Hans Reisetbauer Wie ein konventioneller Landwirt zum weltbesten Schnapsbrenner wurde

Hans Reisetbauer, 55 Jahre, zählt zu den besten Brennern der Welt
Hans Reisetbauer, 55 Jahre, zählt zu den besten Brennern der Welt
© Christoph Fröhlich
Hans Reisetbauer lebt in Österreich und gilt als einer der besten Schnapsbrenner der Welt. Gelungen ist ihm das durch harte Arbeit, den Mut zur Veränderung und einen Fokus auf Nachhaltigkeit.

Keine Kompromisse. Das ist ein Motto, welches sich viele Hersteller auf die Fahnen schreiben. Doch nur auf wenige trifft es so zu wie auf Hans Reisetbauer. Der 54-jährige Österreicher aus der Nähe von Linz begann Mitte der Neunziger seine Karriere als einfacher Landwirt, in den vergangenen drei Jahrzehnten hat er es zu einem der angesehensten Schnapsbrenner der Welt geschafft.

Fachmagazine und Zeitungen adelten ihn zum Besten seiner Zunft, der legendäre Einkaufstempel Harrods im Herzen Londons kürte 2011 seinen Blue Gin zum besten des Monats. Und das im Mutterland des Gins, wohlgemerkt. Der New Yorker Bartender Jim Meehan ist von seiner Arbeit so überzeugt, dass er sogar einen Drink nach ihm benannt hat (“Hans Solo”). Gelungen ist Reisetbauer dieser Aufstieg durch harte Arbeit, den Mut zur Veränderung und einen unbeirrbaren Fokus auf Nachhaltigkeit.

Der späte Erfolg der roten Birne

Man braucht nicht lange, um zu verstehen, was Hans Reisetbauer anders macht als die meisten anderen Hersteller. Es genügt, mit ihm ins Auto zu steigen und ein paar Minuten in die Felder rund um das oberösterreichische Axberg zu düsen. Oder vielmehr zu rumpeln: Denn die Hänge sind mitunter steil und die Wege uneben. Hier wurzeln, aufgereiht wie Perlen auf der Schnur, 16.800 Birnen- und noch einmal weitere 7000 Apfelbäume. Die Obstbäume sind Rohstofflieferanten für die Edelbrände, mit denen Reisetbauer in den Bars rund um den Globus zu Weltruhm gelangte.

Sein Meisterstück ist der Brand der Roten Williamsbirne. Das renommierte Kulinarikmagazin “Falstaff” vergab für den 2015er-Jahrgang die Höchstwertung mit 100 von 100 Punkten. Die Birnen dafür wachsen wenige Kilometer im Umkreis des Familienhofes. Pro Jahr liegt der Ertrag mittlerweile bei 250 bis 300 Tonnen.

Die Rote Williams ist das Fundament für Reisetbauers Erfolg
Die Rote Williams ist das Fundament für Reisetbauers Erfolg
© Christoph Fröhlich

Dass die rote Williamsbirne hier so prächtig gedeiht liegt auch am Klimawandel. “Als ich angefangen habe, sagten mir alle: Rote Williams in Österreich anbauen, der ist doch wahnsinnig. Und tatsächlich war das am Anfang sehr schwierig, weil die Früchte nicht ausgereift sind”, sagt Reisetbauer im Gespräch mit dem stern. “Nun würden alle unsere Birne kaufen, egal welchen Preis wir verlangen würden. Doch wir geben keine einzige Birne mehr her.”

“Man muss das respektieren”

Wenn Reisetbauer über seine tiefroten Birnen spricht (“Sie sind rundherum rot, nicht ein Fleckchen grün. Wunderschön.”), klingt das ein wenig, als würde er über seine große Liebe schwärmen. Im Geschmack haben sie eine ausgeprägte Fruchtigkeit und zugleich eine komplexe Würze. Reisetbauer nennt seine Rote Williams ehrfürchtig “die Königsfrucht”. Doch es ist nicht die Liebe zur Birne allein, sondern zur Natur im Allgemeinen.

Schlendert man durch die endlosen Baumreihen, fällt auf, dass es in jedem Baum flattert, surrt und krabbelt. Bienen, Hummeln, Käfer überall. “In den Bäumen ist immer was los. Das ist wichtig”, sagt Reisetbauer. Der Landwirt und Schnapsbrenner hält sich zur Bestäubung eigene Bienen, das Gras zwischen den Baumreihen lässt er stehen. Den Einsatz von Chemikalien lehnt er strikt ab.

Hans Reisetbauer lebt im Einklang mit der Natur
Hans Reisetbauer lebt im Einklang mit der Natur
© Christoph Fröhlich

Alles hier ist natürlich, sieht man einmal vom Bewässerungssystem ab, welches sich um die Stämme windet. “Ohne geht es nicht mehr. Wir haben es 2018 installiert, da herrschte eine unglaubliche Hitze. Ein Baum gewöhnt sich nicht an ein solches Klima. Normalerweise regnet es hier 800 Millimeter im Jahr, 2018 war es nicht einmal die Hälfte. Ein Baum kann sich so schnell nicht umgewöhnen und geht daran kaputt. Man muss das respektieren. Der Mensch kann sich auch nicht so schnell umstellen.”

Vom Saulus zum Paulus

Reisetbauer war nicht immer ein Vorkämpfer der Bio-Bewegung. Als er den Hof 1994 von seine Vater übernahm, ging es allein um Masse. “Die Frage nach der Qualität stellte damals niemand.” Der Einsatz von Chemikalien war damals Usus. 2007 hat er aufgehört, das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat zu verwenden. “Davon muss man jedes Jahr die doppelte Menge verwenden, um das gleiche Ergebnis zu erzielen. Mir war klar, dass das auf Dauer nicht funktionieren kann. Das ist nicht gut für mich, meine Mitarbeiter und meine Kinder. Dann haben wir einfach einen Schlussstrich gezogen. Seitdem leben wir einen viel bewussteren Umgang mit der Natur.”

Diese Denkweise hat sich mittlerweile auf alle Bereiche des Betriebs übertragen: Kurze Transportwege sorgen für geringe Emissionen, eine 1800 Quadratmeter große Photovoltaikanlage ermöglicht eine beinahe energieautarke Arbeitsweise, ein ausgeklügeltes Wärmerückgewinnungssystem sorgt dafür, dass das heiße Wasser aus dem Brennvorgang wieder in die Heizung eingespeist wird. “Es geht darum, alles auszunutzen. Jeden Stein umzudrehen, an jeder Ecke anzusetzen.” 

Mehr als 300 Tage im Jahr kümmert sich Reisetbauers 14-köpfiges Team um die Felder. Die Bäume werden händisch beschnitten, die Gerste mehrfach im Jahr gestriegelt, Pflanzen sogar extra gesetzt, um den Stickstoffanteil im Boden und damit dessen Qualität zu erhöhen. Reisetbauer weiß: Um den bestmöglichen Brand herzustellen, benötigt er perfektes Obst. Und er sieht sich vor allem als Schnapsbrenner, nicht als Landwirt.

Die Felder um Axberg
Die Felder um Axberg
© Christoph Fröhlich

Das Geheimnis des perfekten Brands: Bauchgefühl und Erfahrung

Statt auf dem sonnendurchfluteten Feld steht Reisetbauer nun vor riesigen, silbernen Edelstahlungetümen. Es sind übermannsgroße Gärtanks, jeder fasst 5500 bis 11.000 Liter, in einem quellt gerade die Marillenernte von vor wenigen Tagen. Im hinteren Teil der Halle thronen mehrere Kupferbrennblasen. Die Brennapparate sind das Herzstück seiner Arbeit - Reisetbauer nennt sie seine “Heiligtümer”.

Die Anlage hat er gemeinsam mit der hochspezialisierten Firma Carl aus der Nähe von Stuttgart entworfen und gebaut. Dafür hat er all sein Wissen aus zwei Jahrzehnten Obstbrandherstellung in die Konzeption einfließen lassen. So lässt sich der Druck auf 0,01 Bar und die Temperatur auf 0,05 Grad Celsius genau justieren. Auf diese Weise kann während des gesamten Brennprozesses die Temperatur exakt vorgegeben werden und die Aromafeinheiten eines jeden Brandes perfekt herausgearbeitet werden. Der Kostenpunkt: mehr als eine Million Euro.

Doch die beste Technik allein garantiert noch keinen perfekten Brand. “Die Software kann uns bei handwerklichen Dingen unterstützen, etwa dem Waschen oder dem Halten der Temperatur. Aber sie kann den menschlichen Geschmack nicht ersetzen. Jede Frucht ist anders, jeden Tag. Hier kommt es auf unsere Erfahrung an."

Hans Reisetbauer besitzt eine der modernsten Brennanlagen
Hans Reisetbauer besitzt eine der modernsten Brennanlagen
© Christoph Fröhlich

Niemals Stillstand

Auch nach mehr als zwei Jahrzehnten widmen er und sein Team sich mit größter Hingabe seinen Kirschen, Himbeeren und Marillen, der optimalen Vergärung und den Geheimnissen der Destillation. Reisetbauers Ziel ist ambitioniert: “Ich will irgendwann der beste Schnapsbrenner der Welt sein. Das kann ich nicht erreichen, mir ist schon klar, dass der Weg das Ziel ist. Aber ich kann sagen: Ich arbeite jeden Tag daran. Am Obst, an der Gärung, an der Brennerei. Es gibt keinen einzigen Tag, an dem wir nicht irgendetwas lernen.”

Lebenslanges Lernen ist für Reisetbauer selbstverständlich. Um sich und möglicherweise eingeschliffene Denkmuster immer wieder infrage zu stellen, umgibt er sich viel mit jungen Leuten: Sein Brennmeister ist 27, seine Assistentin 30 Jahre alt. “Sie geben mir viel Input. Man darf im Kopf nie träge werden. Diese Menschen sind auch mein Potenzial.”

Sein wichtigster Geschäftspartner ist sein Sohn Hansi. Er sieht sich - im Gegensatz zum Vater - vor allem als Landwirt. Obstanbau und Brennen, alles aus einer Hand, das klingt nach perfekter Symbiose. Doch es sei jeden Tag harte Arbeit, versichert Reisetbauer. “Wir beide haben kein starkes Vater-Sohn-Verhältnis mehr, sondern eher ein freundschaftliches. Wir werden die nächsten 10, hoffentlich 15 Jahre noch miteinander arbeiten. Dafür mussten wir lernen, Diskussionen emotionslos zu führen, sodass es nicht zum Streit kommt. Das klappt nicht immer, aber wir lernen beide allein beim Versuch ständig voneinander.”

Reisetbauer besitzt in seinem Fasslager einige Raritäten, wie etwa diesen Weinbrand aus Bernhard Otts 1000-Rosen-Wein
Reisetbauer besitzt in seinem Fasslager einige Raritäten, wie etwa diesen Weinbrand aus Bernhard Otts 1000-Rosen-Wein
© Christoph Fröhlich

Eine Frage des Preises

In der wichtigsten Frage der Qualität sind Vater und Sohn auf einer Wellenlänge. Das zahlt sich aus: “Ich bin heute in 35 bis 40 der 50 besten, jährlich von San Pellegrino gekürten Restaurants der Welt vertreten. Dass dort auf der ganzen Welt österreichischer Schnaps getrunken wird macht mich wahnsinnig stolz.”

Die Edelbrände haben natürlich ihren Preis: Der rote Williamsbrand kostet 45 Euro für 0,35 Liter, ebenso der Brand von der Karotte, vom Apfel und der Marille. Ingwer- und Himbeerbrand kosten 99 Euro für 0,35 Liter. Für letzteren benötigt Reisetbauer übrigens 35 Kilogramm Früchte je Liter. Am kostenintensivsten ist die seltene Elsbeere mit 275 Euro je Flasche. Das ist viel Geld, das weiß auch Reisetbauer. Aber in dieser Hinsicht hält er es mit einem Zitat von Aldo Gucci: “An die Qualität erinnert man sich noch, wenn der Preis längst vergessen ist.” 

Um das Geld ging es ihm ohnehin nie: “Die ersten 12 Jahre haben wir keinen Gewinn gemacht. Mit der Wirtschaftskrise 2008 sind wir an die Grenzen gekommen. Doch seit 1994 habe ich nicht einmal ans Aufhören gedacht. Ich wusste immer: Das gebe ich nie auf, irgendetwas fällt mir schon ein. Das ist mein Lebenstraum. Den ganzen Tag Brennen, ich könnte mir gar nichts anderes mehr vorstellen.” Nur wenige Tage im Jahr kehrt Reisetbauer den Brennapparaten den Rücken, etwa wenn er ein paar Tage Urlaub in Montenegro oder der Steiermark macht.

Die Sojaproduktion läuft auf Hochtouren
Die Sojaproduktion läuft auf Hochtouren
© Christoph Fröhlich

Und nun auch noch Sojasauce

Zwei Dutzend Edelbrände, ein Wodka, zwei Gins und sogar einen Rum aus eigener Herstellung - eigentlich müsste Reisetbauers Team mehr als ausgelastet sein. Doch mit dem Status Quo gibt man sich in Axberg nicht zufrieden. Vor Kurzem stürzte man sich in das nächste kulinarische Abenteuer: Gemeinsam mit dem deutsch-italienischen Koch Roland Trettl stellt Reisetbauer eine eigene Sojasauce in Bio-Qualität her. Beide Männer verbindet eine langjährige Freundschaft, nun wollten sie nicht weniger als die beste Sojasauce der Welt herstellen.

Auch hier gilt das Motto: Ganz oder gar nicht. "Ich bin überzeugt: Man darf nichts halbherzig machen. Man macht es entweder ganz oder gar nicht - und wenn man es macht, dann bis zum bitteren Ende." Eigens für diese Produktion hat er innerhalb von zwei Monaten eine Halle gebaut. “Unsere Ackerfläche haben wir noch einmal um 25 Hektar erweitert, mittlerweile produzieren wir mehr als 100 Tonnen Speisesoja pro Jahr.”

Ausgesät werden die Sojabohnen im April, die Ernte erfolgt im Spätsommer. Danach werden die Bohnen zur schonenden Dämpfung zu einer Mühle gebracht, zurück in der Brennerei werden sie mit Weizen- und Roggenbiomalz feucht gemischt. Nach der Gärung ruht die zukünftige Sojasauce etwa drei Tage, anschließend wird die Masse mit Bad Ischler Meistersole vermischt. In den ersten Tagen wird die Mischung täglich aufgerührt, anschließend wird die Taktung auf einmal pro Woche über einen Zeitraum von sieben Monaten reduziert.

Die Gärtanks bieten viel Platz für Sojasauce
Die Gärtanks bieten viel Platz für Sojasauce
© Christoph Fröhlich

Gelagert wird die Sojasauce in riesigen Holzgärständern vom renommierten Château Pichon Longueville-Baron. Fassungsvolumen: 8500 Liter. Diese sorgen für ein komplexeres Aroma. Nach sieben Monaten wird die Masse mit einer Korbpresse gepresst, gefiltert und über einen Pasteur gefüllt.

Ziemlich viel Aufwand für eine Sojasauce. Doch Reisetbauer weiß: Auf den Weg zur Qualität gibt es nun einmal keine Abkürzung.

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