwingen die Zivilbevölkerung in die Keller, lähmen das öffentliche Leben, machen Evaluierungen riskant, sie sind aber nicht in der Lage, gezielt militärische Einrichtungen auszuschalten. Die Hamas kann mit ihnen nicht eine leergeschossene Abwehrbatterie attackieren und zerstören.

Ein Propagamnda-Video zeigt den Start einer Gruppe von Kamikaze-Drohnen.
Ein Propagamnda-Video zeigt den Start einer Gruppe von Kamikaze-Drohnen.
© Twitter

Schleier für weitere Angriffe

Wo ist also der Nutzen dieser Attacken? Diese Angriffe haben einen propagandistischen Effekt, durch sie kann die Hamas behaupten, jeden Punkt in Israel angreifen zu können. Darüber hinaus beanspruchen diese Wellenattacken die Israel Defence Force stark. Und das ist die eigentliche Wirkung der Raketenwellen, sie fungieren als Schutzschirm für andere, weit gefährlichere Operationen. Die Terrororganisation setzte andere  Flugkörper ein - Drohnen und Gleitschirme. Mit Gleitern überwanden Kommandos die Grenze und landeten im Hinterland. Auf Videos des "Supernova Sukkot Gathering" Festivals sind im Hintergrund die ankommenden Gleiter, die von den Ravern nicht bemerkt wurden, zu erkennen. Dazu setzte die Hamas Quadcopter und Kamikaze-Drohnen ein. Auf Videos sind die Angriffe auf Kontrollposten und Panzer zu sehen. Selbst bei Schusswechseln bekämpften die Drohnen die israelischen Kämpfer.

Wie lange reichen die Vorräte? 

Massenattacken von Raketen auf Israel hat es in der Vergangenheit bereits gegeben. Sie konnte der Iron Dome zum größten Teil absorbieren. Erstaunlich ist, wie überrascht die israelischen Streitkräfte vom Einsatz von Drohnen waren. Seit einigen Jahren und besonders seit Putins Überfall auf die Ukraine ist bekannt, wie wirksam diese ferngelenkten Flugkörper sind. Sie sind billig, leicht zu beschaffen, zu bauen und schwer abzuwehren. Zurecht werden sie die "Luftwaffe des kleinen Mannes" genannt, es war zu erwarten, dass Gruppen wie die Hamas sie einsetzen werden.

In den erwartbaren Grenzen hat der "Iron Dome" standgehalten. In den nächsten Tagen wird sich zeigen, ob Israel genügend Abwehrraketen für den Iron Dome beschafft hat. Sollte Israel die Munition ausgehen, während die Hamas und ihre Verbündeten weiterhin diese Raketen abfeuern, dürfte der Großteil der abgeschossenen Raketen durchkommen.

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