Levante-Küche "Wenn du gierig wirst, ist das der Anfang vom Ende": Gastronomin Haya Molcho über den Hype um die "NENI"-Restaurants

Familie Molcho gemeinsam am Esstisch
"Wir fühlen uns nicht als Kette oder als Sell-out und ich denke, so werden wir auch nicht wahrgenommen. Wir sind eine Familie, die mit ihrem Unternehmen wächst", sagt Haya Molcho.
© Nuriel Molcho/Brandstätter Verlag
Haya Molcho hat die Küche des Nahen Ostens in den Mainstream gebracht und mit ihren Restaurants "NENI" den Puls der Zeit getroffen. Ein Gespräch über die Gefahr des Sell-Outs, Authentizität und das neue Kochbuch "Coming Home" mit Haya und Nuriel Molcho.

Ausgehend vom Wiener Naschmarkt hat Haya Molcho das Konzept moderner Levante-Küche in der Welt bekannt gemacht. Seit Jahren surfen die Molchos mit ihrem familiären Gastro-Konzept auf der Erfolgswelle. Inzwischen betreiben sie zwölf "NENI"-Restaurants, darunter in Wien, Amsterdam, Kopenhagen und Hamburg. Dazu kommen eigenen Produkte und diverse Kochbücher. Das neueste ist gerade erschienen, es nennt sich "Coming Home". Werden die Gastro-Überflieger nun sesshaft? Der stern hat Haya Molcho und Sohn Nuriel zum Gespräch getroffen.

Sie selbst beschreiben sich immer wieder als Nomaden, als Weltreisende. Nun heißt Ihr neues Buch ausgerechnet "Coming Home". Was bedeutet es für Sie nach Hause zu kommen? 
Haya: Das Leben, Familie, Freunde. Es ist ein Symbol dafür, willkommen zu heißen, sozial zu sein, miteinander zu kochen. Nach den Corona-Jahren haben wir doch alle die Sehnsucht, wieder Zeit miteinander zu verbringen, zu kommunizieren. Und natürlich ist "Coming Home" auch ein Familienkochbuch. 

Nuriel: In den Kochbüchern zuvor hat sich Haya mit ihren Gerichten als Köchin verwirklicht. Unser großer Wunsch war jetzt ein Buch mit Gerichten, die auch wir nachkochen können. Wir sind alle Foodies in der Familie, aber wir sind nicht alle Köche. 

Also zurück zu den Basics? 
Nuriel: Basics klingt falsch, die Gerichte sind nicht fad. Gemeint ist Feelgoodfood. 

Familie spielt bei den Molchos eine große Rolle, wenn nicht gar die größte. Mit diesem Buch geben Sie noch einmal ganz neue Einblicke in Ihr Leben. Warum? 
Haya: Unsere Familie wächst. Es gibt jetzt eine Schwiegertochter, Elior ist verlobt, Ilan hat eine Freundin. Es gibt doch nichts Schöneres als die Familie zu erweitern. Wir hatten immer ein offenes Haus, die Tür ist nie verschlossen. Wir sind ein lebendiges Zuhause. In Israel ist man viel offener und nicht so verschlossen wie die Europäer. Das muss sich hier noch ändern. 

NENI steht für Nuriel, Elior, Nadiv und Ilan, die vier Söhne von Haya und Samy Molcho. Der Name steht auch für die Philosophie des Unternehmens. "Bei uns und NENI geht es nie nur ums Essen. Es geht um das Familiäre, um Gefühl. Das macht uns aus", beschreibt Haya Molcho.

Und in dieses lebendige Zuhause laden Sie mit dem neuen Buch ein? 
Nuriel: Genau. Zu uns als Familie. Wir stellen uns vor. Jeder einzelne von uns wird von den anderen beschrieben – weil es ein Kochbuch ist als Gewürz oder Zutat. 

Ihr Vater Samy wird darin als Knoblauch beschrieben, als Geschmacksträger, der jedes Gericht abrundet und zugleich ausdauernde Heilpflanze ist. Sie selbst wurden von Ihrem Bruder als …
Nuriel: … Salat beschrieben, ja. Salat ist vielseitig, gesund, kann toll gemischt werden. Ich habe mich darin wiedergefunden. 

Haya: Nuriels Frau Audrey hat stundenlange Interviews mit uns geführt, hat immer weiter gebohrt, ist in die Tiefe gegangen und hat uns so dazu gebracht uns richtig zu öffnen und noch einmal genauer über die anderen nachzudenken und was den Einzelnen ausmacht.  

Nuriel: Tatsächlich treffen die Beschreibungen wirklich zu – bei jedem. 

Sie nannten "Coming Home" ein Familienkochbuch. Ist es dann überhaupt eines für Menschen, die Sie und Ihre Geschichte noch nicht kennen? 
Nuriel: Jedes unserer Bücher ist nicht nur Kochbuch, es ist immer auch noch etwas mehr. In diesem geben wir die Möglichkeit, uns besser kennenzulernen. Wer uns gar nicht kennt, bekommt einen Einblick. Wer uns schon kennt, kann das, was er weiß, vertiefen. Es bleibt aber ein Kochbuch, es ist keine Biografie. 

Haya: Es ist ein etwas anderes Kochbuch. Uns war es wichtig, dass es etwas künstlerischer ist und humorvoll. Das sieht man beispielsweise an den Collagen mit den Kinderfotos. Jedem soll beim Blättern das Herz aufgehen. Das Buch ist pure Emotion. Eigentlich eine Liebeserklärung an meine Familie. 

Cover des Kochbuchs "Coming Home"
"Coming Home: Meine Lieblingsrezepte" ist das neueste Kochbuch von Haya Molcho. Es ist  jüngst im Brandstätter Verlag erschienen.

Sie, Haya, haben das erste Kapitel in dem neuen Buch, dann folgen die vier Söhne, dann Samy. Die Eltern stehen am Anfang und am Ende wie eine Klammer. Es fällt auf, dass die Ordnung der Söhne nicht dem typischen NENI-Prinzip folgt, also Nuriel, Elior, Nadiv und Ilan. Warum? 
Haya: Sortiert ist nach den jeweiligen Bedürfnissen der Kinder, nach dem, was sie am liebsten essen. 

Nuriel: Die Gerichte haben wir zusammen ausgesucht. Jeder von uns hat seine Favorites in den Topf geworfen, die unbedingt dabei sein sollten. Bei Elior ist das beispielsweise ganz viel Soulfood, bei mir eher leichte Küche. 

Haya: Und Samy wollte unbedingt das Traditionelle drin haben. Wir sind nicht so religiös, aber wir sind sehr traditionell.  

Ein bisschen fühlt sich dieses Buch an, wie ein Abschiedsgeschenk an die Söhne, die flügge geworden sind. Schließlich kommt, herzlichen Glückwunsch, bald auch das erste Enkelkind. 
Nuriel: Danke. 

Haya: Ja, das stimmt sicherlich. Es geht auch darum, etwas weiterzugeben. Die Rezepte der Familie zu bewahren, damit sie nicht verloren gehen. 

Zuhause ist, sagen Sie, gemeinsam zu essen. Sie haben inzwischen aber ein riesiges Unternehmen. Das bedeutet viele Reisen, viel Arbeit. Wie oft finden Sie überhaupt noch Zeit, um mit allen gemeinsam zu essen? 
Nuriel: So oft es geht. Wir versuchen es schon mehrmals im Monat möglich zu machen. Und mit dem Baby dann werde ich auch mehr zuhause sein, weniger reisen. 

Auf welches Gericht kann sich die ganze Familie einigen?  
Haya: Hummus! Hummus lieben alle. 

Nuriel: Das emotionalste Gericht in dem Buch sind sicherlich die Bohnen von Samys Mama. 

Haya: Das ist für uns ein ganz wichtiges Gericht. Das haben wir jeden Freitagabend zum Schabbat zusammen gegessen … 

Nuriel: … aber Hummus ist das Fundament, das uns zusammenhält. 

Mit NENI haben Sie genau den Puls der Zeit getroffen. Die Levante-Küche, das kann man sagen, in den Mainstream gebracht. Ihr Unternehmen wächst und wächst und wächst. Ist nicht irgendwann mal die Decke erreicht? 
Nuriel: Nein, im Gegenteil. Uns schreiben so viele Leute, dass sie uns toll finden. Ob wir nicht ein Restaurant in Frankfurt aufmachen können oder das Konzept in New York gut funktionieren würde. 

Im Subtext des Buches kann man lesen, dass da schon auch eine Sehnsucht, nach einem ruhigeren Leben ist. Stimmt das? 
Haya: Für mich stimmt das mit dem Rückzug schon. Ich bin jetzt 67 Jahre alt, meine Söhne sind noch jung. Aber: unsere gemeinsame Vision ist eine Farm mit einem "Farm to table"-Konzept. Die Idee kam während des Corona-Lockdowns auf, als wir alle gemeinsam wieder unter einem Dach lebten und gemerkt haben, wie gut das funktioniert. Es wäre wie eine Art Kibbuz, mit Tieren und regenerativer Landwirtschaft. 

Nuriel: Aber wir wachsen trotzdem weiterhin. Allerdings findet ein Umdenken statt. Früher wollten alle in allem involviert sein. Jetzt konzentrieren wir uns eher auf zwei, drei Sachen. 

Haben Sie keine Angst, dass der Hype um NENI irgendwann mal vorbei ist? 
Haya: Wir fühlen uns nicht als Kette oder als Sell-out und ich denke, so werden wir auch nicht wahrgenommen. Wir sind eine Familie, die mit ihrem Unternehmen wächst. Das wichtigste ist, authentisch zu bleiben. Wir sind greifbar. Wenn einer der Köche eine Frage hat, kann er mich direkt anrufen. Und wenn jemand ein Foto mit mir machen will, würde ich das nie ablehnen. Du darfst nicht gierig werden. Wenn du gierig wirst, ist das der Anfang vom Ende. 

Das ewige Dilemma: Was ist noch authentisch und was ist nur noch Image? 
Haya: Es gibt immer noch Leute, die uns nicht glauben, dass wir sind wie wir sind. Dass das echt ist. Aber das ist deren Problem. Unsere Philosophie ist und sehr wichtig und daher auch die Mitarbeiter, denn sie transportieren diese für uns. Die Menschen in den Schlüsselpositionen reisen mit uns, lernen uns kennen. Gerade waren die ganzen Köche bei uns in Wien. Dieser enge Kontakt ist ganz wichtig, um zu erhalten, wofür wir stehen. 

Und das wäre? 
Haya: Bei uns und NENI geht es nie nur ums Essen. Es geht um das Familiäre, um Gefühl. Das macht uns aus. In Emotion steckt auch Motion, also Bewegung. Wir wollen bewegen. Vieles davon hat uns Samy mitgegeben. Samy ist offen, sehr emotional. Aber niemand, der allen gefallen muss.  

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