Liebe Frau Peirano,
ich bin 39, Mutter einer siebenjährigen Tochter und seit Jahren suche ich einen neuen Partner fürs Leben.
Ein paarmal hatte ich schon das Gefühl, dass ich "ihn" gefunden habe, so auch jetzt. Ich habe vor acht Wochen Manuel bei Tinder gesehen und es war da sofort diese Anziehung. Wir haben uns gut unterhalten und ich habe seine Nähe sofort als sehr angenehm empfunden.
Doch nach relativ kurzer Zeit begannen die Schwierigkeiten. Er musste bei einem Treffen plötzlich und ohne Vorwarnung los, das hat mich sehr verunsichert, da ich Verlustängste habe. Ich habe ihm dann gesagt, dass ich mir nicht sicher bin, ob wir eine Zukunft haben, da ich mich sehr schlecht gefühlt habe. Er hat darauf dann sehr verunsichert reagiert und sich erst mal ein paar Tage nicht gemeldet und dann wieder angerufen und so getan, als wäre alles in Ordnung. Wir haben daraufhin das nächste Wochenende zusammen verbracht und es war sehr schön, bis kurz vor dem Ende, wo ich wieder Angst bekam, dass er doch nicht genug Gefühle für mich hat. Ich wurde blockiert und kühl, obwohl ich eigentlich nur in den Arm genommen werden wollte. Wir haben darüber geredet, aber es bleibt ein ständiges Hin und Her.
Ich befürchte, dass wir uns über kurz oder lang trennen, so war es auch in den vorherigen Bekanntschaften bei Tinder. Und davor habe ich panische Angst, denn ich will nicht ohne Partner sein.
Bisher hatte ich zwei längere Beziehungen (sieben und vier Jahre) und bin eigentlich immer von einer Beziehung in die nächste gegangen. Ich habe manchmal schon während einer Beziehung einen anderen Mann kennengelernt und habe mich dann getrennt. Oder ich habe mich sofort nach der Trennung wieder bei Tinder angemeldet und schnell wieder jemanden kennengelernt.
Jetzt, mit Manuel, hatte ich das Gefühl, angekommen zu sein und war sehr erleichtert. Aber ich bin mir im Moment überhaupt nicht sicher, ob es hält, und das macht mich sehr unruhig und panisch. Ich kann an nichts anderes mehr denken, vernachlässige meine Tochter und schlafe schlecht.
Haben Sie einige Empfehlungen für mich, was ich machen könnte, damit meine Beziehungen besser halten?
Viele Grüße
Janine G.
Liebe Janine G.,
als ich Ihre Zuschrift las, habe ich mich gefragt: Wer ist diese Frau überhaupt? Wie sieht sie sich, was für eine Beziehung hat sie mit sich selbst, was ist ihr im Leben wichtig?
Geht es Ihnen manchmal auch so, dass Sie das gar nicht richtig greifen können? Falls Sie mit meinen Fragen nichts anfangen können, breche ich das für Sie in etwas kleinere und konkretere Fragen runter:
- Was mögen Sie an sich selbst gerne? Wie beschäftigen Sie sich, wenn Sie alleine sind?
Macht es Ihnen Spaß, alleine zu sein und haben Sie Aktivitäten oder Leidenschaften, die Sie alleine gerne ausüben? Wie fühlen Sie sich, wenn Sie ein Wochenende ganz für sich haben? Kommen Sie zu Ruhe und genießen Sie es, oder berieseln Sie sich mit Fernsehen, Social Media, Handy etc.? - Was ist in Ihrem Leben bedeutungsvoll, und zwar in erster Linie für Sie selbst? Mögen Sie Ihren Beruf oder ist es es eher nur ein Broterwerb? Treiben Sie Sport oder bewegen Sie sich gerne? Fühlen Sie sich in Ihrer Wohnung oder Ihrem Haus wohl?
- Welche Menschen, mit denen Sie keine Paarbeziehung haben, sind in Ihrem Leben wichtig? Was für eine Beziehung haben Sie mit Ihren Eltern und Geschwistern? Wie geht es Ihnen, wenn Sie mit Ihrer Tochter Zeit zu zweit verbringen und wie beschreiben Sie die Beziehung zu ihr?
Haben Sie gute Freundinnen und Freunde? Was charakterisiert die Freundschaften? Und worüber unterhalten Sie sich, wenn Sie das Thema "Partnersuche und Liebesbeziehungen" einmal konsequent ausklammern? - Was haben Sie für Wünsche und Ziele für Ihr eigenes Leben? Wovon träumen Sie für sich, was unabhängig von einem Partner ist? In welche Richtung möchten Sie sich selbst entwickeln? Hier sind ein paar Beispiele: Ich möchte gelassener und entspannter werden und praktiziere deswegen Yoga, weil mir das dabei hilft.
Oder: Ich habe immer vom Reiten/Klettern/Surfen geträumt und mache deshalb Urlaub auf dem Pferdehof/gehe in die Kletterhalle/habe mehrere Surfkurse gemacht. - Wie gut ist es um Ihre Selbstfürsorge bestellt, d.h. was tun Sie alles für sich, damit es Ihnen gut geht und Sie Energie haben, damit Sie sich um Ihre Gefühle kümmern (z.B. Tagebuch schreiben)…
Es ist keine neue Weisheit, dass wir die wichtigste Beziehung in unserem Leben mit uns selbst führen. Doch dieser Satz ist die Essenz für alle Beziehungen, die wir führen. Wer sich selbst erkennt und liebt, kann auch den passenden Partner finden und sich in der Beziehung besser zurecht finden. Anders herum gesagt ist es es eine Wanderung im Dickicht der Gefühle, wenn man sich selbst nicht richtig kennt (und auch nicht tragfähig selbst liebt) und dann versucht, einen Partner zu finden, der einen liebt und einem diese Aufgabe abnimmt. Wie im Dickicht verirrt man sich da leicht oder wird von einem wilden Tier gebissen…

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe
Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben.
Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.
Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.
Ich habe viele Frauen in meinen Therapien und Liebescoachings begleitet, die nicht mit sich selbst im Reinen waren, schwer allein sein konnten und ständig auf der Suche nach Bestätigung von außen waren. Wenn ich jetzt mal kein Blatt vor den Mund nehme, sondern meine Beobachtungen und Erfahrungen unverblümt ausspreche, dann kann ich sagen, dass diese Beziehungen nie geklappt haben.
Eine Ursache für das Leiden in den Beziehungen oder für deren Scheitern ist, dass man sich oft den nächstbesten (und nicht den besten) Partner sucht, wenn man nicht alleine sein kann und deshalb nicht abwarten kann, bis der wirklich beste Partner kommt.
Mal Hand aufs Herz: Was genau gefällt Ihnen an Manuel als Mensch? Was würden Sie über ihn denken und sagen, wenn er nicht als Liebespartner in Frage kommen würde, sondern "nur" als Mensch? Stellen Sie sich mal vor, er wäre der neue Partner einer Freundin und Sie müssten ihr ehrlich sagen, was Sie über ihn denken.
Und was genau macht die besondere Verbindung zwischen Ihnen beiden aus? Haben Sie gemeinsame Interessen? Oder ähnliche Vorstellungen vom Leben (wie z.B. beide gelassener zu werden und gemeinsam Yoga zu praktizieren?). Würden Ihre Freundinnen sofort verstehen, warum Sie sich DIESEN Mann unter ca. vier Milliarden Männern auf diesem Planeten ausgesucht haben?
Oder ist der ausschlaggebende Faktor, dass er da ist und Interesse an Ihnen zeigt und Ihnen ab und zu Nähe gibt?
Ich befürchte, das reicht nicht, wenn es so wäre. Es wird weder Manuel reichen, weil jeder Mensch gerne um seiner selbst willen geliebt werden möchte. Und es wird Ihnen nicht reichen, weil das "Ja" zu einem anderen Menschen manchmal auch unbequem und schwierig ist und man immer wieder wissen muss, warum man das tut. Das kennen Sie sicher auch als Mutter: Es ist manchmal unfassbar schwierig, seine Rolle als Mutter auszufüllen (z.B. nachts aufzustehen, wenn man todmüde ist oder zum Elternabend zu gehen), aber für sein unverwechselbares, wunderbares Kind gelingt es einem. Aber würde man das auch für irgendein Kind machen? Wohl kaum, jedenfalls nicht langfristig.
Schreiben Sie doch mal auf, warum es wirklich Manuel sein muss und schauen Sie ehrlich hin, ob Ihnen das genügt. Die Entscheidung liegt ganz und gar bei Ihnen.
Ich würde Ihnen empfehlen, erst einmal den Fokus auf die Beziehung zu sich selbst zu legen, und das gelingt am Besten ohne Partner. Im Klartext: Melden Sie sich von Tinder ab, für mindestens ein bis zwei Jahre, und konfrontieren Sie sich damit, für sich zu sorgen und sich das Leben schön zu machen.
Vielleicht mit einem Coaching oder einer Therapie, oder dem wundervollen Buch:
"Liebe neu denken: Dem Geheimnis glücklicher Beziehungen auf der Spur" von Diane Hielscher
Empfehlenswert ist auch ihr Podcast: "Kopf über Herz" (Audible)
Es ist hilfreich, Wegbegleiter*innen zu haben. Ein Achtsamkeitskurs (MBSR steht für Mindfulness Based Stress Reduction) wäre eine solche Möglichkeit, oder eine Selbsthilfegruppe. Es gibt viele Frauen, denen es geht wie Ihnen!
Denn aufgrund Ihrer Lebensgeschichte haben Sie bislang noch nicht erleben können, wie es ist, alleine (d.h. ohne Partner) zu sein. Am Anfang kann das schwierig sein. Ein junger Mann hat sich entschieden, alleine auf eine Pilgertour zu gehen und ist die ersten Tage vor Nervosität nur gerannt, bis er sich beruhigte und dann mehr zu sich gefunden hat. Es dauert, bis man sich ein guter Freund/eine gute Freundin wird!
Ich habe mit 22 Jahren einen unfreiwilligen Crashkurs im Alleinsein gemacht: Als Praktikantin in einer englischen Kleinstadt, schlecht bezahlt und deshalb dauernd pleite - und um mich herum war es Winter, meine Arbeit war um 13 Uhr erledigt und im Wohnheim war niemand auf meiner Wellenlänge. Ich fand es damals schrecklich, habe viel geweint und mich selbst bemitleidet. Doch dann habe ich mich notgedrungen mit der Situation arrangiert (und z.B. einen meterhohen Stapel englischer Klassiker gelesen und mir indisch kochen beigebracht).
Heute, viele Jahre später, denke ich, dass diese Erfahrung ein großes Geschenk war, denn das war der erste Schritt, um mich mit mir selbst anzufreunden. Mittlerweile liebe ich es, alleine zu sein. Und das geht vielen so: Man muss das Alleinsein (lieben) lernen!
Ich hoffe, dass Sie auch Freude an dieser Aussicht finden können!
Herzliche Grüße
Julia Peirano
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