Liebesglück im Internet Im Netz der Gefühle

Vergessen Sie Disco und Restaurant - immer mehr Deutsche finden heute ihr Partnerglück im Internet. Viele verlieben sich, einige heiraten, manche betrügen ihre Frau

Plötzlich ist er da: Nur ein paar Meter von ihr entfernt schaut Dirk aus dem Zug heraus, der gerade in Bremen eingefahren ist. Cora steht rechts, Dirk schaut nach links. Doch gleich werden sie sich in die Arme fallen - und wissen: Das ist es. Dabei hatten sie noch vor ein paar Stunden ohne einander Silvester gefeiert und dann spät in der Nacht am Telefon miteinander geheult: "Ich will dich unbedingt sehen", hat Cora gesagt, und Dirk hat nur ein "Ich dich doch auch" herausgebracht. Am besten morgen - Neujahr!

In Münster in den Zug setzen und sich plötzlich nahe sein. Was für eine Aufregung! Aber wie oft trifft man schon einen Menschen zum ersten Mal, in den man lange schon verliebt ist. Dem man vertraut. Der so viel von einem weiß - außer, wie man sich bewegt und wie man aussieht, wenn man lacht. Den man zu verlieren fürchtet, wenn man ihm zum ersten Mal in die Augen sieht.

Am Anfang war das Wort

Am Anfang war das Wort. Das hätte das Motto der Hochzeit sein können, die Cora und Dirk Überwasser zwei Jahre später gefeiert haben. Denn mehr als Worte hatten die beiden nicht, als sie sich begegnet sind, als sie füreinander nicht mehr waren als Schrift auf einem Bildschirm. Als Dirk Cora angesprochen hat in einem Chat, in einem Raum im Netz, in dem Menschen miteinander reden - und flirten. Als sie nicht wussten, dass sie mehr gemeinsam hatten, als im selben Raum zu sein.

"Das Eis war so schnell gebrochen zwischen uns", erinnert sich Cora an ihr Treffen mit Dirk, und Tausende Deutsche kennen es sehr gut, wenn das Eis bricht im Internet. Jene, die online ihre eigene Cora, ihren eigenen Dirk gefunden haben. Und das sind viele: Das Netz liegt in Deutschland hinter Partys und dem Arbeitsplatz auf Platz drei der Orte, an denen man heutzutage anbandelt. Nach Umfragen kommt es für mehr als 40 Prozent der 14- bis 50-Jährigen infrage, im Netz einen Partner zu suchen. Über 60 Prozent aller Singles im Netz sollen sich bereits per E-Mail oder Chat zu einem Date verabredet haben, 70 Prozent halten das Netz für einen geeigneten Ort zum Kennenlernen - und für alle, die lieber auf Bilanzen hören: In den USA ist der Markt für professionelle Partnersuch-Dienste im Netz im vorigen Jahr um 387 Prozent gewachsen, für nichts geben Amerikaner online mehr aus als für Kontaktbörsen. Mehr als für Börseninfos.

Virtuelle und reale Welt überschneiden sich

Was bedeutet das? Nicht nur, dass da viel Geld zu holen ist, sondern auch, dass normal geworden ist, was noch vor Jahren belächelt wurde oder peinlich war. Kein Wunder: Die neuen Medien sind tief in unseren Alltag eingedrungen und haben dabei unsere Partnerschaften verändert.

Wer heute neben Internet und Handy eine Freundin oder einen Ehemann hat, führt meist eine multimediale Beziehung. "Die virtuelle und die reale Welt überschneiden sich immer mehr", sagt Nicola Döring, Autorin des Buches "Sozialpsychologie des Internet" und zurzeit Professorin der Universität der Bundeswehr in Hamburg: "Wir reden beim Frühstück, telefonieren am Vormittag, chatten in der Mittagspause, schicken uns Fotos per E-Mail, abends kommt eine SMS, und dann werfen wir vielleicht noch einen Brief ein." Das gibt Raum für Streit ("Du hättest dich melden können, du hast doch ein Handy!") - aber auch die Möglichkeit, sich des anderen immer wieder zu versichern. Mit Signalen, die nur sagen sollen: "Ich denke gerade an dich!"

Die Signale werden immer kürzer: Ein 'HDGDL' per SMS zum Beispiel heißt "Hab dich ganz doll lieb". Das ist der Liebesbrief von heute: weniger blumig, aber genauso ehrlich und mit der gleichen Wirkung: 'SIB' - ich habe "Schmetterlinge im Bauch".

Ehrlichkeit ist am Wichtigsten

Wer so selbstverständlich mit Medien umgeht, der findet es nicht ungewöhnlich, wenn jemand im Netz seinen Partner findet. Andere fragen sich, wie das klappen soll: sich kennen lernen, ohne sich zu sehen. Einander vertrauen, ohne zu wissen, ob der andere über Probleme lacht, die man ihm erzählt. "Man muss ehrlich sein, das ist das Allerwichtigste", sagt Cora, "sonst kann es sowieso nicht klappen."

Ehrlich zu sein, heißt nicht, dem anderen - dem Unbekannten - alles zu erzählen. Aber was erzählt wird, sollte stimmen. Sonst vergibt man sich den größten Vorteil des Chats: Sich anzunähern, ohne dass Aussehen und Alter zunächst eine Rolle spielen. "In Chats lernt man sich von innen nach außen kennen", sagt Nicola Döring - beide tasten sich an den anderen heran, stürmen vor, weichen zurück, haben Angst und Mut und werden eifersüchtig, wenn der oder die Auserwählte mit anderen chattet. Dass sie sich dabei nicht in die Augen sehen können, ist für viele kein Problem: "Ich habe Dirk durch die Anonymität sogar näher an mich herangelassen, als wenn wir uns offline begegnet wären", sagt Cora.

Im Chat ist es leichter sich zu öffnen

Jemanden finden, der passt - das kommt in Chats sehr häufig vor, auch wenn natürlich nicht immer eine Partnerschaft draus wird. Wer öfter denselben Chat besucht, wird Teil eines Freundeskreises. Jeder lernt die Eigenarten der anderen kennen, und oft wissen Freunde aus dem Chatroom mehr übereinander als Verwandte außerhalb des Netzes. Das kann schlecht sein, wie die Psychotherapeutin Claudia Clasen-Holzberg zu bedenken gibt - "wenn man online eine anonyme Pseudo-Nähe aufbaut, die Beziehungen außerhalb des Internets uninteressanter erscheinen lässt. Wenn man denkt, online sei alles viel intensiver". Das kann aber auch gut sein. Döring: "Viele trauen sich, im Chat Probleme anzusprechen, und erleben, von den anderen verstanden zu werden. Und dann wagen sie es vielleicht auch, sich zu öffnen, wenn der PC aus ist."

Menschen finden, die man auf der Straße nie getroffen hätte

Für Cora und Dirk hätte es ohne Netz nie ein Happy End gegeben: "Wenn wir uns zufällig auf der Straße getroffen hätten, wären wir aneinander vorbeigelaufen", sagt Dirk. Doch als sie sich dann doch gegenüberstanden, nach vielen Chats und Telefonaten, war bereits Nähe da: Vertrauen, Respekt, Liebe für die Gedanken des anderen. "Wertschätzung macht attraktiv", sagt Nicola Döring - wer sich durch das Netz so gut kennt, der fährt auch für drei Wochen nach Bulgarien, um seine Freundin zum ersten Mal "echt" zu sehen.

Nach Bulgarien? Ja, das hat Hans gemacht, als er 19 Jahre alt war. Hans, der seine Veneta* im Internet kennen gelernt hat - durch einen Messenger. Das ist ein Programm, das eigentlich sehr gut geeignet ist, um mit Freunden Kontakt zu halten: Jeder sieht damit, wenn der andere online ist, und kann sofort in einem Fenster einen Privat-Chat öffnen. Man kann mit dem Programm aber auch Fremde ansprechen, die der Messenger zufällig auswählt - klick, hier bin ich.

Abkürzungen

BBBBis bald, Baby
BLBRBussi links, Bussi rechts
FIBFlugzeuge im Bauch
FUDHUKFall um den Hals und knuddel
GGGGanz großes Grinsen
GNGN"Geht nicht" gibt's nicht
GN8Gute Nacht (auch: N8!)
GUKGruß und Kuss
HDGDL Hab dich ganz doll lieb
HDZFGHab dich zum Fressen gern
ILDIch liebe dich
LU Liebevolle Umarmung
SIBSchmetterlinge im Bauch
SDEDGSchön, dass es dich gibt
TDTrau dich!

"Wie gemeinsam ein Tagebuch zu schreiben"

Klick, hier ist Veneta, wer bist du? Eine gute Frage, die aber ein halbes Jahr später keine Frage mehr ist. Veneta ist 16 Jahre alt und lebt in Bulgarien. Keine Entfernung für das Internet: Täglich schreiben sie sich Mails, und irgendwann wundert sich Hans über sich: "Ich habe plötzlich lange und gerne über meine Freundin nachgedacht, obwohl sie ja nicht meine Freundin war. Jemandem jeden Tag E-Mails zu schicken ist wie gemeinsam ein Tagebuch zu schreiben." Als sie ihm dann zu Weihnachten ein Buch schenkt, weiß er, dass da wohl mehr ist.

Dann haben sie telefoniert. Und das war - wie bei vielen Online-Lieben - ein Einschnitt. Denn wer durch das Netz zueinander findet, lernt sich mindestens dreimal kennen: per Schrift, am Telefon und beim ersten Treffen. "Die imaginäre Stimme, die ich mir beim Lesen ihrer Mails immer vorgestellt habe, wurde nun durch die echte ersetzt", sagt Hans - und das war schwer. Doch dann wagte Veneta, ihm einzugestehen, dass sie ihn liebt, ihre erste große Liebe, "die so unerwartet zu mir kam". Er gestand ihr seine Gefühle. Dann ist er hingeflogen. Er wusste, dass er etwas riskieren musste. "Mehr als drei Wochen und die Illusion einer wunderbaren Frau hatte ich ja nicht zu verlieren", sagt er.

Hans wusste von einem Foto: Ja, sie ist sehr hübsch. Aber wie würde es sein, sie zu sehen? "Von dem Moment, wenn man sich das erste Mal sieht, sollte man nicht zu viel erwarten", sagt er, "es ist nicht, wie wenn sich Verliebte in die Arme fallen. Ich musste sie erneut kennen lernen, mit dem Risiko, dass sie mir nicht gefällt oder ich ihr nicht gefalle." Was für ein Zusammentreffen am Flughafen! "Meine Mutter hat ihn erkannt", sagt Veneta, "sie hat ihn von Anfang an gemocht. Wie einen Sohn."

Gemeinsame Zukunft geplant

Das ist jetzt fast vier Jahre her, in denen sich die beiden drei- bis viermal im Jahr für zwei Wochen gesehen haben. Das war oft schwer, sagt Hans: "Wenn ich manchmal nur eine kurze Mail von ihr bekommen habe, musste ich mir immer klar machen, dass sie mich trotzdem liebt. Dass ihr heute nur nicht so viel eingefallen ist." Doch ihre Liebe hat über das Internet gehalten. Bei nächster Gelegenheit wollen sie heiraten, Veneta wird bald in Deutschland studieren. Und zusammenleben wollen sie auch. Das wird dann noch einmal ein ganz neues Kapitel werden.

Viele suchen nach Bestätigung

Eine schöne Geschichte. Und besonders interessant an ihr ist, was Hans noch erzählt: "Irgendwann wurde mir meine Freundin so wichtig, dass mir es egal war, wie sie aussieht." Das sagen viele, die sich im Netz kennen lernen. Aber das stimmt nicht. Nicht so. Oder nur, weil er so gern wollte, dass sie ihm gefällt. "Denn natürlich kommt beim ersten Foto oder Treffen der reale Körper ins Spiel", sagt die Psychologin Nicola Döring. Schließlich ist es - Ausnahmen bestätigen die Regel - selten so, dass uns am anderen nur seine inneren Werte gefallen. Wie er oder sie aussieht, ist wichtig. So wichtig, dass sich Leute im Internet von anderen einschätzen lassen - bin ich heiß oder nicht - bin ich hotornot.de?

Auch das ist das Netz: Körperfixiert und für jeden Wettbewerb offen. Auf www.hotornot.de kann jeder ein Foto von sich ausstellen und von anderen Surfern auf einer Skala von 0 bis 10 bewerten lassen. 'Bombay' ist zum Beispiel auf der Skala im Schnitt mit 2,6 kühl bewertet, an 'aline1st' kann man sich bei einem Rating von 7,9 schon verbrennen. Rund 1,5 Millionen Bilder warten auf der Website zur Bewertung, täglich kommen mehr als 2000 dazu, die Seiten werden über 60 Millionen Mal im Monat aufgerufen - die Site ist ein Erfolg: "Männer wollen so Frauen kennen lernen", sagt Geschäftsführer Frank Böhmer, 32, "Frauen suchen Bestätigung und den Wettbewerb mit anderen." Die Beliebtesten haben sogar Fanclubs.

Ansprechen leicht gemacht

Von Oberflächlichkeit zu sprechen, würde zu kurz greifen. Schließlich findet sich hinter dem Schönheitswettbewerb eine Gemeinschaft von redseligen Menschen, 80 Prozent zwischen 16 und 24 Jahre alt. 25.000 Mails schicken die sich pro Tag, jeder ist für jeden erreichbar, ob der ihn für heiß hält oder nicht. Und da spielt das Netz seinen Vorteil aus: "In einem Club traut man sich oft nicht, eine Frau anzusprechen, die einen interessiert", sagt Frank Böhmer, "im Netz habe ich kein Risiko - und die antwortet sogar! Das ist eine tolle Erfahrung."

Im Netz gibt's auch professionelle Vermittler

Für andere ist das reine Zeitverschwendung. Die wollen nicht auf den Zufall warten, dass ihnen jemand über den digitalen Weg läuft. Und da kommen die professionellen Vermittler ins Spiel, die versprechen, Menschen über das Netz zusammenzubringen. Diese Branche wird wachsen - um das vorauszusagen, muss man bei mehr als 14 Millionen Singles und jährlich knapp 200.000 Scheidungen in Deutschland kein Prophet sein. Amerikaner geben für diese Dienste im Vierteljahr mehr als 100 Millionen Dollar aus - vor zwei Jahren waren es 10 Millionen. In Westeuropa soll die Kuppelindustrie in den nächsten fünf Jahren auf 117 Millionen Euro wachsen, sagen Marktforscher.

Kein Wunder, dass gerade die paar großen Anbieter gern mit ihren Mitgliedszahlen protzen - schließlich, so die Annahme, scheint die Chance auf einen Treffer am größten, wo sich die meisten Suchenden tummeln. Rund 1,4 Millionen sollen sich bei Friendscout24 angemeldet haben, sagt die Firma, jeden Tag kämen 3500 dazu. Rund 450.000 gibt Parship an, von 200.000 redet der deutsche Ableger der US-Agentur Match.com, einer der jüngsten Akteure im Markt.

Gerade erst aus dem Winterschlaf erwacht

Das erste Problem: Niemand kann diese Zahlen überprüfen. Das zweite: Bei vielen Diensten kann man sich gratis registrieren - und wird dann schon zu den Mitgliedern gezählt. Wer aber Kontakt aufnehmen will, muss zahlen. Wie viele Kunden Geld ausgeben, darüber schweigen die Firmen aber. Nur dem Konkurrenten nicht zu viel verraten, schließlich "ist Deutschland gerade erst aus dem Winterschlaf erwacht", sagt Gesine Reimerdes, die Chefin von Match.com. Der Markt entsteht erst. "Unser einziges Problem ist, nicht bekannt genug zu sein", sagt Parship-Geschäftsführer Arndt Roller. Deswegen versuchen die Agenturen zurzeit, mit erfolgreichen Websites zusammenzuarbeiten - Match.com zum Beispiel mit RTL.de und Microsofts MSN, Parship mit Brigitte.de und dem E-Mail-Dienst GMX. Das hat Vorteile für beide - die Sites bekommen dringend benötigtes Geld, die Firmen neue Kunden. Und jeder Vorteil zählt: Denn bei allen Unterschieden basieren die Angebote der Agenturen auf dem gleichen Konzept. Sie füllen ihre Datenbank mit den Vorlieben und Abneigungen einzelner Menschen und lassen dann ihre Computer ermitteln, wer zu wem passen könnte.

Jeder sucht, jeder ist das Ziel, eine Maschine produziert das Glück. Unterschiede gibt es nur in der Art und Weise, wie die Profile der potenziellen Partner ermittelt werden: indem der Kunde einzelne Punkte ankreuzt oder einen langen Persönlichkeitstest über sich ergehen lässt wie bei Parship. Und es scheint zu klappen. Alle Firmen erzählen gern von ihren Erfolgen: "Fast die Hälfte der Mitglieder, die sich bei uns nach sechs Monaten abmelden, hat jemanden gefunden", freut sich Arndt Roller von Parship.

Computer sind nicht unfehlbar

Doch nicht immer hat die Maschine Recht. Michael und Sandra Kupermann zum Beispiel sind seit rund drei Jahren verheiratet und haben zwei Kinder. Beide waren zwar bei einer Agentur angemeldet - deren Computer aber schickte im März 1999 Michaels Profil der Freundin seiner Zukünftigen, zu der er überhaupt nicht passte. Zum Glück hat Sandra das trotzdem gelesen. "Darüber lachen wir heute noch", sagt sie. Und auch darüber, dass sie ihn beim ersten Treffen bei ihr in Soest ("ich hatte Hummeln im Bauch, so aufgeregt war ich") gleich auf eine Party mitgenommen hat und er sich fragen lassen musste, ob er "der Internet-Typ aus Köln" sei.

Wie sie erst belangloses Zeug redeten, obwohl sie sich vorher über Intimstes ausgetauscht hatten. Wie es bei ihr - oh je! - nicht gefunkt hatte beim ersten Mal und es Wochen dauerte, bis sie sich geküsst haben. "Der schönste Kuss meines Lebens", sagt Sandra, "über den Kuss reden wir heute noch", und fügt hinzu: "Die Firma hat uns auch später nie unsere Profile geschickt - eigentlich merkwürdig, dass wir zusammengekommen sind." Ihr Mann ist nicht nur deswegen überzeugt, dass es sinnlos sei, Agenturen zu bemühen, die Geld kosten: "Das ist meist Abzocke."

Die Gefahr der effizientesten Partnersuche

Oder noch schlimmer: Vielleicht zeigt der Boom der Netzbeziehungen und Internetkontaktbörsen, dass nun auch Beziehungen in unserer Gesellschaft immer mehr Warencharakter bekommen - dass, was romantisch sein sollte, zum Eintrag im Terminkalender verkommt. "Es geht bei diesen Kontaktbörsen hauptsächlich um eines: Wie kann ich mich am besten verkaufen und auf dem Markt anbieten? Und wie kann ich so schnell wie möglich diesen Markt sichten?", sagt die Paartherapeutin Claudia Clasen-Holzberg. "Es geht um Rentabilität, Effizienz und Management. Wir rastern Menschen." Die meisten Mitdreißiger arbeiten viel, keiner hat mehr Zeit. Die Folge: "Wer in Job und Alltag effizient sein muss, wird auch effizient seinen Partner suchen wollen."

Dass viele kaum Zeit haben, weiß auch Irene Hübner: "Meine Kunden können sich erst abends nach einem Partner umsehen - wenn das Kind im Bett ist", sagt die Chefin von moms-dads-kids.de, einer Agentur für Alleinerziehende. "Dann gehen sie online. Wenn sie in einer Bar jemand finden wollten, bräuchten sie einen Babysitter." Rund 800 Kunden hat sie, "und gerade für Frauen ist das Netz eine Wohltat: Hier können sie schreiben, dass sie Kinder haben. Viele Männer ziehen sich sofort zurück, wenn sie das hören - aber die Frauen haben ihre Kinder doch lieb."

Zum Glück ist das Netz groß, es bietet für jeden Topf das passende Deckelchen - für große Leute (langesingles.de), für Menschen, die nichts hören (gehoerlossingle.de), für Mollige (x-room.de), Christen (cpdienst.de) und für Leute, die auf dem Land leben. "Da haben Sie wenig Gelegenheit, Leute kennen zu lernen. Dort gibt es nur den Dorfkrug", sagt Michael Rethmann, der landflirt.de betreut. Mehr als die Hälfte seiner rund 1000 Kunden sind Landwirte.

Die großen Vermittler haben eine Vision

Diese kleinen Angebote wird es weiter geben - den Großen geht es um mehr: um die große Vision. Um Flirtshows im Fernsehen, wie sie Friendscout24 inszeniert hat, um die Suche per Handy nach potenziellen Partnern, die sich gerade in der Nähe aufhalten - läuft ein Paarungswilliger vorbei, klingelt die SMS. Nur: Das alles wird nichts werden, sollte auch nur ein einziges Unternehmen ein Schmuddelimage bekommen. "Wir großen Anbieter müssen unbedingt seriös bleiben", sagt Arndt Roller von Parship, und Gesine Reimerdes von Match.com betont: "Wir nehmen auch deswegen Geld, um jene abzuschrecken, die nur ihren Spaß auf Kosten der ernsthaft Suchenden haben wollen."

Auch Datenschutz sei wichtig, meint Jan Becker von Friendscout24: "Wenn jemand mit den persönlichen Daten der Mitglieder verantwortungslos umgeht, dann sind die sofort weg." Frank Dillitzer von Yahoo ergänzt: "Bei uns werden alle Profile per Hand geprüft, um Missbrauch wie zum Beispiel Prostitution zu verhindern." Von seinem Bürofenster kann er auf das 'Café Seitensprung' gegenüber blicken.

Seitensprünge ins Netz

Fern liegt das nicht - das Netz auch zu benutzen, um den Partner zu betrügen. Jede fünfte untreue Frau soll ihren Seitensprung im Internet gesucht haben, sagen Studien. Eine von ihnen nennt sich Tristezza. Ihren richtigen Namen will sie nicht sagen, und das ist verständlich. Denn Tristezza hat seit mehreren Monaten ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann, den sie in einem Chat kennen gelernt hat, einem, der Hunderte Kilometer entfernt lebt. Und er ist nicht ihr Erster. Der Erste nämlich war vor langer Zeit der Auslöser, sich nach sieben Jahren Ehe von ihrem Mann zu trennen - und dann hat der Flirt sie einfach so sitzen lassen.

Doch nun ist es wieder passiert, obwohl sie das nie mehr wollte - "im Chat auf ihn zu warten, ohnmächtig und ausgeliefert". Und sich zu fragen: Meint er es ernst mit mir? Werden wir uns wiedersehen? Was bin ich für ihn? Was ist, wenn seine Frau alles rauskriegt? Das zumindest kann sie genau sagen: "Seine Frau hat meine SMS gelesen, als er sein Handy zu Hause liegen lassen hat", sagt sie, "dann war erst mal Pause."

Das Handy als Quelle des Misstrauens

Kein Wunder, dass gerade das Handy in vielen Beziehungen umstritten ist. Zu viele Fragen hängen an dem kleinen Klotz. Ob man drangehen darf, wenn es bei dem anderen klingelt, zum Beispiel. Ob man die Kurznachrichten des Partners lesen darf. "Handys sind oft tabu wie ein Tagebuch", weiß die Paartherapeutin Claudia Clasen-Holzberg, "das macht sie geheimnisvoll und schafft Misstrauen: Eine harmlose SMS von einem Freund klingt schnell, als sei etwas im Gange."

Bei Tristezza war etwas im Gange. Die beiden haben sich weiter gesehen, immer wieder. Haben gechattet, gemailt, sich Nachrichten aufs Handy geschickt. Und sie hat sich immer wieder die eine Frage gestellt: Bin ich verliebt? Muss ich nicht verliebt sein - für so etwas? Heute, nach langem Nachfühlen, weiß sie: nein. Es geht nicht um Liebe. Seitdem sie das erkannt hat, fühlt sie sich besser: "Er begehrt mich. Darin bin ich verliebt", sagt sie, "es geht um Sex, Vertrauen und Freundschaft. Um Harmonie. Ich liebe seinen Humor und seine Intelligenz - er liebt mein Lachen, und er liebt es, mit mir zu schlafen." Das nächste Treffen ist geplant.

In Foren kann man sich sein Leid klagen

Ob es um Liebe geht oder nicht - das Netz ist auch da, wenn der andere nicht chatten kann oder darf, wenn es einem schlecht geht: Netzforen wie diegeliebte.de und betrogene.de sind Orte, an denen sich Geliebte, Betrogene oder Liebhaber treffen und über ihr Lieben und Leiden austauschen. In dem sie über Gefühle und Ängste reden können, sich gegenseitig beistehen oder "dem Selbstmitleid nachgeben", wie Tristezza sagt. Dort trifft sie Leute, die wissen, wie brutal es sein kann, Geliebte zu sein. Und Leute, die nachts am PC mit einem Ohr Richtung Schlafzimmer lauschen und Angst haben, dass die Ehefrau plötzlich hinter ihnen steht.

Eingerichtet hat die Foren Barbara Unterberger, 40. Weil sie selbst Geliebte war und das Warten und Hoffen im Netz sehr gut kennt. Sie weiß, wie schlimm es ist, wenn jemand plötzlich aus einem Chat verschwindet. "Dann hat der Partner gestört", sagt Tristezza. Tag für Tag, Stunde für Stunde betreut Barbara Unterberger ihre Sites, "weil viel zurückkommt an Dank und Gefühlen. Weil ich weiß, dass es hilft, wenn Betroffene miteinander reden." Und weil aus ihren Foren Freundschaften entstanden sind.

Auch Agenturen werben um die Seitenspringer

Für Nachschub ist gesorgt. Unzählige Firmen werben im Internet um Menschen, die sich oft recht unbedarft für einen Seitensprung anbieten. Einige davon präsentieren sich sogar mit Bild auf seitensprung.de - wer seinen Partner betrügen will, sollte sein Fahndungsbild nicht auch noch selbst an die virtuelle Wand nageln. Seriöser scheint da die Agentur Lovepoint mit mehr als 20.000 Mitgliedern, die nach einem schnellen Abenteuer suchen. Nur 7000 von ihnen sind Singles.

Lovepoint-Chef Wolfgang Herkert, 26 Jahre alt, weiß recht genau, was seine Kunden zu ihm treibt: "Oft sind es Defizite in der Ehe. Einem von beiden fehlt der Kick", sagt er, "außerdem wollen Frauen auf diese Weise gern wissen, ob sie noch jemand für sexy hält - Männer suchen eine Bestätigung, dass sie noch am Leben sind." Da hilft die Anonymität des Netzes.

Manchen genügt schon der Kick

Anrüchig findet Wolfgang Herkert seine Site aber nicht: "Am Anfang habe ich schon gedacht: Das ist moralisch nicht das Wertvollste, was wir betreiben", gibt er zu. Aber heute? "Heute weiß ich, dass das in Ordnung ist. In einer Kneipe treffen sich Leute doch meist alkoholisiert, und dann landen sie im Bett. Bei uns haben sie viel Zeit, sich Mails zu schreiben und nicht gleich körperlich zu werden."

Nicht wenigen genügt bereits der Kick, dass jemand sie interessant findet. "Einige haben heftig geflirtet und sich dann nie getroffen", sagt Wolfgang Herkert, "andere haben erst so herausgefunden, dass ein Seitensprung für sie unmoralisch ist. Das ist Lebensfindung, ohne dass offline etwas passiert."

Scheidung, Therapie - online geht alles

Und wenn etwas passiert? Wenn es zur Scheidung kommt? Auch das geht übers Netz: Über seine Website scheidung-online.de hat der Rechtsanwalt Roland Sperling schon mehr als 1000 Paare zur Trennung verholfen, unbürokratisch und effizient. Oder man versucht doch noch einmal, sich zusammenzuraufen, und macht eine Paartherapie. Selbst das ist online möglich - bei dem Psychologen Ragnar Beer, 37. Seine Praxis heißt theratalk.de, eine Woche Therapie kostet 100 Euro. 70 Paare hat er bislang betreut, "und die Erfolgschancen sind genauso gut wie offline", sagt er.

Die Beratung findet in einer Art Chat statt. Beer stellt Fragen, die Partner antworten - aber im Unterschied zu einem normalen Chat wird jeder Satz, der auf dem Monitor erscheint, gespeichert - sodass jeder später nachlesen kann, was er gestern oder vor zwei Wochen gedacht hat. Dass sich die Partner dabei nicht sehen, ist für den Psychologen sogar ein Vorteil. "Distanz schafft Nähe", sagt er, "viele reden online zum Beispiel leichter über sexuelle Probleme. Sie können rot werden, ohne dass es jemand sieht."

Vorteil der Online-Therapie: Kein Zeitdruck

Ein weiteres Plus: Es gibt keinen Zeitdruck. Wenn eine Frage ans Eingemachte geht, kann man gar nicht oder erst am nächsten Tag antworten. "Jeder kann nachdenken, ohne dass der andere reinredet", sagt Ragnar Beer, "und niemand kann über das hinweggehen, was sein Partner sagt. Weil es da geschrieben steht." Jeder ist gezwungen, genau über das nachzudenken, was er schreibt, muss klar formulieren - und entdeckt dabei vielleicht sogar ein wenig, wo es hakt. Das Problem üblicher Paartherapien - dass die Gespräche schnell eskalieren, weil eingespielte Mechanismen greifen - fällt weg. Schreiben geht langsam. Schreien geht schnell.

Weinen auch. Denn wenn die Liebe zu Ende ist, tut es trotz Handy und Internet genauso weh. Man kann sich dann zwar im Netz austauschen - auf der Site liebesschmerzen.de zum Beispiel. Aber, wie Tristezza sagt: "Das Internet ist nur da, solange man im Netz ist. Geht man raus, ist man auf sich alleine gestellt." Und dann hilft eher jemand, der einen so richtig in den Arm nehmen kann.

Mitarbeit: Iris Hellmuth/ Natascha Grossmann

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Sven Stillich

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