Forscher und Mediziner aus mehr als 120 Ländern unternehmen eine Bestandsaufnahme ihres 20-jährigen Kampfes gegen Aids. Gezieltere Therapiemethoden, die immer noch erfolglose Suche nach einem Impfstoff gegen diese tödliche Virusinfektion sowie die Finanzierung der Behandlung von mehr Aids-Kranken weltweit gehören von Sonntagabend bis Mittwoch zu den zentralen Themen der Zweiten Konferenz der International Aids Society (IAS) in Paris.
2002 starben 3,1 Millionen Menschen
Genau zwei Jahrzehnte nach der Entdeckung von Aids durch den Franzosen Luc Montagnier diskutieren 5000 Wissenschaftler und Ärzte in diesen Tagen über Fortschritte in der Behandlung. Weltweit leben etwa 42 Millionen Menschen mit HIV und Aids. Allein 2002 starben 3,1 Millionen Menschen an Aids. Seit 1983 wurden mehr als 60 Millionen Menschen HIV-infiziert, wovon mehr als ein Drittel gestorben sind.
Nach der Eröffnung durch den früheren brasilianischen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso am Abend dürfte am Montag auch Südafrikas Ex-Staatschef Nelson Mandela die umstrittene Politik gegen Aids in den Mittelpunkt rücken. Es geht darum, den sozial Schwachen vor allem auch in Afrika besseren Zugang zu den vorhandenen teuren Medikamenten zu ermöglichen. Am Mittwoch kommt in Paris zudem eine Geberkonferenz für den Weltgesundheitsfonds zum Kampf vor allem gegen Aids zusammen.
Behandlung oder Tod
"Sechs bis neun Millionen HIV-Infizierte müssten heute dringend behandelt werden, sonst sterben sie", erläuterte der Präsident des Kongresses und Direktor der nationalen französischen Aids-Forschung, Michel Kazatchkine, vor der IAS-Eröffnung. "Das haben wir noch lange nicht erreicht. Wenn die Vorgaben des Global Fonds zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose wirklich eingehalten werden, dann gibt es Hoffnung, im Jahr 2005 fast drei Millionen Menschen zu behandeln."
Auf der Forschungsseite stehen unter anderem Testergebnisse zur Wirksamkeit des Medikaments T-20 an, das zu einer neuen Klasse von Therapiemöglichkeiten gehört. Im Gegensatz zu anderen Medikamenten soll T-20 nicht erst aktiv werden, wenn der Aids-Virus in die Zelle eingedrungen ist, sondern diesen Vorgang vorher bereits verhindern.
"Aids in westlichen Labors erfunden
Unterdessen hat Libyens Revolutionsführer Muammar el Gaddafi zum Abschluss des Gipfeltreffens der Afrikanischen Union (AU) mit ungewöhnlichen Thesen zur Aids-Epidemie Aufsehen erregt. Gaddafi erklärte nach Angaben des südafrikanischen Rundfunks, die Immunschwäche-Krankheit sei in westlichen Labors erfunden worden. Die Afrikaner sollten sich aber nicht erschrecken lassen. Gaddafi vertrat die Ansicht, dass das Ausmaß der Epidemie überschätzt werde.
Auf dem am Samstag in Mosambiks Hauptstadt Maputo beendeten dreitägigen AU-Gipfel hatten die Vereinten Nationen erklärt, rund 60 Millionen Afrikaner seien unmittelbar durch die Krankheit betroffen.
Aids - tödliche Attacke aufs Immunsystem
Aids steht für das "Acquired Immune Deficiency Syndrome" (erworbene Immunschwäche). Dieser Name bezeichnet das Vollbild einer unheilbaren Krankheit, deren Ursache der Zusammenbruch des Immunsystems ist. Aids-Erreger ist das Humane Immunschwäche-Virus (HIV).
Dieses 1983 erstmals isolierte Virus vermehrt sich in einer besonderen Klasse von Immunzellen, den T-Helfer-Zellen, und vernichtet sie dabei. Sie erkennen für gewöhnlich eingedrungene Fremdkörper und mobilisieren das Abwehrsystem. Mediziner vergleichen diese Attacke mit einem "Feuer bei der Feuerwehr". Ohne die übergeordnete Hilfe der T-Helfer-Zellen wird der Körper für viele Krankheitserreger "blind".
Bislang nicht heilbar
In der Folge können sich zahlreiche andere Krankheiten weitgehend ungehemmt im Körper ausbreiten. Einst harmlose Infektionen werden für den Patienten damit zur tödlichen Bedrohung. Aids ist bislang nicht heilbar. Der Ausbruch und die Symptome lassen sich mit Medikamenten allenfalls herauszögern.
Von HIV gibt es zwei Typen (HIV-1 und HIV-2) und mehreren Subtypen. Alle werden durch infizierte Körperflüssigkeiten wie Blut und Sperma übertragen. Das kann bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr, durch gemeinsamen Gebrauch von Spritzen oder verseuchte Blutprodukte geschehen. HIV-positive Mütter können ihre Kinder während der Schwangerschaft, der Geburt und beim Stillen anstecken.
Hoffnung Fusionsinhibitor "T20"
Um sich zu vermehren, muss das Aidsvirus in eine besondere Klasse von Immunzellen gelangen, die so genannten T4-Helferzellen. Diese steuern maßgeblich die Antwort des Körpers auf eingedrungene Krankheitserreger und sind für den Menschen damit lebenswichtig. Die Helferzellen jedoch werden von Aids-Virus "gekapert" und zerstört. Die neue Klasse von Medikamenten verhindert bereits das Eindringen der Viren in die T4-Helferzellen, indem es ein dafür wichtiges Molekül auf der Außenseite der Zellen blockiert.
An seiner Außenseite trägt das Aidsvirus ein Molekül (gp120), zu dem es auf der Zelle ein genau passendes Gegenstück gibt (cd4). Die Folge: Viren und Zelle haften über die "Brücke" aus gp120 und cd4 aneinander wie die beiden Hälften eines Druckknopfes.
Wie eine Harpune durch die Membran
Einmal so angelagert ändert gp120 geringfügig seine Form und dockt an ein zweites Molekül (zu 90 Prozent ist es ccr5) auf der Oberfläche der Immunzelle an. Daraufhin wird der Weg für ein weiteres Viren-Protein frei (gp41). Dieses stößt wie eine Harpune durch die Membran der menschlichen Zelle und führt so zur Fusion zwischen Virus und Zelle.
Genau an dieser Stelle kommt "T20" zum Zuge. Es blockiert das Viren-Protein gp41. Computeranimationen von Molekularbiologen zeigen, dass Zelle und Virus daraufhin einander nicht mehr nahe genug kommen. Die Verschmelzung bleibt daher vielfach aus, das Virus "ist außen vor".
Künstliches Protein aus 36 chemischen Bausteinen
"T20" ist ein kleines, künstliches Protein. Es besteht aus 36 chemischen Bausteinen (Aminosäuren). Die Versuchspersonen spritzen es sich bislang selbst unter die Haut. Nicht ausgeschlossen ist, dass die Aidsviren irgendwann auch gegen den neuen Wirkstoff resistent werden. Die Forscher hoffen aber, dass HIV lange Zeit empfindlich für Fusionsinhibitoren bleibt.