Herr Professor Schmieder, wie viele Menschen leiden in Deutschland unter Bluthochdruck?
Zwischen 25 und 30 Prozent der Bundesbürger haben eine behandlungsbedürftige Hypertonie. Wichtig ist dabei aber: Trotz der Gabe von Medikamenten erreicht schon heute nur etwa die Hälfte dieser Patienten die angestrebten und empfohlenen Werte.
Wo liegen diese und wie werden Bluthochdruck-Patienten bis jetzt behandelt?
Die Werte, auf die man den Blutdruck von Patienten mit einem erhöhten Risiko für Herzkreislauferkrankungen zu senken versucht, liegen bei 140 systolischer und 90 diastolischer Blutdruck. Diese Empfehlung besteht seit 2013. Zudem heißt es in den Leitlinien, dass bei allen Formen des hohen Blutdrucks die nichtmedikamentöse Behandlung ein wichtiger Pfeiler der Therapie ist. Was die Patienten selbst tun können, ist: auf ein gesundes Körpergewicht achten, Essen nicht unnötig nachsalzen, Alkohol nicht exzessiv konsumieren und sich ausreichend bewegen. Hilft das alleine nicht, sollten Medikamente gegeben werden.
Eine neue Untersuchung zu dem Thema, die sogenannte "Sprint"-Studie, kommt zu dem Ergebnis, dass bei Menschen mit einem erhöhten Risiko für Herzkreislaufleiden der systolische Blutdruck auf 120 statt wie bisher auf 140 gesenkt werden sollte. Was halten Sie davon?
Die Studie ist nach höchsten wissenschaftlichen Standards durchgeführt worden und sie liefert Antworten auf eine bis jetzt offene Frage: Wie weit sollte man den Bluthochdruck senken? Gilt: Je tiefer, desto besser für den Patienten? Auch wenn die Ergebnisse beeindruckend sind, halte ich es für verfrüht, die Empfehlungen ohne weitere Analysen sofort zu ändern.
Zu welchen Ergebnissen kommt die Studie denn und wie lief sie ab?
Für die Untersuchung wurden mehr als 9000 Menschen in zwei Gruppen eingeteilt: Die eine sollte auf einen Wert von unter 140 hin behandelt werden, die andere auf einen unter 120. Alle Teilnehmer waren mindestens 50 Jahre alt, ihr Blutdruck lag zu Beginn bei über 130 und sie hatten ein erhöhtes Risiko für Herzkreislaufleiden - entweder durch eine Vorerkrankung, etwa einen früher bereits erlittenen Herzinfarkt, oder durch andere Risikofaktoren, etwa erhöhte Cholesterinwerte, Übergewicht oder Rauchen. Die Werte konnten durch die Therapie auch gut gesenkt werden: In der einen Gruppe im Mittel auf 121, in der anderen auf 136 - was einen eindeutigen Unterschied machte.
Welchen?
Herzinfarkt, Schlaganfall, gefährliche Durchblutungsstörungen des Herzens, Herzmuskelschwäche und Tod durch Herzkreislaufleiden - all das trat in der intensiv behandelten Gruppe seltener auf. Wer seinen Blutdruck auf im Mittel 121 senkte, hatte dafür ein 25 Prozent geringeres Risiko. Vor allem Todesfälle durch Herz- oder Gefäßleiden (37 gegen 65, Anm. der Red.) und Herzschwäche (62 gegen 100) kamen deutlich seltener vor. Das Risiko, plötzlich an einem Herztod zu sterben, wurde folglich klar gesenkt. Auch die Sterberate insgesamt war um gut ein Viertel niedriger. Allerdings wurde diese Besserung durch mehr Nebenwirkungen erkauft: Als Folge der intensiveren Therapie kam es häufiger zu Blutdruckabfällen, Kreislaufkollaps, einer Störung des Natrium- und Kaliumstoffwechsels, Nierenschädigung oder Nierenversagen.
Spricht das nicht gegen eine intensivere Therapie?
Es zeigt zumindest, dass wir die Daten noch einmal genau anschauen müssen, bevor wir allgemeingültige Empfehlungen geben. Welche Patienten haben klar von der intensiveren Therapie profitiert? Und bei welchen geht sie mit einem erhöhten Risiko einher? Im Rahmen der Studie haben Ärzte die Patienten monatlich untersucht und alle Nebenwirkungen penibel notiert. Das ist im Praxisalltag nicht möglich. Daher ist es extrem wichtig, schon im Vorfeld ein Gespür dafür zu bekommen, bei welchen Patienten etwa Nierenprobleme auftreten könnten. Zum anderen müssen diese auch davon überzeugt werden, dass sie von einer intensiveren Therapie profitieren, damit sie bereit sind, mehr Medikamente zu schlucken.
In der Studie nahm die intensiver behandelte Gruppe im Schnitt knapp drei verschiedene Blutdrucksenker ein, die normal behandelte knapp zwei. Eigentlich kein großer Unterschied, oder?
Jedes Medikament mehr bedeutet im Alltag meist Überzeugungsarbeit. Der Nutzen und die Risiken müssen daher für den Patienten zuvor deutlich erkennbar sein.
Was bedeuten die Ergebnisse der Studie für Patienten? Sollte nun jeder, der einen Blutdruck über 120 hat, therapiert werden?
Auf keinen Fall. Die Teilnehmer der Studie hatten alle ein erhöhtes Risiko für Herzkreislaufleiden und sie standen schon unter Behandlung. Es ging darum, eine bereits vorhandene Therapie zu optimieren - und nicht darum, eine neue zu beginnen.
Diabetiker waren aus der aktuellen Studie ausgeschlossen. Dabei leiden sie häufig an Bluthochdruck. Gibt es eine Empfehlung für diese Patientengruppe?
Das stimmt. Diabetiker waren genauso wie Schlaganfallpatienten ausgenommen. Für beide Gruppen lassen sich daher aus den aktuellen Ergebnissen keine Empfehlungen ableiten. Ob Diabetiker von einer stärkeren Senkung des Blutdrucks profitieren, hat 2010 eine andere Studie untersucht. Dabei konnte kein klarer Nutzen gezeigt werden. Dafür traten allerdings schwerwiegende Nebenwirkungen - wie etwa Nierenversagen - auf. Ich würde auf dieser Grundlage keinem Diabetiker empfehlen, den Blutdruck so tief zu senken.
Was empfehlen Sie Bluthochdruckpatienten, die unsicher sind, ob ihre Therapie angepasst werden sollte?
Ich würde dafür plädieren, erst einmal abzuwarten, wie die Fachgesellschaften das Ergebnis der "Sprint"-Studie bewerten und wie es in die Leitlinien einfließt. Dass dies der Fall sein wird, nehme ich an. Überhastet würde ich die Therapie bei keinem Patienten umstellen, denn wir reden über einen Effekt, der sich längerfristig zeigt. Klar ist aber auch: Patienten, deren Blutdruck gesenkt werden sollte, sollten wenigstens das "alte Klassenziel" erreichen: den oberen Blutdruckwert auf mindestens 140 zu senken. In letzter Zeit wurde das nämlich immer nachlässiger gehandhabt. Die neuen Ergebnisse unterstreichen aber noch einmal, dass es hier keine Ausreden mehr gibt: Zumindest auf diesen Wert muss der Blutdruck bei gefährdeten Personen runter, damit das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und andere Herz-Kreislauf-Leiden sinkt.
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