Ende September deckten stern-Reporter schwere Verstöße gegen Arbeitsschutz- und Umweltauflagen im Tesla-Werk Berlin-Grünheide auf (hier erfahren Sie mehr). Offenbar ist der Autobauer nicht alleine – dem Raumfahrtunternehmen SpaceX geht es nach einer aktuellen Recherche der Nachrichtenagentur Reuters nicht anders. Der gemeinsame Nenner der beiden Firmen: Chef Elon Musk und seine oft nahezu unmöglichen Deadlines.
Seit 2014, so Reuters, habe es bei SpaceX 600 Unfälle gegeben. Die Liste liest sich wie die Aufnahmeprotokolle eines Lazaretts: 100 Schnitt- oder Risswunden, 29 Knochenbrüche oder Verrenkungen, 17 Quetschungen an Händen oder Fingern, neun Kopfverletzungen, vier Gehirnerschütterungen und ein Schädel-Hirn-Trauma. Dazu kommen fünf Verbrennungen, fünf Stromschläge, acht Unfälle, die zu Amputationen führten, 12 Verletzungen, die mehrere nicht näher bezeichnete Körperteile betrafen, und sieben Arbeitnehmer mit Augenverletzungen. Zerrungen und Verstauchungen traten Hundertfach auf. Ein besonders trauriger Fall ist der Tod von Lonnie LeBlanc, der sich offenbar zur Ladungssicherung auf einen Laster setzte und beim Transport heruntergeweht wurde – er schlug laut Bericht mit dem Kopf auf den Asphalt auf und starb.
Im Gespräch mit aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern wurde Firmenchef Elon Musk und seine Führung immer wieder als Grund für die vielen Unfälle genannt. Seine aggressiven Deadlines, heißt es, seien ein Nährboden für überhastetes Arbeiten und Achtlosigkeit. Reuters schreibt, dass Musk den Standpunkt vertrete, jeder sei für seine Sicherheit selbst verantwortlich.
Elon Musk soll Sicherheitskleidung wegen ihrer grellen Farbe ablehnen
Ein gutes Vorbild ist er aber offenbar auch nicht. Gleich mehrere Mitarbeiter von SpaceX bestätigten, dass der Milliardär davon abriet, aus Sicherheitsgründen gelbe Kleidung zu tragen, weil er keine grellen Farben möge. Das gleiche scheint auch für Maschinen zu gelten, deren grelle Warnfarben er laut Bericht mit blauer oder schwarzer Farbe überstreichen ließ, um sie gefälliger zu machen. Auch habe er immer wieder mit einer Art Flammenwerfer auf dem Gelände gespielt, heißt es.
"Elons Konzept, dass SpaceX auf dieser Mission ist, so schnell wie möglich zum Mars zu fliegen und die Menschheit zu retten, durchdringt jeden Teil des Unternehmens. Damit rechtfertigt es SpaceX, alles beiseite zu schieben, was der Erreichung dieses Ziels im Wege stehen könnte, einschließlich der Sicherheit der Mitarbeiter", gab Tom Moline, ein ehemaliger leitender Avionik-Ingenieur bei SpaceX, gegenüber Reuters an.
Die Schwere mancher Unfälle in den USA hat längst die US-amerikanische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz OSHA auf den Plan gerufen. Doch laut Reuters gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen Musk und der Behörde als schwierig. In den meisten Jahren, so die Agentur, sei SpaceX seiner Pflicht, die Gesamtzahl der Arbeitsunfälle zu melden, nicht nachgekommen. Eigentlich müssen Unternehmen diese Forderung seit 2016 regelmäßig befolgen. Bei Auffälligkeiten würden die Meldungen bei der Priorisierung von Inspektionen potentiell gefährlicher Arbeitsorte helfen, so Reuters.
SpaceX sorgte in Texas für große Umweltschäden
SpaceX hat indes nicht nur Ärger mit der OSHA. Auch die Bundesluftfahrtbehörde der Vereinigten Staaten Federal Aviation Administration (FAA) schaut inzwischen genauer hin. Erst im April erteilte sie dem Raumfahrtunternehmen ein vorübergehendes Verbot weiterer Starts in Texas, um entstandene Schäden durch den Start der weltgrößten Rakete namens "Starship" untersuchen zu können.
Diese war Mitte April zunächst spektakulär gestartet und wurde wenige Minuten später noch spektakulärer gesprengt. Etwas später wurde klar, dass Musks Ambitionen nicht nur die Rakete auf dem Gewissen hatten, sondern auch Teile des umliegenden Naturschutzgebietes nahe der Startrampe. Durch Weglassen eines Flammengrabens, der beim Start einer Rakete die enormen Kräfte in kontrollierte Bahnen leitet, hinterließ das Starship einen riesigen Krater.
In unmittelbarer Nähe zum SpaceX-Standort in Texas befinden sich naturbelassene Strände und das Boca Chica Wildlife Refuge, Heimat seltener Vogelarten und Schildkröten. Umweltorganisationen wie die "Friends of the Wildlife Corridor" warnen seit jeher, dass eine Raketenstartrampe in dieser Gegend für große Schäden sorgen kann.
Nach dem Start hagelten Beton, Dreck und umherfliegende Teile auf umliegende Parkplätze nieder, selbst im über zehn Kilometer entfernten Örtchen Port Isabel klagten die Anwohner über zerbrochene Fenster und einen Staubteppich, der sich nach dem Start dort setzte. Erst Anfang September wurden Teile der Untersuchungen abgeschlossen. Ein weiterer Start steht noch immer aus, da SpaceX die 63 aufgedeckten Mängel beseitigen muss und eine Umweltprüfung mit dem United States Fish and Wildlife Service läuft.
Der Bericht von Reuters deckt sich mit den Eindrücken, welche der stern bei aufwändigen Recherchen am Tesla-Standort Berlin-Grünheide sammeln konnte. Auch dort wurden Deadlines und Produktionsergebnisse offenbar vor Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeitenden gestellt – das System Musk ähnelt sich auffallend.