Karriere-Ende mit Anlauf Panikattacke im Weizenfeld und Tränen in Meetings: Verena Bahlsen über ihren Ausstieg aus dem Keks-Konzern

Verena Bahlsen
Verena Bahlsen in ihrem Restaurant Hermann's in Berlin. 
© xMikexWolffx / Imago Images
Der Keks ist gegessen. Verena Bahlsen zieht sich aus dem Familienunternehmen zurück. Auf Linkedin hat sie in einem emotionalen Abschiedsbrief nun erklärt, warum sie diesen Schritt geht – oder: gehen muss.

Verena Bahlsen verkrümelt sich. Die Tochter von Werner M. Bahlsen räumt den Stuhl in der Geschäftsführung des Keks-Unternehmens, um jetzt erst einmal ein paar Wochen "surfen zu gehen" – und sie hat gute Gründe dafür. In einem emotionalen Abschiedsbrief, den die 29-Jährige auf Linkedin teilte, legt sie offen, warum sie hinschmeißt.

Bahlsen zählt in Europa zu den führenden Gebäckherstellern und hat eigenen Angaben zufolge rund 2600 Mitarbeitende in mehr als 80 Ländern. Hauptstandort ist seit 1889 Hannover. Der Patriarch der Keks-Dynastie, Werner M. Bahlsen, hatte sich bereits 2018 als Vorstandschef zurückgezogen, Tochter Verena Bahlsen war im selben Jahr als aktive Gesellschafterin ins Unternehmen eingestiegen. Dass es aber im Getriebe knirscht, ist seit Jahren bekannt. Davon zeugten mehrfache Umbesetzungen in der Chefetage, aber auch innerfamiliäre Meinungsverschiedenheiten über die Ausrichtung des Unternehmens. Sie strebte ein Umdenken des Keks-Konzern an, wollte diesen auf nachhaltigere Säulen stellen. In der vergangenen Woche wurde nun bekannt, dass das Unternehmen Alexander Kühnen als neuen Geschäftsführer in den Konzern geholt hat. Er legt ab 2023 los. Verena Bahlsen hingegen streicht die Segel und steigt zum Jahresende "aus persönlichen Gründen" aus, um sich fortan Projekten außerhalb von Bahlsen zu widmen. 

Verena Bahlsen: "Ringen um Authentizität"

Für Verena Bahlsen ist es ein Ende mit Schrecken. Denn wie sie nun offenlegte, war ihre Zeit im Unternehmen alles andere als ein Zuckerschlecken. In ihren Abschiedsworten an die Kollegen schreibt sie, dass es ihr oft peinlich gewesen sei, wenn diese sie in Momenten der Angst, der Überforderung oder der Unsicherheit gesehen haben. Und sie wird noch konkreter: "Ich habe mit unserem CEO in einem deutschen Weizenfeld gestanden und eine Panikattacke gehabt. Ich habe in vielen Meetings geweint. Ich war manchmal unfreundlich oder ungeduldig, habe Leute unterbrochen, wenn ich hätte zuhören sollen, oder war kalt und hart, wenn ich hätte weich bleiben sollen." Dennoch hätten die Kollegen ihr in ihrem "Ringen um Authentizität in dieser Rolle" Raum gelassen, sie unterstützt und viel gelehrt. Dafür bedanke sie sich.

Ihr Ausstieg ist nur auf den ersten Blick überraschend. Zwar hatte man ihr vor Jahren auch Ambitionen auf den Chefposten nachgesagt, so richtig rund lief es für sie beim Gebäckhersteller aber nie. Unschuldig war sie selbst daran nicht. Den ersten handfesten Skandal handelte sich Verena Bahlsen 2019 ein. Als sie damals beim Online Marketing Rockstars Festivals auf der Bühne das Wort ergriff, war sie 26 Jahre alt, eine Studienabbrecherin und geizte nicht mit provokanten Aussagen. "Ich bin Kapitalistin. Mir gehört ein Viertel von Bahlsen und da freue ich mich auch drüber. Es soll mir auch weiterhin gehören. Ich will Geld verdienen und mir Segelyachten kaufen von meiner Dividende und so was", sagte die Miterbin damals. Ihr gehört ein Viertel des Familienimperiums. Der "Business Insider" urteilte später, Bahlsen habe exakt 18 Sekunden gebraucht, "um ihre Aussichten auf die Thronfolge im 545 Millionen Euro schweren Keks-Imperium ihrer Familie kaputt zu reden".  

Enormer Image-Schaden nach Shitstorm

Denn der Shitstorm ließ nicht lange auf sich warten. Vorgeworfen wurde ihr unter anderem, dass sie ihren Reichtum mitunter auch Zwangsarbeitern während des Nationalsozialismus zu verdanken habe. In einem "Bild"-Interview redete sie sich daraufhin um Kopf und Kragen, als sie erklärte, dass sich Unternehmen diesbezüglich nichts zu schulden habe kommen lassen. Doch das stimmte so nicht. Ihre umstrittenen Aussagen verursachten einen immensen Image-Schaden fürs Unternehmen. (Mehr dazu hier) Anfang 2020 dann der Paukenschlag. Es wurde bekannt, dass das Unternehmen nach einem externen Geschäftsführer sucht. Für den Keks-Hersteller ein riesiger Schritt, bis dato hatten diese Rolle immer Familienmitglieder ausgefüllt. 

Verena Bahlsen hat von Beginn an nicht richtig ins Unternehmen gepasst. Sie wollte sowas wie eine gute Kapitalistin sein. "Ich glaube, jetzt ist die spannendste Zeit, um mit Weltverbessern Geld zu verdienen", sagte sie einmal in einem Capital-Interview. Statt bei Bahlsen einfach weiterzumachen wie gehabt, hatte sie Visionen, wollte Ernährungsalternativen bieten. 2017 gründete sie daher eine Tochterfirma. Das "Herrmann's" in Berlin ist ein gesundes Restaurant mit angeschlossenem Öko-Shop und Unternehmensberatung für Firmen, die nachhaltige Konzepte in der Lebensmittelbranche umsetzen wollen. 

Und jetzt? Eine Frage, die Verena Bahlsen selbst nicht beantworten kann. Sie habe keine Ahnung, was sie als nächstes mache. "Ich habe beschlossen, mir etwas Zeit zu nehmen und all die verschiedenen Möglichkeiten kennen zu lernen, wie Menschen Geschichten erzählen und sich gegenseitig inspirieren", schreibt sie. Sie erzählt davon ein Praktikum an einem Filmset machen zu wollen und von der Möglichkeit, freiberuflich am Aufbau von Marken zu arbeiten. "Wenn also jemand einen Job für mich hat, bitte melden", so Bahlsen. "Aber vielleicht gebt ihr mir zuerst ein paar Wochen Zeit, um surfen zu gehen, am Strand zu sitzen und skandalös unproduktiv zu sein."

Quelle: LinkedinBusiness Insider 1, Business Insider 2, mit Material der Dpa

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