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Preisanstieg im Supermarkt Foodexperte Sebastian Lege: "Falsche Ernährung liegt bei vielen an blanker Faulheit"

Foodexperte Sebastian Lege
Foodexperte und Produktentwickler Sebastian Lege sieht in dem Preisanstieg bei Lebensmitteln auch eine Chance
© Willi Weber / ZDF
Die Preise für Lebensmittel steigen immer weiter. Die Verlockung ist groß, zu günstigen Fertigprodukten zu greifen. Foodexperte Sebastian Lege warnt davor und sieht sogar eine Chance im Preisanstieg.

Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs sind die Preise für Lebensmittel stark gestiegen. Egal ob Obst, Gemüse oder Milchprodukte – Verbraucher müssen deutlich tiefer in die Tasche greifen. Da liegt es nah, auf günstige Fertiggerichte der Lebensmittelindustrie zurückzugreifen. Doch ist das die Lösung?

Sebastian Lege ist Foodexperte und Produktentwickler. In seiner ZDF-Sendung "Die Tricks der Lebensmittelindustrie" zeigt er, wie Verbraucher immer wieder von Lebensmittelproduzenten in die Irre geführt werden. Im Gespräch mit dem stern erklärt er, warum der Preisanstieg im Supermarkt auch etwas Gutes hat, wie man sich trotzdem gut und nachhaltig ernährt und warum er Zucker für die "schlimmste Droge der Gesellschaft" hält.

Herr Lege, wenn man Ihre Sendung verfolgt, hat man das Gefühl, die Lebensmittelindustrie trickst, wo sie nur kann. Was ist in den vergangenen 50 Jahren eigentlich passiert, dass wir heute so genau auf die Inhaltsstoffe unseres Essens achten müssen?
Die deutsche Gesellschaft ist auf die „Geiz-ist-geil“-Mentalität der Discounter angesprungen. Dazu kamen pfiffige Produzenten, die erkannt haben: Da ist ein Volk, das will billig, das will viel, also machen wir jetzt auch die passenden Produkte dazu. Da ist eine gewisse Kauf-Emotionalität entstanden: Hauptsache alle zwei Jahre ein neues Leasing für ein noch dickeres Auto abschließen, aber Essen darf nichts kosten. Das ist in Deutschland leider die böse Sichel, die über uns schwingt. 

Ist das ein rein deutsches Problem? Discounter und preisbewusste Kunden gibt es doch auch in anderen Ländern.
Aber nicht so extrem wie hier – und nicht in dem Preisgefüge. Das Prinzip Discounter ist eine deutsche Erfindung und genau diese Ketten geben auf dem Markt den Ton an. Wenn Aldi morgen die Milch um 10 Cent teurer macht, ziehen alle anderen mit.

Durch den Ukraine-Krieg haben wir jetzt genau diese Situation: Die Lebensmittelpreise sind in den vergangenen Wochen stark gestiegen.
Das ist super – meinetwegen soll ein Stück Schweinefleisch 20 Euro kosten. Sich vielseitig und abwechslungsreich zu ernähren, also so, dass alle nötigen Vitamine und Mineralstoffe zusammenkommen, ist einfach. Da muss man sich nur nach den Jahreszeiten und nach lokalen Produkten richten und so wenig Importe wie möglich zu sich nehmen.

Das heißt unsere Lebensmittel waren all die Jahre zu billig?
Natürlich waren sie zu billig. Im Vergleich zu anderen Industriestaaten sind wir das Land mit den günstigsten Lebensmitteln. Wo gibt es sonst ein Kilo Schweinenacken für 2,30 Euro? Vermutlich nirgendwo. Deswegen finde ich es gut, dass die Preise steigen, weil der ein oder andere jetzt umdenken muss. Es gibt eine gewisse Sensibilisierung im Umgang mit Lebensmitteln.

Ist es denn überhaupt noch möglich, sich in Deutschland günstig und nachhaltig zu ernähren?
Ja, klar kann man das. Indem man sich damit beschäftigt. Man kann schauen, wo der nächste Hofladen ist. Wenn man sich günstiger ernähren möchte, gibt es auch gerettete Lebensmittel oder Gemüse in zweiter Wahl. Es kann sich jeder mal an die Nase fassen und sich fragen: Kann ich etwas konservieren, einsalzen oder einkochen? Man muss nur Zeit investieren und sich mit seiner Ernährung beschäftigen. 

Was entgegnen Sie Menschen, die gerade derzeit bei gestiegenen Lebensmittelpreisen feststellen: Ich kann mir Obst und Gemüse nicht leisten. Eine Dose Ravioli im Discounter kostet nur knapp einen Euro. Die macht zumindest satt.
Na klar, aber bei der Dose Ravioli ist der Nährwert auch gleich Schrott. Damit ernährst du dich nicht, damit hältst du dich nur am Leben. Damit führt man sich nur Energie zu, aber keine Nährstoffe. Das ist nur eine doppelt gekochte Fett-Stärke-Kombination mit viel Zucker – mehr nicht. 

Bei ganz vielen Leuten ist falsche Ernährung die blanke Faulheit. Wenn ich einen Sack Kartoffeln nehme und einen Sack Möhren, beides lokale Produkte, und vielleicht noch eine günstige Wurst, dann kann ich damit einen wunderbaren Eintopf kochen. Und wenn ich dann noch darauf achte, dass ich das ein oder andere bevorrate, kann ich damit nachhaltig und günstig kochen.

Auf was genau sollte man dabei achten?
Die Frage ist: Was braucht der Mensch? Der Mensch braucht erstens einen Energielieferanten – über Kohlenhydrate. Das sind Kartoffeln, Nudeln, Reis, oder auch Hülsenfrüchte. Zudem lokales Gemüse: Äpfel, Möhren, Zwiebeln, Kohl oder Rote Beete. Das ist alles hiesiges Gewächs, das ist nicht teuer. Man muss sich nur damit auseinandersetzen.

Haben wir also verlernt zu kochen?
Es wurde nie gelernt und es wird in den Schulen gar nicht emotionalisiert. Vernünftige Wahrnehmung der Lebensmittel wird nicht gelehrt: Fühlen, riechen, schmecken – wann ist etwas gut, wann schlecht, wann schmeckt etwas richtig lecker? Das sind Sinnesorgane, die gar nicht trainiert werden. Unsere Kulinarik ist Brot und Wurst – dafür sind wir weltbekannt. Danach wird es wirklich grausig – mit Ausnahme einiger regionaler Spezialitäten.

Warum ist das so?
Unser Essen beruht auf Fett-Stärke-Kombinationen, die gemacht wurden, um industriell arbeiten zu gehen. Der Deutsche war ein Arbeiter, der war fleißig, der brachte Leistung. Genau dafür wurde auch unser Essen gemacht: Schnell verdaulich, schnelle Energie. Eine tiefgründige kulinarische Emotionalität wie in Frankreich oder Italien gibt es hier ja gar nicht. 

Hat sich das in den vergangenen Jahren nicht geändert? Food-Blogs sind in den vergangenen Jahren stark gewachsen.
Ja. Durch das Internet und Social Media will jetzt hier jeder Trüffel und US-Fleisch haben, der Grill muss 2000 Euro kosten. Das spaltet die Gesellschaft. Essen wird ein Luxus, ein Lifestyle-Produkt, das sich nicht mehr jeder leisten kann.

Was können wir dagegen tun?
Der Coole sein – back to the roots. Wir müssen uns mit ganz einfachen Sachen beschäftigen. Zum Beispiel Brotbacken. Dieses Emotionale, das Selbstgemachte und auch die Erfolge, die man damit erzielt, geben eine ganz andere Mentalität.

Gestiegene Rohstoffpreise belasten auch die Hersteller. Müssen wir jetzt damit rechnen, dass die Industrie noch mehr trickst?
Nein, egal welchen Rohstoff man einsetzt – es wird ja alles teurer. Da bringt es auch den Produzenten nichts, zu tricksen. Früher gab es solche Mogelpackungen, bei denen günstige Rohstoffe zu einem teuren Produkt gemacht wurden. Das können sich die Produzenten heute nicht mehr erlauben. Insbesondere durch das Internet ist die Transparenz viel größer geworden.

Wenn es unbedingt mal ein Fertigprodukt sein muss – welches kann man ohne große Bedenken kaufen?
Ich würde ein Tiefkühlprodukt kaufen. Durch das Frosten können sich die Produzenten viele Zusatzstoffe sparen und es bleiben höhere Nährwerte im Gericht enthalten. Es gibt Marken, die dafür werben, ganz ohne Geschmacks- und Konservierungsstoffe auszukommen. Das stimmt, aber die haben eben auch ihren Preis.

Sie haben in einem Interview gesagt, wenn Menschen anderthalb Liter Discounter-Cola für 39 Cent kaufen, müssen sie wissen, was sie da tun. Was haben Sie damit gemeint?
Die Leute müssen sich schon allein über die Zucker-Dröhnung, die sie sich damit zuführen, bewusst werden. Das macht die Leute irre. Zucker ist die schlimmste Droge der Gesellschaft. Menschen, die jeden Tag diese Limonaden trinken, sind wie Junkies. Es gibt niemanden, der damit von heute auf morgen aufhören kann, wenn er extrem viel Limonade trinkt. 

Was könnte man dagegen tun?
Die Politik müsste zuckerhaltige Limonaden höher besteuern als Zigaretten. Damit wäre da erst einmal ein Riegel vorgeschoben. 

Gilt das auch für vermeintlich gesünderen Fruchtzucker? Produkte wie sogenannte „Quetschies“ für Kinder sind ja sehr in die Kritik geraten.
Ja! Ich erkläre meinen Freunden immer, was für einen Mist sie ihren Kindern da geben. Das sind hochkonzentrierte Fruchtpürees. Die haben mehr Zucker als eine Cola! Wenn ich mein Kind zu einem Junkie machen will, gebe ich ihm ein paar Quetschies.

Ist das nicht ein bisschen zu hart formuliert?
Wenn Mütter und Väter sagen, das Kind hört auf zu schreien, wenn sie ihm das geben, sage ich immer: Ja natürlich, weil es gerade eine volle Dröhnung bekommen hat und ein breites Grinsen auf dem Gesicht hat. Wir setzen unsere Kinder unter Drogen, wenn wir ihnen so etwas geben.

Ist es sinnvoll, auf Light-Produkte auszuweichen?
Nein! Light ist noch schlechter. Damit gaukelt man dem Körper etwas vor. Zuckerersatzstoffe simulieren zum Beispiel eine Aufnahme von Zucker – das ist sogar doppelt so schlecht. Bei diesen Dingen sage ich immer: Finger weg und stattdessen lieber die Hälfte essen oder trinken.

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