Terror in Israel Die Verschleppten der Hamas: Angehörige warten verzweifelt auf neue Hinweise

  • von Isabel Stettin
Vermisste Deutsche: Hilferuf von Shanis Mutter bewegt Millionen
Vermisste Deutsche: Hilferuf von Shanis Mutter bewegt Millionen
Sehen Sie im Video: Vermisste Deutsche – Hilferuf von Shanis Mutter bewegt Millionen. Videoquelle: rtl.de
Bei ihrem Angriff auf Israel hat die islamistische Terrororganisation Hamas aktuellen Berichten zufolge mehr als 700 Menschen getötet und mehr als 100 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt – darunter auch einige Deutsche. Wie viele es sind und wie deren aktuelle Situation ist, ist bislang unklar. Überblick über die bisher bekannten Fälle.

Offiziellen Angaben der israelischen Regierung zufolge sind in Israel mindestens 100 Menschen von Palästinensern entführt worden. Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß es, nach Erkenntnissen des Außenministeriums seien darunter auch Menschen, die neben der deutschen auch die israelische Staatsangehörigkeit hätten. Man stimme sich gemeinsam mit der deutschen Botschaft in Tel Aviv sehr eng mit den israelischen Behörden ab. Zudem bitte man um Verständnis, dass man sich zum Schutz der betroffenen Personen weder zur Anzahl noch zu Einzelfällen öffentlich äußern könne.

Mehrere Angehörige haben verzweifelte Hilferufe geteilt: Am Sonntag war ein Video von einer verschleppten Deutschen im Netz aufgetaucht – Shani Louk, 22. Nach Angaben ihrer Familie wird die junge Frau seit Samstag vermisst. Die Familie habe bisher keine Neuigkeiten, wisse nicht, ob sie noch am Leben ist oder wo sie sich befinde. "Heute Morgen ist meine Tochter mit einer Touristengruppe im Süden Israels entführt worden", erklärt Ricarda Louk in einer Videobotschaft, die auf dem Twitter-Account "Visegrád 24" veröffentlicht wurde. "Man hat uns ein Video zugeschickt, wo ich eindeutig unsere Tochter erkennen konnte. Bewusstlos, im Auto mit den Palästinensern, wie sie in den Gaza-Streifen gefahren sind." Sie bittet verzweifelt um Hilfe, um Informationen, Neuigkeiten. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel hat die Mutter keinen Kontakt mehr zu ihrer Tochter, die sich auf einem Musikfestival in Israel in der Nähe des Gazastreifens aufhielt. Louk und ihre Tochter leben in Israel.

Das Raketenabwehrsystem Iron Dome ist in Israel im Einsatz, um aus dem Gazastreifen abgefeuerte Raketen abzufangen
Das Raketenabwehrsystem Iron Dome ist in Israel im Einsatz, um aus dem Gazastreifen abgefeuerte Raketen abzufangen
© MAHMUD HAMS / AFP
Israel setzt Kampf gegen Hamas-Angreifer fort – mehr als 1000 Tote

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Kreditkarte der Geisel soll in Gaza benutzt worden sein

Die Familie von Shani Louk hat Wurzeln in Ravensburg. Shani Louk selbst hat dem "Spiegel" zufolge zwar nie in Deutschland gelebt, war aber mehrfach zu Besuch bei ihren Großeltern in Ravensburg in Baden-Württemberg. Ihre Mutter war demnach vor dreißig Jahren nach Israel ausgewandert. Der jüdische Vater ist Israeli. Die Familie lebe etwa 80 Kilometer vom Gazastreifen entfernt. Die junge Frau hat demnach aber die deutsche Staatsbürgerschaft.

Laut "Spiegel" habe Ricarda Louk ihre Tochter angerufen, als die ersten Hamas-Raketen flogen. Die junge Frau wollte sich einen Schutzraum suchen. Danach habe die Familie nichts mehr von ihr gehört. Später soll ihre Kreditkarte in Gaza eingesetzt worden sein.

Die deutsche Staatsbürgerschaft der Tochter machte die Familie dem Bericht zufolge öffentlich, weil sie sich Hilfe von den deutschen Behörden erhofft. Denn Shani Louk ist in Israel nur ein Fall unter vielen.

Die Vermisste hatte ein Festival in der Nähe des israelischen Kibbutz Rem besucht, nur etwa zehn Kilometer von der Grenze zum Gazastreifen. Videos zeigen die ausgelassen feiernden Menschen und wie Hamas-Kämpfer am Samstagmorgen auf dem Gelände eingefallen sind. Augenzeugen berichten, wie die Terroristen am Samstagmorgen gegen 7.15 Uhr mit Raketen und Maschinengewehren in die flüchtende Menge schossen und hunderte Menschen panisch flohen. Das Video der jungen Frau kursiert in sozialen Medien. Sie liegt halbnackt und bäuchlings auf der Ladefläche eines Trucks, die Beine und der Kopf verdreht. Vier bewaffnete Palästinenser fahren mit ihr durch die Menge, rufen immer wieder laut: "Allahu akbar! Gott ist groß!" Sie hat auffällige Tattoos an den Beinen und lange dunkle Dreadlocks, an denen ihre Angehörigen sie erkannt haben.

Gemäß "Channel 12" haben Freiwillige einer örtlichen Organisation eine Liste mit den Festivalgästen erstellt. Es seien nach wie vor Dutzende Personen als vermisst gemeldet. Die genaue Opferzahl ist noch unbekannt. Laut dem Open-Source-Intelligence-Dienst OSINT Defender wurden vor Ort über 250 Tote entdeckt. Viele davon seien ausländische Staatsbürger, darunter Menschen aus Norwegen, den USA, Kanada und Deutschland.

Junge deutsche Touristin unter den Toten?

Innerhalb nur weniger Stunden hat sich die Zahl der Terroropfer in Israel von 300 auf 700 erhöht, wie ein Sprecher der Hilfsorganisation "Zaka" israelischen Medien mitteilte. Eine der Toten soll eine 22-jährige deutsche Touristin sein: Carolin Bohl, eine Studentin aus Berlin. Das bestätigt ihre Mutter gegenüber der "Welt".  Mit einem britisch-israelischen Freund sei sie demzufolge durch Israel gereist. Am Samstag wäre ihr Rückflug gegangen. Sie hatten den Kibbuz Nir Oz besucht, als Raketen einschlugen.

Im selben Kibbuz soll eine weitere deutsche Staatsangehörige mit ihren Töchtern, drei und fünf Jahre alt, und ihrer Schwiegermutter, die ebenfalls einen deutschen Pass habe, entführt worden sein. Familienvater Yoni Asher wandte sich in einem Facebookpost an die Öffentlichkeit. "Ich erkannte sofort, dass es sie war, ohne Zweifel", sagte Asher dem Sender "Channel 12 News". Seine deutsche Frau Doron Katz-Asher und die Kinder hätten ihre Großmutter im Kibbuz Nir Oz nahe des Gazastreifens besucht, als bewaffnete Angreifer auftauchten. Seitdem hat Asher keinen Kontakt mehr zu seiner Familie.

Berliner Jugendgruppe saß in Aschkelon im Bunker

In der Stadt Ashkelon gut zehn Kilometer nördlich des Gaza-Streifens geriet auch eine Jugendgruppe aus Berlin in Gefahr. Die Stadt am Mittelmeer sei von der Hamas stark unter Beschuss genommen worden, sagt Alexander Jahns, der mit den Betroffenen in Kontakt steht. Jahns ist Vorsitzender des Freundeskreis Pankow-Ashkelon, der die Reise unterstützte. Organisiert wurde die von einem Sportjugendclub. Die Gruppe hatte über Stunden in einem Hotelbunker ausharren müssen und war tags darauf nach Tel Aviv gebracht worden, teilte der Veranstalter mit. Die Reise, die eigentlich an diesem Sonntag enden sollte, fand im Rahmen eines Austauschprogramms statt. Seit 1994 unterhält der Berliner Bezirk Pankow eine Städtepartnerschaft mit Ashkelon. Die elf Mädchen und Jungen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren sind seit Anfang des Monats in Israel. Zuvor hatte es schon einen Besuch israelischer Jugendlicher gegeben, man habe ihnen Berlin gezeigt und zusammen Shabbat gefeiert.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bat alle deutschen Staatsangehörigen vor Ort "dringend", sich in die Krisenvorsorgeliste einzutragen. Wer bereits in der Erfassung Auslandsdeutscher ELEFAND registriert ist, wird vom Auswärtigen Amt dazu angehalten, seine Registrierungen aktuell zu halten.