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München Oktoberfest: 16 Tage am Stück Blaskapelle – dieser Mann macht das seit 39 Jahren

Oktoberfest-Musiker: "Der härteste Auftritt der Welt"
Die Hand hoch: Christian Sachs, 58, sorgt als Chef der "Oktoberfestkapelle Schwarzfischer" für Stimmung
© Festhalle Schottenhamel
Auf dem Oktoberfest ist der Wahnsinn Normalzustand. Mittendrin: der Musiker und Dirigent Christian Sachs, der dort seit 39 Jahren auftritt.

Herr Sachs, unter Musikern gilt das Oktoberfest als härtester Auftritt der Welt. Wie hält man das durch?
Ideal wäre eine Woche Urlaub ­vorher, aber da bin ich mit meiner Festkapelle bereits auf anderen baye­rischen Volksfesten gebucht. Ich versuche trotzdem, etwas gesünder zu leben. Schwimmen, Joggen, Kraftsport. Auf der Wiesn gewinnst du keinen Schönheitspreis, da geht es nur um Ausdauer, damit du die 16 Tage durchstehst. Deswegen habe ich zum Beispiel immer einen zweiten Schlagzeuger dabei. Einer allein kann das von der Muskulatur gar nicht bewältigen.

Dazu der Radau und die Menschenmassen.
Generell ist die mentale Belastung schlimmer als die körperliche. Jeder Gang zur Toilette wird zum Hindernislauf. Da brauchst du eine gute Psyche. Am Ende bin ich immer froh, wenn ich ein paar Tage lang keine Menschen mehr sehen muss.

Und kein Bier mehr.
Auf der Bühne wird sehr wenig ­getrunken im Vergleich zu früher. Aber jeder weiß selbst, wie viel er verträgt, und ich merke ja, wenn einer meiner Musiker schwächelt. Mein Vorgänger war absoluter Antialkoholiker und Nichtraucher, aber ich will die Freuden des Lebens schon noch genießen. In meinem Krug ist trotzdem meist alkoholfreies Bier.

Brauchen Sie überhaupt noch ­Noten für "Hulapalu" und "Fürstenfeld"?
Ein Medley mit Ballermann-Hits ist musikalisch nicht so schwierig. Und Allerweltssachen wie "Skandal im Sperrbezirk" schaffen wir auch ohne Noten, klar. Aber ein mit Bläsern unterlegtes Queen-Medley ist verdammt anspruchsvoll, das geht nicht so schnell auswendig.

Verraten Sie uns Ihr Berufsgeheimnis: Wie erzeugt man Stimmung in einem vollen Zelt?
Indem man sich musikalisch langsam, aber stetig steigert. Wir fangen an mit dem Bayerischen Defiliermarsch und ein bisschen was zum Schunkeln. Danach folgen ein paar Opernmelodien, "Aida" und bekannte Sachen wie der "Can-Can" von Jacques Offenbach oder ein Walzer wie "An der schönen blauen Donau".

Christian Sachs
Geboren in Straubing, Studium in ­Augsburg und seit 1980 auf dem Oktoberfest: Christian Sachs ist Vollblutmusiker
© DDP

Klingt noch sehr gemäßigt.
Danach ist es bald vorbei mit Blasmusik. Wir überbrücken mit Udo Jürgens und anderen Schlagern, dann die ersten Wiesn-Hits. Zwischendurch ein DJ-Ötzi-Medley oder die Weather Girls – schon stehen alle auf den Bänken.

Ihr Revier, der "Schottenhamel", gilt als Zelt der Jugend.
Unser Stammpublikum ist zwischen 18 und 25. Wenn die Mädchen und Burschen älter werden, wird es ihnen meist zu heftig im Schottenhamel.

Was bedeutet das für die Musikauswahl?
Wir haben ein anderes Repertoire als in den Zelten mit gesetzterem Publikum. Wobei auch die junge Wiesn ihre eigene Regeln hat. Unser Publikum will keinen Hip-Hop hören oder Sachen, die sonst in der Disco laufen. Die Mädchen und Burschen haben sich schick gemacht in Dirndl und Lederhose und wollen Musik, die sie mit dem Oktoberfest identifizieren.

Welche denn?
Na, deutschsprachige Schlager, Après-Ski-Hits oder Internationales wie "Take Me Home, Country Roads". Dazu kommen Münchner Bands wie Sportfreunde Stiller, Münchner ­Freiheit oder Spider Murphy Gang. Das ist das Grundgerüst.

Und wenn die Leute besoffen vom Tisch fallen vor Ekstase?
Man braucht da schon Fingerspitzengefühl, doch wir haben Glück, denn die Jungen sind konditionell besser drauf. Trotzdem können wir nicht nur stundenlang Party machen, sondern müssen immer wieder auch Langsameres einstreuen. "Angels" von Robbie Williams oder "Ohne dich schlaf ich heut Nacht nicht ein". So bekommen die Hits wieder eine größere Wertschätzung. Man braucht eine Wellenbewegung.

Und wenn mal eine Schlägerei ausbricht?
Das geschieht nur selten. Wenn wir oder das Ordnungspersonal einschreiten, dann sind die jungen Leute so lieb und hören auf uns. Probieren Sie das mal bei einem gestandenen Bayern, der schon ein paar Maß intus hat!

Wenn man Sie überhaupt versteht in dem ganzen Lärm…
Wir dürfen von Amts wegen bis 90 Dezibel gehen, also relativ verhalten. Wir haben aus Interesse mal gemessen, wie laut es wird, wenn die jungen Leute ihre Schlachtrufe anstimmen: 105 Dezibel! Von der Band hört man dann nicht mehr viel.

Sie haben Klavier und Trompete studiert und als Musiklehrer gearbeitet.
Ich habe mein Berufsziel total verfehlt. Das Unterrichten hat mir überhaupt keinen Spaß gemacht. Also wurde ich Berufsmusiker und tourte mit verschiedenen Bands um die Welt. Aber von Montag bis Freitag arbeite ich als Vertriebsleiter einer Großbäckerei. Spezialität: Apfelstrudel und Kaiserschmarrn.

Aber was genau fasziniert Sie als Musikprofi am Oktoberfest?
Dass die Wiesn, trotz der Massen und der Showeinlagen, versucht, authentisch zu bleiben und traditionell. Bis 17 Uhr spielen wir eigentlich fast nur saubere, konzertante Blasmusik. Bei einem Marsch oder einer schönen Polka geht mir natürlich eher das Herz auf als bei manch einem Partysong.

Und Sie spielen alles live?
Es gibt keine Musik vom Band. Und es spielt vom ersten bis zum letzten Tag die gleiche Kapelle. Sonst ist bei Volksfesten eher üblich, dass jeden Tag eine andere Gruppe auftritt. Partybands mit fünf, sechs Mann und Mordslicht auf der Bühne. Wir haben kein bewegliches Licht und keine sichtbaren Lautsprecher.

Wie viele Leute haben Sie auf der Bühne?
Mittags nur die reduzierte Besetzung mit 13 Mann, ab 16 Uhr sind wir dann 24. Obwohl "Mann" nicht mehr ganz zutrifft, denn auch bei uns steigert sich die Frauenquote von Jahr zu Jahr. Ich habe jetzt immerhin schon drei Sängerinnen, eine Keyboarderin und eine Saxofonistin.

Bleibt noch die wichtigste Frage: Wie heißt der neue Wiesn-Hit? Der Nachfolger für "Cordula Grün" und "Bella ciao"?
Bis dato hat sich noch nichts rauskristallisiert. Es gibt ein paar Kandidaten wie den "Bierkapitän" von Richard Bier, "Eine Woche wach" von Mickie Krause oder die "Lotusblume" von den alten Flippers. Oder ein Stück von Felix Neureuther, der seine Karriere als Skifahrer gerade beendet hat. Ein nettes Lied, unterlegt mit Partybeat, aber ob das ein Hit wird?

Was macht einen Wiesn-Hit aus?
Er muss eine eingängige Melodie haben und einen Klatschrhythmus. Dazu einen Text, den man sich auch mit zwei Maß noch merken kann. Bewegung und eine Choreografie zum Mittanzen sind auch gut. Wie beim "Fliegerlied" von Donikkl oder damals bei "Macarena".

Wie informieren Sie sich über aktuelle Musiktrends?
Ich lebe das ganze Jahr fürs Oktoberfest. Beim Skifahren höre ich mich um, was auf den Hütten gespielt wird. Was läuft in der Arena beim FC Bayern, wenn ein Tor fällt, was beim Kölner Karneval.

Und den ganzen Tag Hitradio wie Bayern 3 und Antenne Bayern.
Privat höre ich meist nur Klassik. Aber ich wohne direkt neben dem Olympiapark und gehe gern zu den großen Konzerten. Gerade eben war ich bei Metallica, Hammerkonzert, oder bei Rammstein. Das kann man leider nicht so gut auf der Wiesn spielen, aber zum Schluss hauen wir schon gerne eine AC/DC-Nummer raus: "Highway to Hell".

Bekommen Sie viel Post von Hobbymusikern, die angeblich den nächsten Superhit komponiert haben?
Alle Jahre wieder.

War schon was Gutes dabei?
Eher selten. Ich bekomme so viele Mails und Noten geschickt, die kann ich zeitlich gar nicht alle sichten. Ich wiegele das meist charmant ab. Einmal habe ich aber eine Ausnahme gemacht. Ralph Siegel ist persönlich zu mir auf die Bühne gekommen, da konnte ich schlecht Nein sagen.

Heutzutage könnte jeder mit Laptop und passender Software den nächsten Hit schreiben…
Das habe ich auch schon öfter gedacht. Wir sitzen ja direkt an der Front, warum probieren wir das nicht selbst? Aber dafür sind wir wohl zu anständig. Dabei müssten wir einen Song nur so oft wiederholen, bis ihn jeder gut findet. So machen das die DJs auch und die Radiosender.

Steht in Ihrem Vertrag, wie oft Sie das Trinklied "Ein Prosit der Gemütlichkeit" anstimmen müssen?
Steht nicht drin. Für uns ist das Prosit ein willkommener Abschluss für eine Serie. Erst 20 bis 30 Minuten Lieder zu einem Thema – Schlager oder Latino-Nummern –, dann ein Prosit. Wir haben zwei Minuten Verschnaufpause, und meine Musiker können die alten Noten weglegen.

Also ein Element zur künstlerischen Gestaltung. Nicht um den Umsatz zu erhöhen.
Ich habe das mal ausgerechnet. Im Zelt sitzen 8000 Leute, von denen mindestens die Hälfte anstößt und trinkt, im Schnitt 100 Milliliter. Das wären bei jedem Prosit ungefähr 400 Liter – keine schlechte Zahl.

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