J. Peirano: Der geheime Code der Liebe Ich habe viel mehr Lust auf Sex als meine Frau – aber sie erträgt es nicht, wenn ich mich selbst befriedige

Auch eine sonst harmonische Beziehung kann im Bett Probleme haben (Symbolbild)
Auch eine sonst harmonische Beziehung kann im Bett Probleme haben (Symbolbild)
© nd3000 / Getty Images
Obwohl Gerrit und seine Frau durchaus öfter gemeinsam Sex haben, ist sein Bedürfnis danach noch größer. Ist es in Ordnung, dass er sich zusätzlich selbst befriedigt, wenn sie das nicht möchte?

Hallo Julia,

danke, dass ich dir schreiben darf. Ich bin männlich und um die 50, voll im Saft, zufrieden. Ich habe alles was ich brauche. Eine Familie mit ausgeflogenen Kindern, 20+. Verheiratet mit einer drei Jahre jüngeren Frau. Wir führen eine Beziehung, die geprägt ist von zwei Sturköpfen, die oft streiten und sich immer wieder finden und sich seit 30 Jahren lieben. Wir passen gut zusammen und könnten es weiterhin schaffen.

Meine Frau hatte eine Außenbeziehung (ein paar Monate) und ich auch. Danach haben wir wieder zusammengefunden und weitergemacht. Beide sehen wir optisch gut aus und haben unsere Körperproportionen im Griff. 

Doch es stimmt es bei uns sexuell nicht so ganz. Meine Libido ist viel grösser als ihre. Das war schon immer so, aber früher wollte sie mehr Sex als heute. Wenn ich da ganz offen noch etwas genauer werden darf: Wir haben so ein- bis zweimal die Woche Sex zusammen (entweder mit Eindringen oder gegenseitig mit der Hand - oder beides) und sie macht mir morgens öfter (so alle zwei bis drei Tage) netterweise einen einseitigen Handjob. Das heißt, sie will dann nicht befriedigt werden - sie hat selber dann keinen Bock. Das ist für mich kein Problem. Du fragst dich jetzt, wo ist das Problem, mein Gott, oder?

Es gibt eins. Ich habe morgens täglich Bock auf einen Orgasmus und abends auch oft. Abends möchte ich kurz Druck abbauen und kann danach gut einschlafen. Morgens habe ich einfach stets eine Erektion und möchte einen Orgasmus haben, den ich mir gerne selber verschaffe. Ich masturbiere gerne und gehe locker damit um.

Meine liebe Frau sieht das ganz anders. Sie behauptet, nie zu masturbieren (ich glaube das nicht ganz) und kann und will auch nicht drüber sprechen. Das ist ihr gutes Recht. Leider hat sie nur ganz wenig Verständnis dafür, dass ich es mir an den Tagen masturbiere, an denen sie abends schon schläft oder keinen Bock hat. Ich bin da selbständig und lege dann ganz einfach Hand bei mir an. Sie ist jedes Mal gekränkt, wenn sie es dann mitbekommt (kann sein dass sie erwacht und vor vollendeten Tatsachen steht). 

Frage an dich: Ist es ok, dass sie mir die Selbstbefriedigung am liebsten "verbieten" würde? Ist das nicht meine Sache - da es mein Körper ist? Sie sagt, sie fühlt sich von meiner starken Libido unter Druck gesetzt, mit mir Sex haben zu müssen. Aber ich kann ihr nicht genug versichern, dass ich an den Tagen ganz gerne selber Hand anlege. Das versteht sie nicht und wir haben uns bis jetzt nicht gefunden. Und heimlich im Bad möchte ich es auch nicht machen.

Hast du einen Lösungsvorschlag für uns?

Liebe Grüsse und schon mal danke für deine Zeit,

Gerrit B.

Lieber Gerrit B.,

bevor ich auf Ihr Thema eingehe, möchte ich mir gerne Luft machen für etwas, mit dem ich mich nicht wohl gefühlt habe und was für mich etwas grenzüberschreitend war. Ich habe nicht den Eindruck, dass Sie es absichtlich gemacht haben, aber es hat mich irritiert. 

Ich schreibe diese Kolumne seit vielen Jahren und sieze meine LeserInnen und werde auch gesiezt. Ich bin hier in meiner professionellen Rolle, und da handhabe ich das so. Sie haben mich einfach geduzt, ohne dass ich damit einverstanden bin, und sind mir damit etwas zu nahe getreten.

Ich bin als Therapeutin geschult, Dinge offen anzusprechen, die jemand mit mir macht, weil es wahrscheinlich ist, dass die gleichen Dinge nicht nur in der Therapie/Beratung passieren, sondern auch im Alltag dieses Menschen.

Deshalb spreche ich es einfach offen an. Und mir fällt auf, dass es zwischen Ihnen und Ihrer Frau auch Erfahrungen gibt, die mal der eine, mal die andere als grenzüberschreitend erleben.

Porträt Dr. Julia Peirano
© Kirsten Nijhof

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben. 

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Ihre Frau findet Ihre starke Libido irgendwie "zu viel". Sie scheint sich dafür zuständig zu fühlen, diese Libido zu bedienen oder zu "bändigen". Am Anfang habe ich mich gefragt, ob Ihre Frau wirklich damit einverstanden ist, Sie zu befriedigen, wenn sie selbst keine Lust auf Sex hat. Das ist ja ein großer Unterschied: Hat Ihre Frau wirklich Lust darauf und wie geht es ihr dabei? Oder meint sie, dass es ihre Aufgabe als Frau ist, darauf Lust zu haben oder - noch weiter zugespitzt - darauf Lust haben zu müssen? Und wenn sie schon keine Lust hat, die Zähne zusammen zu beißen und es trotzdem hinter sich zu bringen wie so viele andere Dinge auch, die man halt machen muss. Diese Haltung belastet natürlich das Sexualleben, doch dazu komme ich noch.

Ich finde es immer ganz entlastend und erfrischend, wenn Menschen ganz ehrlich sind und sich und anderen Gefühle eingestehen, die etwas eckiger und kantiger sind als man es manchmal möchte. Mir haben viele junge Mütter erzählt, dass Sie sich nicht wirklich über ihr Baby freuen können, weil das Leben so wahnsinnig anstrengend geworden ist und sie sich im wahrsten Sinne des Wortes ausgesaugt fühlen. Es gab diesen Frauen Kraft, das offen sagen zu dürfen und zu hören: Das ist ok.

Bevor ich gelesen habe, dass Ihre Frau dagegen ist, dass Sie masturbieren, war ich im Kopf einen Schritt weiter und habe mich gefragt: "Warum masturbiert Gerrit nicht einfach, wenn seine Frau keine Lust hat?" Doch dann sagten Sie, dass Ihre Frau das nicht möchte und verletzt ist, wenn Sie es tun.

Hier ist eine weitere Grenzüberschreitung, oder sagen wir: ein Kampf über Grenzen. Sie sagen (aus meiner Sicht ist das völlig verständlich): Es ist MEIN Körper, und ich möchte ihn so berühren, wie es mir passt. Ihre Frau fühlt sich allerdings davon verletzt, und ich frage mich, warum das so ist. Es wäre sehr wichtig und interessant, das herauszufinden. Und ich frage mich: Warum machen Sie es dann nicht einfach etwas diskreter, sodass Ihre Frau nicht davon aufwacht? Es schiene eine einfach Lösung zu sein, sodass Sie machen können, was Sie wollen und Ihre Frau davon nicht gestört wird und Sie es ihr nicht unbedingt unter die Nase reiben.

Kann es sein, dass Ihre Frau sich kritisiert fühlt, wenn Sie masturbieren? Dass sie innere Stimmen hört: "Du reichst mir sexuell nicht?" Oder: "Du schaffst es nicht, mich zu befriedigen?" Oder: "Eine Frau sollte ihren Mann befriedigen, sonst geht er woanders hin"? Gerade weil Ihre Frau so viel tut, damit Sie befriedigt sind (und gegen Ihre eigene Lust bzw. Unlust handelt), kann Sie sich denken: Es kann ja wohl nicht wahr sein, da mache ich schon alles für ihn, und es reicht trotzdem nicht. Ich habe mich so gefühlt, als mein Sohn in der Pubertät war und Unmengen gegessen hat. Ich habe eingekauft und gekocht ohne Ende, und drei Minuten später war alles aufgegessen und er hatte wieder Hunger.

Ich denke, es wäre wichtig, dass Sie und Ihre Frau etwas Tiefe gewinnen und ins Gespräch kommen über folgende Themen:

  • Worum geht es bei dem vielen Streit zwischen Ihnen und Ihrer Frau? Und wie wird gestritten? Gibt es Verletzungen? Oft sind Streits und die dadurch erlittenen Verletzungen ein Lustkiller… Es würde sich lohnen, da mal nachzuschauen und Einigungen zu finden, vielleicht auch in einer Paarberatung.
  • Warum hat Ihre Frau eine Affäre gehabt? Was hat sie dort gesucht? Wenn es in der Affäre um Sex ging: Welche Art von Sex hat sie dort gehabt?
    Damit meine ich nicht, welche und wie viele Stellungen sie ausprobiert hat, sondern wie sie sich dabei gefühlt hat. Meistens wird eine Affäre aus Sehnsucht begonnen. Zum Beispiel danach verstanden zu werden. Oder wertgeschätzt zu werden. Oder mal etwas sanfter (oder vielleicht auch etwas dominanter) behandelt zu werden als in der Beziehung mit dem langjährigen Partner.

Schauen Sie sich diesen Punkt doch einmal genau an. Denn er ist wichtig für das zweite Thema:

  • Welche sexuellen Vorlieben und Phantasien haben Sie beide? Was mögen Sie gerne, was nicht? Was machen Sie (oder was macht Ihre Frau), weil sie glaubt, dass es dazu gehört? Oft fühlen Frauen sich von den (vermeintlichen) Erwartungen ihrer Partner sehr unter Druck gesetzt. Sie fragen sich nicht: "Was will ich?", "Was macht mir Lust?" Sondern: "Was könnte er wollen?", "Mache ich ihm Lust?" und "Bin ich gut genug?".

So ist für viele Frauen Sex ein weiterer Punkt auf der To-Do-Liste (nach "Mathehausaufgaben kontrollieren", "Wäsche aufhängen", "fünf Kilo abnehmen"). Und das ist natürlich total unsexy, insbesondere für die Frauen. Ich finde immer wichtig, dass die Frauen sich erlauben, ihre eigenen Wünsche auszusprechen und zu verfolgen. Und wenn die Frau das tut, hat sie meistens selbst größere Lust, und das erfreut ihren Partner wiederum. Eine Win-Win-Situation.

Fragen Sie sich (und Ihre Frau) doch mal, wie SIE auf Ihre Kosten kommt. 

Ich hoffe, dass Sie mit Ihrer Frau spannende Gespräche führen können.

Viele Grüße

Julia Peirano

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