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Vorstoß Wir werfen zu viel Essen weg, Containern soll das ändern. Was dafür spricht – und dagegen

Gerettete Lebensmittel
Anfang 2022 verteilten Klimaaktivisten von der Initiative "Aufstand der letzten Generation" weggeworfene Lebensmittel, welche sie aus Containern gerettet haben, an Passanten.
© Monika Skolimowska/dpa-Zentralbild/dpa
Die Minister Cem Özdemir und Marco Buschmann wollen das Containern straffrei machen. Und sehen das auch als Baustein gegen die Lebensmittelverschwendung. Ist das wirklich der richtige Ansatz? Die Fakten.

Mal ehrlich, wie viel Essbares landet bei Ihnen im Müll? Ich kann es Ihnen sagen: eine Menge. 11 Millionen Tonnen Lebensmittel werden in Deutschland jährlich weggeschmissen, das meiste davon in Privathaushalten (etwa 60 Prozent). Das sind pro Kopf etwa 78 Kilogramm. Zum Vergleich: Der Handel steuert nur etwa sieben Prozent bei. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir bezeichnete es als eine Schande, "dass bei uns nach wie vor Lebensmittel im Müll landen, während weltweit zig Millionen Menschen hungern". Es liege in der Hand jedes Einzelnen, solche Lebensmittelabfälle zu vermeiden. Aber ist es ausgerechnet das Containern, das hier einen wesentlichen Unterschied ausmachen könnte? Zwei Minister scheinen das zu denken. 

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und Justizminister Marco Buschmann haben mit einem Schreiben an die Justizminister und -senatoren der Länder dafür geworben, das Containern nur noch zu bestrafen, wenn ein Hausfriedensbruch vorliegt, "der über die Überwindung eines physischen Hindernisses ohne Entfaltung eines wesentlichen Aufwands hinausgeht oder gleichzeitig den Tatbestand der Sachbeschädigung erfüllt".  

Mit anderen Worten: Wer über eine niedrige Mauer steigt, um an den Abfallcontainer des Supermarktes zu gelangen und Lebensmittel mitnimmt, soll dafür nicht wegen Diebstahls belangt werden. Wer aber auf der Suche nach noch verzehrfähigen Lebensmitteln ein Tor aufhebelt und beschädigt, müsste dagegen weiterhin mit einer Strafe rechnen. Der Vorstoß geht auf einen Vorschlag des Landes Hamburg von 2021 zurück. Dieser sieht eine Änderung der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren vor, die von den Ländern beschlossen werden könnte. Die Änderungen bei den Richtlinien zum Verfahrensrecht könnten, so Özdemir, Bausteine im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung sein. Eine Gesetzesänderung auf Bundesebene ist aber nicht geplant.

Containern: Handelt es sich um einen halbgaren Vorstoß?

Bislang agieren sogenannte Mülltaucher – meist  suchen sie in Abfallbehältern von Supermärkten nach noch Essbarem – oftmals in juristischen Grauzonen. Das führte sie mitunter vor Gericht. Eine Tatsache die auch in der Vergangenheit immer wieder zu Diskussionen über eine Entkriminalisierung des Containerns geführt haben. 

Aber wie sinnvoll ist der Vorstoß wirklich? Für Rezzo Schlauch, der sich 2020 als Anwalt für zwei junge Tübinger eingesetzt hatte, die beim Containern erwischt worden waren, geht der Vorstoß nicht weit genug. "Das halte ich für halbgar, wenn man da einen klaren Schnitt machen will, muss man die Strafbarkeit von Containern aufheben."

Auch Rolf Sommer vom WWF bezeichnet die Absichten des Vorstoß zwar als eine gute Idee, aber damit packe die Bundesregierung das Problem Lebensmittelverschwendung nicht an der Wurzel an. Was am Ende in der Tonne lande, werde nur besser verteilt. Besser wäre nach seinen Worten eine gesetzlich verankerte Pflicht zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen –für alle Wirtschaftsbeteiligten auf allen Herstellungs- und Vertriebsebenen. Wird da also möglicherweise viel Wirbel um wenig Effekt gemacht?

Die Berliner Tafel jedenfalls befürwortet die Idee, die Strafen für das Containern unter diesen Bedingungen abzuschaffen. "Ich finde das sinnvoll. Ich weiß überhaupt nicht, warum irgendwelche Lebensmittel in Containern landen", sagte die Gründerin und ehrenamtliche Vorsitzende der Berliner Tafel, Sabine Werth, am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Statt Lebensmittel wegzuwerfen, sollten Firmen diese lieber spenden, so Werth. "Eigentlich müsste es sich doch in allen Köpfen Bewusstsein darüber entwickelt haben, dass Lebensmittel nicht mehr weggeworfen werden müssen".

Es gebe viele Organisationen, die sich Lebensmittelrettung auf die Fahnen geschrieben haben. Obst, Gemüse oder verpacktes Brot könne ohne Kühlung kurz zwischengelagert werden, erklärt sie. Die Lebensmittel würden sechs Tage in der Woche abgeholt werden. "Wir sind jeden Tag bei den Firmen", sagt Werth.

Lebensmittelverschwendung: Was kann das Containern ausrichten?

Genau das tun bereits jetzt viele Händler und Hersteller, Tendenz steigend. Laut Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels kommen pro Jahr mindestens 74.000 Tonnen Lebensmittel zusammen, die an gemeinnützige Organisationen gehen. Das ist weniger als ein Zehntel von dem, was im Müll landet.

Moderne Prognosesysteme sorgen außerdem dafür, dass die Supermärkte bedarfsgerechter einkaufen, weniger Lebensmittel übrig bleiben. So berichtete Kristina Schütz, Sprecherin der Rewe-Group, gegenüber der Tagesschau: "Mittlerweile verkaufen Penny und Rewe im Jahresdurchschnitt über 98 Prozent ihrer Lebensmittel." Sind es also wirklich die paar Mülltaucher, die den letzten Lebensmittelrest bei den Supermärkten aus der Tonne klauben, die einen effektiven Kontrapunkt gegen die Wegwerfgesellschaft setzen können?

Cornelius Strangemann führt in Bremen den Supermarkt Lestra. Er erlaubt das Containern seit mehr als zehn Jahren. Für die entsprechenden Waren hat Strangemann sogar Regale aufgestellt, aus denen sich die, die es wollen, bedienen dürfen. So müssen sie nicht extra die Abfallbehälter durchsuchen. Ganz ohne Risiko ist es nicht, ein Pionier auf diesem Gebiet zu sein. Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk sagte Strangemann, dass er bei der aktuellen Gesetzeslage dafür haftbar gemacht werden könnte. Passiert sei das zwar noch nicht, theoretisch aber könnte er angezeigt werden, sollte sich einer aufgrund der bei ihm containerten Waren den Magen verderben oder Schlimmeres. Er wünscht sich daher, dass Händler, die wie er das Containern unterstützen, in Zukunft keine Haftung mehr übernehmen müssen. 

Lebensmittelsicherheit ist ohnehin Faktor, der seit jeher gegen das Containern vorgebracht wird. So auch diesmal. Der Hauptgeschäftsführer des Lebensmittelverbands BVLH, Franz-Martin Rausch, kritisierte den Vorstoß scharf und warnte, dass bestimmte Lebensmittel in Abfallbehältern "eine potenzielle Gesundheitsgefahr" darstellten. So könnten etwa Lebensmittel aus Warenrückrufen dabei sein, die mit Fremdkörpern wie Glas- oder Metallsplitter verunreinigt sein können. "Solche Gefahren sieht man den Produkten nicht an", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Er sieht nicht nur keinen rechtlichen Handlungsbedarf, schließlich gebe es im Straf- und Strafverfahrensrecht "ausreichende Möglichkeiten, allen denkbaren Fallkonstellationen im Einzelfall Rechnung zu tragen". Rausch hält das Containern mit Blick auf die Zahlen aus dem Handel entsprechend auch nicht für eine wirksame Maßnahme gegen die Lebensmittelverschwendung.

Erste Länder reagieren auf Vorstoß zum Containern

Mehrere Länder haben bereits auf den Vorstoß reagiert und zumindest Gesprächsbereitschaft signalisiert, nicht ohne Kritikpunkte anzubringen. Der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin "hält die Entkriminalisierung durch die vorgeschlagene Änderung einer Verwaltungsvorschrift derzeit nicht für zielführend", wie ein Sprecher mitteilte.

Vielmehr würde es der FDP-Politiker begrüßen, "wenn der Bundesgesetzgeber in der angekündigten großen Reform des Strafgesetzbuches klarstellen würde, dass das Containern nicht strafbar ist". Und der Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Peter Hauk fände das sinnvoller: "Das Mindesthaltbarkeitsdatum muss in seiner bestehenden Form abgeschafft werden, denn es ist noch immer ein Grund dafür, dass zu viele Lebensmittel weggeworfen werden."

Eine weitere Idee hat Sachsens Justizministerin Katja Meier, die den Vorschlag der Minister Özdemir und Buschmann zwar grundsätzlich gut findet, sich aber wünschen würde, dass Deutschland sich ein Vorbild an den europäischen Nachbarländern nehme. Sie sagte: "[Diese] machen uns vor, dass mit einem Verbot des Entsorgens von Lebensmitteln durch den Handel das Problem an der Wurzel angegangen wird." Eine entsprechende gesetzliche Regelung stünde nach ihren Worten auch Deutschland gut zu Gesicht. 

Jacqueline Bernhardt, Justizministerin in Mecklenburg-Vorpommern, will den Vorschlag prüfen und sagte: "Für mich bleibt wichtig, Containern unter gewissen Voraussetzungen nicht mehr unter Strafe zu stellen. Denn wenn es um hungernde Menschen geht, kann Strafe keine Lösung sein." Ähnlich sieht man es in Bremen.  Es sei obszön, Menschen dafür zu bestrafen, noch genießbare Lebensmittel aus Abfallcontainern zu holen, sagte ein Sprecher des Bremer Justizressorts.

Ob der Vorstoß der Minister erfolgreich sein wird, werden die kommenden Monate zeigen. Das Bundeskabinett hatte kurz vor Weihnachten einen Gesetzentwurf von Buschmann zum Sanktionenrecht beschlossen, der unter anderem eine kürzere Haft bei nicht bezahlter Geldstrafe vorsieht. Über eine weitere Reform, bei der beispielsweise das Schwarzfahren von der Straftat zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden könnte, hat die Regierung dagegen noch nicht entschieden. Im Zuge dieses Vorhabens, das aber noch etliche Monate in Anspruch nehmen dürfte, wäre denkbar, dass zum Containern auch eine Änderung im Strafrecht kommen soll.


Quelle:BMUV, Tagesschau, Deutschlandfunk, Redaktionsnetzwerk Deutschland, mit Material der Dpa

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