Editorial Auf der Jagd nach dem "Monster"

Liebe stern-Leser!

Wenn die Höhe des Kopfgeldes ein Gradmesser für die Gefährlichkeit eines Gesuchten ist, dann befindet sich Abu Musab al-Zarqawi auf Augenhöhe mit Osama bin Laden. Auf beide sind 25 Millionen Dollar ausgesetzt - tot oder lebendig. So viel gab es zuletzt für die Ergreifung Saddam Husseins. Doch anders als der Terrorideologe bin Laden greift Zarqawi persönlich zum Messer. Er schneidet seinen Geiseln mit brutalstem Gleichmut den Kopf ab - eines seiner jüngsten Opfer war der Amerikaner Eugene Armstrong. Ein Video im Internet zeigt die Enthauptung - "das mit Abstand Grauenhafteste, was wir je gesehen haben", sagen stern-Reporter Uli Rauss und Terrorexperte Oliver Schroem. Als das Video auftauchte, recherchierten die beiden bereits seit Wochen den Werdegang des Schlächters Zarqawi und seiner Terrororganisation Al Tawhid wa Al Jihad. Sie zeichnet verantwortlich für Dutzende Geiselnahmen im Irak, für zahlreiche Bombenanschläge; bei einem der jüngsten in Bagdad starben vergangene Woche 35 Schulkinder. Zarqawis Radius beschränkt sich keineswegs auf den Irak. In Afghanistan und im Iran hat er operiert, in Jordanien wollte er die Geheimdienstzentrale in die Luft jagen, auch in Deutschland suchte er sich Ziele aus. Der Mann ist derzeit der gefährlichste Terrorist der Welt - so der Leiter der Abteilung Internationaler Terrorismus beim Bundesnachrichtendienst (BND).

Dass Zarqawi eigenhändig

Geiseln umbringt, entspringt vermutlich einem zynischen Kalkül. So erwirbt er sich unter Islamisten Respekt als unumstrittener Führer, der den so genannten Heiligen Krieg höchstselbst führt. Am liebsten gegen Amerika, das in den Augen der Islamisten wie keine andere Nation für den dekadenten Westen steht. Als politisches Ziel reicht eine diffuse Vision von neuer muslimischer Größe - nicht nur in der arabischen Welt. Unter allen Umständen will Zarqawi verhindern, dass unter Anleitung der USA im Irak eine staatliche Autorität als verlängerter Arm der Gottlosen entsteht.

Mit seinen 37 Jahren gilt Zarqawi als Kopf einer neuen Führungsgeneration im internationalen Terrorismus. Nicht nur der BND schätzt ihn als hochgefährlich ein. Der britische Secret Service, die CIA, der Mossad, der jordanische Geheimdienst GID und irakische Sicherheitsbehörden jagen "das Monster", wie Zarqawi von seiner Familie nur noch genannt wird. Er ist in diesen Tagen der eigentliche Widersacher von George W. Bush. Die Behauptung des US-Präsidenten, eine Welt ohne Saddam Hussein an der Macht sei sicherer, wird von Zarqawi fast täglich weggebombt. Es kann Bush die Wiederwahl kosten.

In Jordanien gelang

es stern-Reporter Rauss, mit Zarqawi-Spezialisten des GID zu sprechen. Dort traf er sich zudem mit Terroristen, die in den Neunzigern mit Zarqawi im Gefängnis saßen, und besuchte mehrmals Zarqawis Beduinenfamilie, die erst nach langem Zögern Auskunft gab. Wie Zarqawi mit seiner Organisation Al Tawhid in Deutschland aktiv ist, wie er seine Schläferzellen steuert und aktiviert, hat Oliver Schroem für den stern recherchiert. Schroem ist Autor mehrerer Bücher und einer früheren stern-Titelgeschichte über die Versäumnisse des US-Geheimdiensts (stern Nr. 34/2003). Er beschäftigt sich seit Jahren mit Al-Tawhid und kennt einige Gefolgsleute Zarqawis persönlich. Nun sprach er erneut mit ihnen, mit deutschen Fahndern und Geheimdienstprofis und wertete die Erkenntnisse von Ermittlern aus. Das Porträt des Topterroristen beginnt auf Seite 26.

Herzlichst Ihr
Andreas Petzold

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